DFB-Direktor Steffen Simon über WM in Katar

„Wir befinden uns in einer Empörungsspirale“

10.11.2022

Die Fußball-WM in Katar ist gesellschaftspolitisch in Deutschland höchst umstritten. Der neue DFB-Direktor Steffen Simon erklärt im Gespräch mit sportjournalist-Autor Frank Hellmann, welche politische Haltung der Verband zur Fußball-WM in Katar einnimmt, warum aus seiner Sicht so manche Diskussion überhitzt ist und was Medienvertreter vor Ort zu erwarten haben.

 

Steffen Simon, Jahrgang 1965, ist seit 1. Mai dieses Jahres Direktor Öffentlichkeitsarbeit und Fans beim Deutschen Fußball (DFB). Der Berliner war zuvor viele Jahre Sportchef des Westdeutschen Rundfunks.

sportjournalist: Steffen Simon, mit welcher Haltung geht der Deutsche Fußball-Bund die WM in Katar an?

Steffen Simon: Viele Menschen in Deutschland haben eine klare Meinung zu Katar. Der DFB setzt auf Meinungsbildung auf Grundlage von Informationen, deshalb gab es einen Menschenrechtskongress oder Fortbildungsveranstaltungen für unsere Nationalspieler, bei denen wir so viele Sichtweisen wie möglich abbilden wollten. Der DFB erkennt an, dass sich seit Vergabe der WM einige Gesetzeslagen zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verbessert haben, dass es bei deren Umsetzung jedoch Verbesserungen bedarf. Wir fordern die Einrichtung von „Migration Working Centers“, damit es Anlaufstellen gibt, um Rechte geltend machen zu können. Und wir unterstützen Initiativen für einen Wiedergutmachungsfonds zugunsten geschädigter Arbeiter oder der Hinterbliebenen gestorbener.
 
sj: DFB-Direktor Oliver Bierhoff und Bundestrainer Hansi Flick äußern sich inzwischen deutlicher als vor einem Jahr. Hat die interne Fortbildung bereits gewirkt?

Simon: Das sollten die beiden selbst beantworten. Tatsache ist, dass es einen engen Schulterschluss zwischen der verbandspolitischen und sportlichen Führung gibt (Foto Oliver Bierhoff, links, und Hansi Flick: sampics Photographie/Stefan Matzke/augenklick).
 
sj: Bei früheren Turnieren wie der EM 2012 in Polen und der Ukraine oder der WM 2018 in Russland wurden sportpolitische Fragen gerne an die Würdenträger der Delegation weitergereicht. Werden sich Trainer und Spieler wieder vor solchen Fragen drücken?

Simon: Wir haben uns nicht weggeduckt und werden das nicht tun. Wir setzen uns mit dem Thema intensiv auseinander und werden unsere Überzeugungen nicht bei der Einreise nach Katar abgeben.
 
sj: Vermissen Sie mitunter die differenzierte Auseinandersetzung mit dem Thema?

Simon: Ja. Die öffentliche Darstellung ist auf sehr wenige Sichtweisen verengt – so etwas ist nie gut. Deswegen war das Bestreben bei dem von uns ausgerichteten Menschenrechtskongress, so viele Blickwinkel wie möglich anzubieten, auf deren Grundlage man sich eine eigene Meinung bilden kann. Ich finde, dass die öffentliche Diskussion in Deutschland vor dieser WM überhitzt ist.
 
sj: Weil beispielsweise Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck mit Katar über Energielieferungen spricht und die deutsche Wirtschaft enge Geschäftsbeziehungen unterhält?

Simon: Die Lage der Arbeitsmigranten spielt keine Rolle, wenn es um Energielieferungen nach Deutschland geht. Auch die Handball-WM 2015 oder die Leichtathletik-WM in Doha 2019 haben nicht im Ansatz zu solchen Diskussionen wie jetzt geführt.
 
sj: Als die deutsche Nationalelf jüngst zu den Länderspielen gegen Ungarn und in England die Kapitänsbinde mit dem Aufdruck „One Love“ vorstellte, ging Fanvertretern, Aktivisten oder Politikern die Aktion nicht weit genug. Können Sie die Kritik verstehen?

