"Der letzte Kaiser" – das kann jeder. Die Dokumentation, 88 Minuten, über Franz Beckenbauer neun Monate vor dessen 80. Geburtstag erschienen, das ist schon ein Brett. Schöne Bilder, hochkarätige Zeitzeugen im Interview, Erinnerungen bei einem selbst – wo war ich, als Beckenbauer im Moment des WM-Triumphes 1990 allein seine Runde im Olympiastadion von Rom drehte? Ein sehr schöner Film von ZDF und arte. Gar keine Frage. Und doch alles irgendwie so oder so schon einmal gesehen. Beckenbauer eben.
Aber kennen Sie Deniz Cömertpay? Der betreibt den Fahrradverleih Kranich in Norderney und ist gleichzeitig Spielertrainer des örtlichen TuS. Wir lernen ihn kennen in dem Film "Die Inselkicker", der in der Mediathek des NDR zu finden ist. Ein ganz wunderbares Werk rund um das Inselderby zwischen Norderney und dem TuS Borkum in der vergangenen Saison. Es war das erste Pflichtspiel zwischen den Teams der beiden ostfriesischen Urlaubsinseln auf Norderney seit 60 Jahren. Kreisklasse. Aber egal. "Dieses Spiel fühlt sich an wie Bundesliga", sagt einer aus dem Off. (Hardt-Foto: privat)
Die "Sportclub Story" von Jonas Freudenhammer und Zita Zengerling verdient jeden Preis für eine Sportfilm-Doku. Eben weil man so etwas noch nie gesehen hat. Weil es zeigt, wie der Fußball überall die Menschen abholt, begeistert, mitnimmt. Wie die gleichen Rituale gepflegt werden, die die Fans möglicherweise aus der Sportschau von den "Großen" kennen. Fahnen, Gesänge, Schmähungen, Farben. "Legenden" kommen als Zeitzeugen zu Wort, die schon vor 60 Jahren das Derby gespielt haben – und jetzt den Enkel anfeuern. Die Vorbereitungen, das Training, die Anreise der Fans und Spieler aus Borkum, die für 35 Kilometer Luftlinie vier Stunden unterwegs sind, weil sie zwei Fähren nehmen müssen. Nie gesehen bisher. Deshalb: Anschauen!
Überhaupt finden sich so einige Perlen in den Mediatheken. Das Format "Sportclub Story" versendet seine Filme im analogen Fernsehen in der Regel am Sonntagabend nach dem "Sportclub" im NDR-Fernsehen so ab 23.35 Uhr. Das ist Perlen vor die Säue, aber möglicherweise dem Diktat von Quoten geschuldet. Glücklicherweise gibt es die Mediathek und damit auch die Zugänglichkeit der zum Teil großartigen Filme für ein deutschlandweites Publikum. Wie ganz aktuell die Geschichte von Walter Wächter, einem jüdischen Jugendspieler des HSV, der nach drei Jahren Haft 1938 aus Deutschland nach Schweden floh. Das Filmteam begleitete seinen Sohn Torkel Wächter nach Hamburg bei der Aufarbeitung der eigenen Geschichte – und verbindet dies mit der Auseinandersetzung des HSV mit seiner eigenen durchaus unrühmlichen Rolle im Nationalsozialismus. Auch hier gilt: Anschauen!
Und weil wir gerade dabei sind. "Grönlands Fußballhelden – Finale auf Disko Island“. Ebenfalls ein Film des NDR "Sportclub", der auch in der ARD-Mediathek hinterlegt ist. Torsten Vorbau begleitete einen Hamburger Groundhopper, der sich die eine Woche lange Meisterschaft auf der größten Insel der Welt vor Ort ansah. Auch hier dabei Gespräche mit Spielern, dem dänischen Nationaltrainer, Einblicke in das Leben der Aktiven und Landschaft, Landschaft, Landschaft. Also: Anschauen!
Anschauen und sich darüber freuen, dass sich unsere öffentlich-rechtlichen Sender noch den Luxus leisten, solche Filme, solche Dokumentationen auch über abseitig erscheinende Themen und Ereignisse zu produzieren. Gut angelegtes Geld ist das, das uns am Ende bereichert. Doch natürlich droht die Gefahr, dass dies verloren gehen könnte in Zeiten, in denen populistische Schreihälse immer lauter den "Staatsfunk" und "Zwangsgebühren" diskreditieren. Hoffen wir also, dass die Entscheider beim NDR und anderen dem nicht nachgeben und sich weiterhin in der Lage sehen, wunderbare Dokus zu finanzieren – nicht nur, aber auch im Sport.
Andreas Hardt, vormals Redakteur bei SID und dapd, arbeitet als freier Journalist von Hamburg aus. Er schreibt die Kolumne "Hardt und herzlich" für den monatlichen Newsletter des Verbandes Deutscher Sportjournalisten. Hier gelangen Sie zu Hardts Xing-Profil.
Anm. der Redaktion: Für seine Reportage über das Inselderby zwischen Norderney und Borkum wurde Tim Jürgens (11Freunde) im vergangenen Jahr mit dem Großen VDS-Preis ausgezeichnet.