Hockey meets Fußball meets Handball: Auf Einladung der MT Melsungen trafen sich in den Räumlichkeiten des HBL-Topklubs Vertreter aus drei Teamsportarten zum Meinungs- und Gedankenaustausch. Es ging darum, was Julius Hayner (24, Hockey, Crefelder HC), Semir Kaymakci (20, Fußball, vormals SpVgg Greuther Fürth) und Dimitri Ignatow (26, Handball, MT Melsungen) an der Schwelle vom Teil- zum Vollprofitum verbindet. Die Rede kam auch auf die mangelnde Wertschätzung der breiten Öffentlichkeit sowie der Medien abseits der Spartenprogramme.
sportjournalist: König Fußball regiert die Welt. Ihr bleibt überregional meist anonym. Ist das unfair?
Julius Hayner (Hockey, Crefelder HC): So ist nun mal der - freie - Markt: Angebot und Nachfrage. Ich bin der Letzte, der jammert. Ich habe bei den "Deutschen" vor 5000 Leuten gespielt, das war für mich mega. Wenn es 50.000 wären, wäre es noch geiler. Und wenn es jedes Wochenende so wäre, wäre es auch super. Aber ich bin nicht neidisch. Ich fühle mich als Sportler im Vergleich zu Fußballern jedoch nicht ausreichend wertgeschätzt. Was wir tun, ist gleich viel wert: Aufwand, Energie, Verzicht - alles gleich. Und dann ist der Unterschied, bei dem was rauskommt, immens. Schade, schlimm sogar, wenn die Wertschätzung in der Gesellschaft überhaupt nicht gegeben ist.
Dimitri Ignatow (Handball, MT Melsungen): Handball, auch in der 1. und 2. Liga, wird oft abseits der Metropolen gespielt, da ist das mit der Anonymität relativ. Nach Erreichen des Final Four hat man überall in Melsungen und Kassel die Poster gesehen. Auch vor der Halle hängen jetzt welche - wenn ich dran vorbeifahre, denke ich: das ist schon krass. Das ist ein superschönes Gefühl. Es ist nicht wie beim Fußball, aber zu bestimmten Handball-Events steigt auch unser medialer Wert. Nur ist es nicht nachhaltig genug.
Semir Kaymakci (Fußball, vormals SpVgg Greuther Fürth): Wenn euer Sport mehr gezeigt werden würde, würdet ihr natürlich mehr Sponsoren, mehr Geld und mehr Anerkennung bekommen. Betrachtet man die Leistung, die jeder einzelne von euch erbringt, ist es ungerecht, wenn eure Sportarten so wenig mediale Aufmerksamkeit bekommen.
Ignatow (Handball, MT Melsungen): Julius, Ihr seid die erfolgreichste Mannschaftssportart bei Olympia überhaupt und medial völlig unterrepräsentiert. Das Problem ist, dass speziell die öffentlich-rechtlichen Sender, die eigentlich den Auftrag haben, ausgewogen zu berichten, dem nicht so gerecht werden. (Deutsche Hockey-Männer nach dem Olympiasieg 2016. Foto: GES)
Hayner (Hockey, Crefelder HC): Die Verhältnismäßigkeit stimmt nicht. Niemand verlangt, dass jedes Hockey-Bundesligaspiel übertragen wird, dafür ist die Nachfrage schlichtweg zu gering. Man kann aber auch Nachfrage schaffen, und da sehe ich zumindest die öffentlich-rechtlichen Sender mehr in der Verantwortung. Die Olympischen Spiele dienen immer wieder als gutes Beispiel: Die Leute interessieren sich für die Sportarten und Athleten, wenn sie ihnen präsentiert werden. Ich finde, in diesen Sportarten gibt es auch die viel geileren, persönlicheren Geschichten zu erzählen als im Fußball. So nehme ich das Feedback rund um diese Turniere auch wahr. Die Begeisterung verpufft danach aber genauso schnell, weil der Zuschauer einfach keinen Kontakt mehr hat. Von Hockeyseite wird schon immer viel getan in Richtung Öffentlich-Rechtliche. Vielleicht müssen die es mal ernsthaft probieren, damit man zumindest mal messbare Ergebnisse hat - und bei Olympia nicht zum Frauenfußball-Spiel umschalten, wenn andere Athleten gerade parallel um Medaillen kämpfen. Dabei darf dann der Return-of-Invest nicht in erster Reihe stehen. Ich bin privilegiert, weil ich in einem Verein spiele, dessen Mäzen sich nicht für einen Return-of-Invest interessiert. Es gibt aber zahllose andere Beispiele, vor allem in Einzelsportarten. Es gibt Einzelsportlerinnen und Sportler, die trainieren bis zur Erschöpfung. Ohne die nötige Unterstützung. Das steht in keinem Verhältnis und ist unfair ihnen gegenüber.
sj: Es gibt Studien, die besagen, dass der Fußball ein demografisches Problem bekommt. Ein Generationsproblem und ein Problem mit dem Konsumverhalten junger Menschen. Das heißt, wenn der Fußball nichts ändert, werden ihm die Zuschauer aussterben. Tun eure Sportarten genug dafür, hiervon zu profitieren?
