sportjournalist: Herr Frohwein, zusammen mit Ihrer Kollegin Jana Wiske und der Uni Würzburg haben Sie 2021 eine erste Studie über den Zustand des Fußballs veröffentlicht, die für den DFB eher deprimierende Ergebnisse hatte. Was ist dieses Mal anders?
Tim Frohwein: Zunächst wollten Jana und ich bei unserer Panel-Studie für die Hochschule Ansbach einen konstruktiveren Ansatz wählen und dem DFB konkrete Ansatzpunkte für einen echten Wandel liefern. Ziel war, dass der DFB auch wahr- und ernstnimmt, was er gespiegelt bekommt und ein Dialog zustandekommt.
sj: Ein hehres Ziel. Hat es geklappt?
Frohwein: Ja, wir wurden nach Frankfurt eingeladen. Bei unserer ersten Präsentation Ende 2023 hatten wir einen wirklich guten Eindruck. Beim DFB erwartete uns eine hochkarätige Runde, die wirklich zugehört hat, auch wenn manche Punkte natürlich kontrovers diskutiert wurden. Das heißt nicht automatisch, dass unsere Ergebnisse als Impuls für Veränderungen gesehen wurden, wir haben aber den Eindruck, dass zumindest ein frischerer Wind weht, seit Bernd Neuendorf und Andreas Rettig das Sagen haben. (Frohwein-Foto: Michael Pointvogel)
sj: Sie sind bei Ihrer Studie auch methodisch anders vorgegangen.
Frohwein: Genau, wir haben uns für einen quantitativen Ansatz entschieden, indem wir 100 Menschen – Stakeholder des Fußballs wie Fans, JournalistInnen oder Vertreter aus dem Profi- wie dem Amateurfußball – über drei Jahre hinweg befragen. Die Studie dokumentiert also, wie sich die Einstellungsmuster zwischen 2023 und 2025 – im Sommer werden wir die dritte Befragungswelle durchführen – verändern. Ziel ist dabei auch, dass die Fußballwelt adäquat abgebildet wird, die Stakeholder also eine gewisse Vielfalt repräsentieren.
sj: Umso interessanter, dass Frauen und Männer durchaus unterschiedlich geantwortet haben.
Frohwein: Stimmt. Demokratie und Diversität spielen bei den Frauen eine größere Rolle, sie sind insgesamt ein Stück kritischer.
sj: Ihre Studie dokumentiert eine wachsende Distanz zum Profifußball. Das passt nicht unbedingt zu den jüngsten Meldungen, wonach erneut ein Zuschauerrekord in beiden Bundesligen zu feiern ist.
Frohwein: Es fiel schon bei der ersten Befragungswelle 2023 auf, wie viele Menschen geantwortet haben, dass ihre Bindung zum Profifußball ab- und die zum Amateurfußball zugenommen hat. Viele von ihnen sind, so interpretieren wir das, trotzdem bei der Stange geblieben, weil zum einen die 50+1-Regel noch gilt, und weil die Fanarbeit besser ist als in anderen Ländern.
sj: Man muss sich auch nicht bedingungslos mit einem Klub identifizieren, um dessen Spiele anzuschauen.
Frohwein: Die Leute gehen aus den unterschiedlichsten Motiven ins Stadion. Diejenigen, die nur Entertainment wollen, sind nach meiner Wahrnehmung mehr geworden. Wenn Real Madrid bei den Bayern spielt, ist eben der Zirkus in der Stadt.
sj: Sie haben vergleichsweise gute Werte für die DFL ermittelt. Dabei ist die ja im Gegensatz zum unbeliebten DFB die eigentliche Treiberin der Kommerzialisierung.
Frohwein: Das wundert mich einerseits auch immer wieder. Andererseits wird der DFB offenbar als der Ort wahrgenommen, an dem im Fußball alle Fäden zusammenlaufen – ob das nun so ist oder nicht.
sj: Dann also zu dessen Werten: Für nur sieben Prozent steht der DFB derzeit für Transparenz. Und nur 20 Prozent finden, dass er den Amateurfußball gut vertritt. Ist das nicht, als attestierte man der Tierschutzpartei, sie habe keine Kompetenz in Sachen Tierschutz? Schließlich sind die Amateure die Kernkompetenz des DFB.
Frohwein: Ich bin mir nicht sicher, ob das jeder beim DFB so sieht. Immer wieder betont man ja auch die Wichtigkeit der Nationalmannschaft, die Bedeutung der Elitenförderung in der neugebauten Akademie. Andererseits fährt man Kampagnen wie "Unsere Amateure, echte Profis" und bezeichnet sich auch sehr gerne als größter Sportfachverband der Welt. Das aber ist der DFB ja nur, weil er als Dach für zehntausende Amateurklubs fungiert.
sj: Umgekehrt geht eine klare Erwartungshaltung aus Ihrer Studie hervor. Die Bezugsgruppe fordert bessere Arbeit beim Amateurfußball und bei der Nachwuchsförderung. Und mehr Transparenz.
Frohwein: In Sachen Transparenz liegt wirklich vieles im Argen. Ich könnte jedenfalls nicht sagen, wie der DFB-Bundestag genau funktioniert. Kann man sich da als engagierter Mensch aufstellen lassen, oder muss man vorher jahrzehntelang im Landesverband Klinken geputzt haben? Man sollte auch nicht vergessen, dass meine "Hartplatzhelden"- Kollegin Ute Groth, Vorsitzende eines Düsseldorfer Amateurvereins, erfolglos versucht hat, als DFB-Präsidentin zu kandidieren. Andererseits hat Bernd Neuendorf gerade in einem ZEIT-Interview eine bessere Breitensportförderung gefordert. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung.
sj: Schritte nach vorne sehen Sie auch in Sachen Vielfalt, wo acht Prozent mehr als im Jahr zuvor das Engagement des DFB loben.
Frohwein: Das hat sicher auch mit der EM im vergangenen Jahr zu tun, dem adidas-Werbespot, der auf Vielfalt abgestellt hat. Überhaupt mit einer vielfältigen Nationalmannschaft, mit der sich auch Menschen mit Migrationsgeschichte identifizieren können. Aber klar: Wenn man sich die Gremien anschaut, ist da nicht viel Diversität zu erkennen. Das gilt aber nicht nur für den DFB, sondern für die ganze Branche.
Anm.: Die Studie "Wir sind Fußball" wird geleitet von Prof. Dr. Jana Wiske, Studiengänge Ressortjournalismus und PR/Unternehmenskommunikation, Fakultät Medien, Hochschule Ansbach, j.wiach.de und Tim Frohwein, freier Fußballforscher und -journalist, Projektleiter Mikrokosmos Amateurfußball, ske@hs-ansbtiin.de m@frohwe
Christoph Ruf arbeitet als Freelancer von Karlsruhe aus. Hier geht es zu seiner Website.