„Originalität und Spontaneität“

Bachelorarbeit zu Fußballkommentierungen – Teil II

01.04.2020 Die Coronavirus-Pandemie hat den Sportbetrieb lahmgelegt. Bald geht es vielleicht wieder los. Doch was macht grundsätzlich eine gute Kommentierung im Fernsehen für die Fans eigentlich aus? Dieser Frage ist der ehemalige VDS/Macromedia-Stipendiat Marc Lennart Wiese in seiner Bachelorarbeit auf den Grund gegangen. Im zweiten Teil seiner Analyse widmet er sich unter anderem Stil und Faktengenauigkeit.
 
Im ersten Teil des Artikels über die Bachelorarbeit des ehemaligen VDS/Macromedia-Stipendiaten Marc Lennart Wiese zum Thema Fußballkommentator*innen ging es um die Methodik der Untersuchung und die überragende Bedeutung der Sprache als Kriterium für eine gelungene Live-Reportage. Befragt als Experten wurden Gerd Gottlob (ARD/NDR) und Alexander Schlüter (DAZN).

Welchen Kriterien wird von Fans und den Experten noch eine hohe Priorität eingeräumt? Eine Meinung, die Fußballfans zu teilen scheinen: 83,6 Prozent der Befragten fanden das Kriterium „Originalität und Spontaneität“ „extrem wichtig“ oder „sehr wichtig“.
 
ARD-Kommentator Gerd Gottlob sieht das grundsätzlich auch so – allerdings nur bis zu einem gewissen Punkt: „Die Authentizität darf nicht unter der Originalität leiden. Einen Spruch sollte man sich niemals im Vorhinein zurechtlegen oder aufschreiben.“ Aus dem Bauch heraus zu kommentieren ist für ihn das Stichwort.

Auf einer Stufe mit der „Originalität und Spontaneität“ steht eine „geringe Anzahl von Fehlern“. Von allen Kriterien wurde dieses von den meisten Befragten (37) für „extrem wichtig“ befunden. Dem gegenüber stehen allerdings drei Befragte, die die Fehlervermeidung „nicht so wichtig“ oder „gar nicht wichtig“ finden. Dies könnte damit zu tun haben, dass es menschlich ist, Fehler zu machen. „Fehler passieren. Aber man sollte die Anzahl so gering wie möglich halten. Am Ende des Tages ist das der Kern der Angelegenheit“, sagt Gottlob.
 
Im Vergleich zu anderen Ländern scheint eine geringe Fehlerzahl vor allem in Deutschland einen hohen Stellenwert zu genießen, wie DAZN-Reporter Alexander Schlüter beobachtet hat: „Wenn der armenische Linksverteidiger falsch ausgesprochen wird, kommt bei Twitter schon schnell mal eine Nachricht.“

Angemessen emotionale Spielbegleitung durch Kommentator*in
 
Eine klare Tendenz ist auch bei der „Emotionalität“ und der „Objektivität“ zu erkennen. 76,1 Prozent der Befragungsteilnehmer*innen ordneten einer angemessen emotionalen Spielbegleitung durch den/die Kommentator*in eine der obersten Wichtigkeitsstufen zu. Dies taten auch Schlüter („extrem wichtig“) und Gottlob („sehr wichtig“). Eine neutrale und objektive Kommentierung halten Gottlob und 25 der Befragten für „extrem wichtig“, Schlüter und 23 Teilnehmer für „sehr wichtig“.
 
Etwas unklarer waren dagegen die Positionen gegenüber den Kriterien „Präzise Ausdrucksweise und knappe Analysen“, „mutige Analysen“ und „Dosierung der Sprechdauer“. Bei allen genannten Merkmalen gab es einen nicht unerheblichen Anteil an Befragten, die nur für „relativ wichtig“ oder „nicht so wichtig“ stimmten.
 
Auch die Experten standen diesen Kriterien zum Teil etwas reservierter gegenüber. Eine „Präzise Ausdrucksweise und knappe Analysen“ hielten beide nur für „relativ wichtig“. Selbiges gilt für Schlüter bei der „Dosierung der Sprechdauer“.
 
Zusätzlich zu den abgefragten Kriterien gaben die Fans ihre Meinung zum Thema „Einzel- oder Doppelkommentar“ ab. Das Ergebnis dürfte Schlüter und seine Kollegen bei DAZN freuen: Mit 71,6 Prozent stimmte die deutliche Mehrheit der Befragten (48) für eine ergänzende Kommentierung durch einen Experten. Nur 13 Personen bevorzugten den klassischen Einzelkommentar.
 
Die Doppelkommentierung ist seit der Gründung ein fester Bestandteil der Sportübertragungen bei DAZN. „So ist es auch mal möglich, in eine Diskussion zu kommen. Ich bin fest davon überzeugt, dass es alles andere als abschreckend ist, wenn zwei Fußballfachmänner die taktische Ausrichtung einer Mannschaft oder eine Elfmeterentscheidung ausdiskutieren“, sagt Schlüter.
 
Gottlob zeigt sich gegenüber der gemeinsamen Kommentierung offen, hält sie jedoch nicht für zwingend notwendig (Gottlob-Foto: NDR/ARD). „Die Glaubwürdigkeit wird dadurch erhöht. Man glaubt jemandem mehr, der selbst hoch gespielt hat und in so einer Situation schon mal war. Insofern ist der Doppelkommentar spannend. Ich glaube trotzdem, dass der Kern des Spiels auch von einem guten Kommentator alleine nähergebracht werden kann.“
 
Sky hat auf die positive Resonanz auf die Doppelkommentierung bei der jüngeren Konkurrenz bereits reagiert. In ausgewählten Top-Partien setzt der Bezahlsender mittlerweile ebenfalls auf das Expertenmodell. Nimmt man das Ergebnis der Befragung, könnten die öffentlich-rechtlichen Sender zumindest darüber nachdenken, künftig ebenfalls Spiele von Kommentator und Experte begleiten zu lassen, wie sie das – etwa bei großen Turnieren – ja früher schon taten.
 
Aber auch hier gilt, wie schon eingangs erwähnt: Die Ergebnisse können nicht verallgemeinert werden. Sie können aber dabei helfen, eine Idee davon zu bekommen, worauf die Mehrheit der Fans bei der Kommentierung im Fernsehen besonderen Wert legt. Eines ist sicher: Weitere Publikumsforschung zur Fußballkommentierung im Fernsehen dürfte das Bewusstsein der Sender für die Interessen ihres Publikums schärfen. Und vielleicht wird die Entrüstung über Reporterinnen und Reporter dann zumindest etwas abnehmen.

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