sportjournalist: Herr Steinbrecher, was ist die Motivation für die Langzeitstudie "Journalismus & Demokratie" der TU Dortmund?
Michael Steinbrecher: Zunächst einmal ist es wichtig zu betonen, dass ein unabhängiger Journalismus existenziell ist für die Demokratie. Denn machen wir die Gegenprobe: Sprechen wir noch von einer demokratischen Gesellschaft, wenn Zensur herrscht, Journalistinnen und Journalisten verhaftet werden oder staatliche Propaganda unabhängigen Journalismus ersetzt? Der Journalismus ist entsprechend relevant für die Gesellschaft. Das sieht nach den Ergebnissen unserer Studie übrigens nach wie vor auch die große Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland so.
sj: Aber?
Steinbrecher: Gleichzeitig erleben wir alle, dass es zum Teil sehr grundsätzliche Kritik gibt am Journalismus. Auch unsere Studierenden am Institut für Journalistik haben das seit circa zehn Jahren vermehrt persönlich erfahren. Die Kritik kommt dabei auch aus ihrem direkten Umfeld, aus der Familie und ihrem Freundeskreis, also aus der Mitte der Gesellschaft. Oft wird die Diskussion mit Schlagworten geführt, ist von "Lügenpresse" und "Systemmedien" die Rede. Das war für uns der Anlass, genauer hinzuschauen. (Steinbrecher-Foto: TU Dortmund)
sj: Inwiefern?
Steinbrecher: Wir sind natürlich nicht die einzigen, die dazu forschen. Aber unser Ansatz ist, regelmäßig und zeitgleich den Journalismus, die Politik und gemeinsam mit Forsa repräsentativ die Bevölkerung zu befragen. Damit wollen wir helfen, den Journalismus in Deutschland immer wieder zu verorten: Was genau erwarten diese Gruppen vom Journalismus? Wie sehr vertrauen sie ihm? Und was kritisieren sie? Wo stimmen sie in ihren Erwartungen überein, wo gibt es aber auch Brüche und gegensätzliche Erwartungen?
sj: Was können Sie für den Journalismus feststellen?
Steinbrecher: Das Informationsangebot der Medien in Deutschland wird, wie schon angedeutet, von mehr als 90 Prozent der Menschen als gut oder sehr gut eingeschätzt, und das bei wenig Unterschied zwischen westlichen und östlichen Bundesländern. Die Bevölkerung ist sich weitgehend einig: Der Journalismus ist wichtig für das Funktionieren der Demokratie. Aber nur knapp mehr als die Hälfte halten den Journalismus für glaubwürdig und glauben, man kann den Nachrichten meist vertrauen. Fast die Hälfte der Befragten ist der Meinung, der Journalismus ist in den letzten Jahren schlechter geworden.
sj: Was erwartet die Bevölkerung vom Journalismus?
Steinbrecher: Über 80 Prozent der Befragten sagen: Er soll vor allem schnell, neutral, präzise und transparent sein. Er soll aktuelles Geschehen einordnen und analysieren, Kritik an Missständen üben und dabei Meinungen von Fakten klar trennen. Die Befragten glauben, dass einige dieser wichtigsten Erwartungen von Journalistinnen und Journalisten durchaus geteilt werden. Es gibt aber auch Ausnahmen: Weniger als die Hälfte der Befragten vermutet, dass der Journalismus neutral und präzise informieren oder Meinungen von Fakten trennen möchte. Nur ein Drittel der Befragten ist der Meinung, Journalistinnen und Journalisten wollen transparent über eigene Arbeitsweisen informieren. Dies sind nur einige von mehreren Punkten, in denen die Befragten glauben, dass der Journalismus ihre Erwartungen nicht teilt. Solche Differenzen zur Kenntnis zu nehmen halten wir für wichtig. Wir haben mittlerweile einen guten Überblick darüber, was die Bevölkerung, die Politik und auch Journalistinnen und Journalisten selbst vom Journalismus erwarten und an ihm kritisieren und möchten zu diesen Punkten immer wieder Dialoge anstoßen.
sj: Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse haben Sie als Leiter der Studie am meisten zum Nachdenken verleitet?
Steinbrecher: Rund 20 Prozent der Befragten in der Bevölkerung vertreten eine geschlossen negative Haltung zum Journalismus und misstrauen ihm zutiefst. Zu dieser Grundhaltung gehört die Position, dass JournalistInnen lügen, also absichtlich die Unwahrheit erzählen und ihnen vom Staat vorgegeben werde, worüber sie berichten sollen. Doch es gibt Hinweise, dass ein deutlich größerer Anteil der Befragten durchaus fundamentale Kritik am Journalismus äußert und möglicherweise ebenfalls auf dem Sprung steht, sich von ihm abzuwenden. Fast ein Drittel der Befragten gibt an, der Journalismus habe den Kontakt zu Menschen wie ihnen verloren. Rund 40 Prozent sind der Meinung, der Journalismus sei zu weit entfernt von den Problemen "einfacher" Menschen und meist abhängig vom Einfluss der Mächtigen aus Politik und Wirtschaft. Dieses Meinungsbild ist sehr ernst zu nehmen, denn der Journalismus lebt auch davon, dass Menschen Vertrauen in seine Integrität und Unabhängigkeit haben.
sj: Können Sie insgesamt signifikante Unterschiede zwischen den Antworten und Erwartungen von Sportjournalisten zu Kollegen aus anderen Ressorts feststellen?
Steinbrecher: Kaum. Lediglich bei den Punkten, die Journalistinnen und Journalisten auch in der zukünftigen Entwicklung des Journalismus für wichtig halten, gab es zwei Bereiche, in denen wir Unterschiede feststellen konnten. Im Sportressort wurden die Service-Orientierung und Einnahmen durch Werbung relevanter erachtet als in den anderen Ressorts.
sj: Was raten Sie aufgrund der Ergebnisse uns Journalisten im Umgang mit den Rezipienten?
Steinbrecher: Zunächst einmal hoffen wir, dass wir viele Journalistinnen und Journalisten mit den Ergebnissen der Studie erreichen. Wir sind überzeugt davon, dass zum Beispiel die Ergebnisse der repräsentativen Bevölkerungsbefragung zahlreiche Anstöße geben für interne Diskussionen über die eigene, zukünftige Ausrichtung.
sj: Inwiefern?
Steinbrecher: Zum Beispiel darüber, ob in der Redaktionsarbeit Meinungen und Fakten schärfer getrennt werden sollten und ob sich das dargestellte Meinungs- und Themenspektrum auf einen zu schmalen Korridor beschränkt. Dies sind zwei zentrale Punkte, die wir der Studie entnehmen.
sj: Sonst noch etwas?
Steinbrecher: Im Umgang mit den Rezipienten würden wir ebenfalls dazu raten, offen in den Dialog zu gehen und zum Beispiel weiterhin eigene Arbeitsweisen transparent zu machen, was an vielen Orten ja schon passiert. Transparenz und Selbstkritik sind wichtig. Kritik sollte nicht denen überlassen werden, die keinen unabhängigen Journalismus wollen. Der Journalismus kann selbst dazu beitragen, dass immer wieder sachliche Dialoge über die Zukunft des Journalismus geführt werden, indem er sie selbst anstößt. Vielleicht ja mit Ergebnissen unserer und anderer Studien zum Journalismus im Gepäck.
Das Gespräch führte Thorsten Poppe (VDS-Geschäftsführer)
Das dazu gehörige VDS-Webinar unter dem Dach des Campus Sportjournalismus ist hier abrufbar.