Simon: Damit hatte ich ehrlicherweise nicht gerechnet. Ich sage aber auch, dass wir die Farbenlehre klarer hätten erklären sollen; das war ein vermeidbarer Fehler. Wir haben vom DFB mit den anderen beteiligten Nationalverbänden die öffentlichen Reaktionen abgeglichen: Nirgendwo wurde derart negativ kommentiert wie bei uns (Armbinde-Foto: GES-Sportfoto/Markus Gilliar/augenklick).
 
sj: Also wird die moralische Messlatte zu hoch gelegt?

Simon: Wir befinden uns in einer Empörungsspirale.
 
sj: Abseits dieser Diskussionen: Was haben die Kolleginnen und Kollegen zu erwarten, die mit der deutschen Nationalmannschaft nach Katar reisen?

Simon: Wir haben im Vorfeld alles getan, um nationalen und internationalen Medienvertretern vor Ort optimale Arbeitsbedingungen zu ermöglichen – auch wenn es in der Umsetzung mit den Behörden vor Ort nicht immer ganz einfach ist. Das Medienzentrum mit ausreichend Kapazitäten befindet sich direkt neben dem Trainingsstadion. Erstmals stellt die FIFA ein Basis-Equipment zur Verfügung. Der DFB wird dieses auf eigene Kosten erweitern und beispielsweise Hybrid-Pressekonferenzen anbieten, denn wir gehen davon aus, dass auch viel aus der Heimat berichtet wird.
 
sj: Was können Sie über die weiteren Angebote für die Medien sagen?

Simon: Die Abläufe werden nicht anders als bei früheren Turnieren sein: Natürlich können alle akkreditierten Medienvertreter*innen die erste Viertelstunde der Trainingseinheiten und die Pressekonferenzen besuchen. Durch das gestraffte Turnierprogramm mit Gruppenspielen im Vier-Tages-Rhythmus sind die Gelegenheiten zu Einzelinterviews verringert. Wir werden aber versuchen, vieles zu ermöglichen. Trotzdem sind die Pressekonferenzen diesmal ein noch wichtigerer Bestandteil unser Öffentlichkeitsarbeit.
 
sj: Deutschland bezieht das Hotel, das mit Abstand am weitesten entfernt von Doha liegt. Wollte Bundestrainer Flick damit dem Presserummel entkommen?

Simon: Die sportliche Leitung setzt auf optimale Rahmenbedingungen, die wir im Zulal Wellness Resort vorfinden. Am weitesten weg bedeutet in diesem Fall rund 80 Kilometer, eine Stunde Fahrzeit vom Zentrum in Doha. Das ist gerade im Vergleich zu früheren Turnieren immer noch sehr komfortabel (Resort-Foto: GES-Sportfoto/Markus Gilliar/augenklick).
 
sj: Besteht die Gefahr, dass bei aufkommenden Corona-Zahlen auch wieder nur digitale Veranstaltungen stattfinden?

Simon: Natürlich hoffen wir, dass wir die meisten Medienaktivitäten in Präsenz durchführen können und Corona kein bestimmendes Thema wird. Die Spielregeln für die Medienaktivitäten macht die FIFA, der DFB ist für alle möglichen Szenarien vorbereitet. Wir sind der einzige Verband, der von Anfang an die Hybridlösung bei den Pressekonferenzen anbietet. Insofern wären wir für diesen Fall bereits vorbereitet.

Mit Steffen Simon sprach Frank Hellmann. Der Freelancer, Jahrgang 1966, arbeitet von Frankfurt am Main aus. Zu Hellmanns Schwerpunkten zählen Frauenfußball, Männerfußball, Marathon und Triathlon. Hier können Sie dem gebürtigen Bremer auf Twitter folgen.