Hayner (Hockey, Crefelder HC): Ich würde dem Hockey-Verband weltweit und auch in Deutschland schon unterstellen, dass sie vorwärtsgewandt sind. Es gibt Überlegungen zu neuen Spielformen, von elf auf fünf Spieler pro Team auf dem Feld. Auch der Videobeweis ist ja etwas, was im Hockey seit Jahren funktioniert, auch bei deutschen Endrunden und nationalen Meisterschaften. Dennoch: Hockey ist eine Sportart, die alle vier Jahre vom Aussterben bedroht ist. Sobald wir nicht mehr bei Olympia sind...
Ignatow (Handball, MT Melsungen): Die Diskussion gibt's bei uns auch: Bleibt Handball olympisch? Die Zuschauerzahlen bei der jüngsten WM waren nicht ermutigend. Ich habe das Gefühl, die Entscheider sind zu bequem. Sie trauen sich nicht genug. Schon gar nicht finanziell. Ich bin zum Beispiel leidenschaftlicher Zocker - aber es gibt bis heute kein Handballgame. Handball ist sehr schnell, das mag eine Herausforderung bei der Simulation sein. Aber in anderen Sportarten funktioniert es ja auch. Dieser Zugang könnte uns so viele neuen Zuschauer und Interessenten bringen. Eine komplette Generation als Markt! Dann würden wohl auch die klassischen Medien reagieren. Hätte ich was zu sagen, würde ich auf dem Gebiet viel anleiern. Immer den Nachwuchs im Blick. Es herrscht einfach noch zu viel Traditionsdenken.
sj: Sollte man mehr auf - insbesondere junge - Aktive hören?
Kaymakci (Fußball, vormals SpVgg Greuther Fürth): Ja. Die Mehrzahl unter uns Sportlern hat mehr Ahnung als die sogenannten Schreibtischtäter, weil wir einfach exklusiven Einblick haben. Die Aktiven wissen, was verändert werden kann – oder müsste –, aber die werden gar nicht gefragt. Sie haben keine Stimme. Gebt sie uns. Bindet uns ein, fragt uns: Was läuft in unserem Verein falsch? Wie seht ihr den Verband? Wie seht ihr den Sport aktuell? Hört, was wir zu sagen haben – und belächelt nicht unsere Meinung. Es ist immer die Rede von mündigen, authentischen Sportlern – es gibt sie. Bindet sie ein, gebt ihnen Raum. Blickt über den Tellerrand und in die Zukunft. Viele Entscheider denken immer nur kurzfristig.
Ignatow (Handball, MT Melsungen): Cool wäre, wen sich die Entscheider der Medien und auch die in unseren Sportarten öffnen für neue, frische Argumente und Ideen - so wie das hier jetzt anklingt. Ich jedenfalls würde versuchen, das Internet besser zu erschließen. Jüngere, altersgerechtere Online-Plattformen anzubieten, abseits des normalen Fernsehens, weil viele junge Leute das gar nicht mehr nutzen.
sj: Inzwischen vermarkten etliche Sportlerinnen bei Onlyfans ihre Haut, weil ihnen das nötige finanzielle Zubrot fehlt, ihrer Sportart auf hohem Niveau nachgehen zu können. Die bezahlen davon ihre Ausrüstung oder ihr Trainingslager. Ist Deutschland noch eine Sportnation?
Hayner (Hockey, Crefelder HC): Historisch gesehen auf jeden Fall, aktuell gerade noch so, wenn es so weitergeht in Zukunft wahrscheinlich nicht mehr. Es müsste Aufgabe des Staates, des Bundes oder des zuständigen Ministeriums sein, adäquate Förderung bereitzustellen. Stattdessen müssen Sportlerinnen ihre Haut zu Markte tragen, Sportler nebenbei noch arbeiten und ihr Equipment selbst anschaffen. Die Frage lautet: Was ist es Staat und Gesellschaft wert? Als Sportler, egal welchen Alters, wird es dir in Deutschland nicht gerade leicht gemacht, deiner Passion nachzugehen. Man schmückt sich gerne mit den Erfolgen, tut aber nichts dafür und wundert sich, wenn sie ausbleiben. Dann macht man wieder eine Abrechnung nach Olympia und sagt: viel zu wenig Medaillen. Ein einziges College in Amerika hat mehr Fördermittel als der gesamte DOSB. Wenn Deutschland eine Sportnation bleiben will, muss Sport wieder einen anderen Stellenwert bekommen und mehr Geld in die Förderung fließen. So wie es in Deutschland ist - 15.000 Euro für eine Goldmedaille und 100.000 Euro für den Dschungelkönig, überspitzt formuliert -, ist es absolut nicht gerecht.
Das Gespräch moderierten Frank Schneller und Stefan Backs.