Gerade sind die Asian Surfing Championships auf der Insel Thulusdoo (Malediven) zu Ende gegangen. Was hätte da näher gelegen, als noch ein paar Tage dranzuhängen? Zumal Afridun Amu, der für Afghanistan startende Surfer aus Berlin, nicht nur auf dem Wasser zu Hause ist, sondern auch liebend gerne taucht.
Als er zur verabredeten Zeit anruft – um 15.00 Uhr Ortszeit – ist er jedenfalls schon ein wenig gesurft. Und da war auch dieser Tauchgang in 35 Meter Tiefe, bei dem sich Amu Bullen- und Tigerhaie aus der Nähe angeschaut hat. Ohne Käfig natürlich. Im Gegensatz zum Weißen Hai gelten Bullen- und Tigerhaie als vergleichsweise berechenbar. "War beeindruckend", berichtet Amu, "trotz eines absoluten Anfängerfehlers meinerseits." Vor dem Tauchgang habe er seine Brille von innen mit Seife ausgespült. "Das hat dann leider unter Wasser furchtbar die Augen gereizt." Und die beiden Kollegen amüsiert, als er ihnen später von seinem Fauxpas berichtete. (Amu-Foto: Screenshot ZDF/VDS; zum entsprechenden Beitrag geht es hier)
Als er bei der WM in Frankreich 2017 erstmals bei einem großen Turnier startete, war das Erstaunen groß: ein Surfer, der für Afghanistan startet, für ein Land ohne Küsten? Wo gibt es denn so was? "Die Menschen assoziieren Afghanistan vor allem mit Gebirgen", weiß Amu. Doch zum einen gibt es dort auch reißende Flüsse wie den Pandschschir, auf denen man surfen kann. Wenn man es kann. Und zum anderen hat die Story noch ein paar andere Haken: zum Beispiel den, dass Amu schon im Kita-Alter nicht mehr in Kabul, sondern in Göttingen lebte. Oder den, dass auch Deutschland eher für spiegelglatte Seen aus Süß- (Bodensee) und Salzwasser (Ostsee) bekannt ist als für massive Wellen, wie sie Surfer brauchen.
Amu stand dann auch in Mimizan Plage an der französischen Atlantikküste erstmals auf einem Brett, dorthin war er mit Freunden von Berlin aus getrampt. Der Rest war Fügung: "Meine Mutter erzählt noch heute, dass ich als kleines Kind fast in den Fernseher reingekrochen bin, als dort Surfer und hohe Wellen zu sehen waren. Das würde erklären, warum es mich sofort gepackt hat, als mir ein Einheimischer sein Board geliehen hat." (Amu bei den World Longboard Surfing Championships 2019, Screenshot: Instagram afridun25/VDS)
Bei Olympia hat Amu seinen Sport "wie ein Grundschullehrer" erklärt
Die Faszination hat "Afri" vor Kurzem auch erstmals einem größeren Publikum vermitteln können. Bei Olympia kommentierte er den Surfwettbewerb zusammen mit Nils Kaben für das ZDF. Unter erschwerten Bedingungen, denn wenn gesendet wurde, war es auf Tahiti mitten in der Nacht. "Leidenschaftlich, gebildet und nerdig", habe er seinen Job erledigt, fand die Süddeutsche Zeitung.
Amu muss lachen, als er mit dem Satz konfrontiert wird. "Nerdig", da weiß er, was gemeint ist: "Ich habe schnell gemerkt, dass ich anfangs viel zu sehr im Insider-Vokabular geredet habe, mich also eher an surfgebildetes Publikum gewandt habe." Fachbegriffe wie "Peel" oder "Cutting rail into water" konnte kaum einer auf Anhieb verstehen. Er habe sich dann schnell umgestellt.
"Und das hat mir dann total Spaß gemacht: Den eigenen Sport wie ein Grundschullehrer zu erklären. Also so, dass Laien etwas verstehen und im Idealfall selbst von dem fasziniert werden, was einem selbst so viel Spaß macht." Genau das, so das fast einhellige Feedback, hat Amu geschafft. Die SZ hat sogar beobachtet, dass ihm das auch mit dem routinierten Kollegen gelang: "Aus dem anfangs noch spürbar fremdelnden Fußballreporter Kaben wurde allmählich ein Surf-Liebhaber, der beim Zuschauen regelmäßig selbst emotional wird."
Ein gebildeter und neugieriger Mensch
Der 37-jährige Amu hat Verfassungsrecht und Kulturwissenschaften studiert und arbeitet als Kommunikationswissenschaftler ("Design Thinking"). Amu, das wird nach wenigen Sätzen klar, ist ein vielseitig gebildeter und neugieriger Mensch, der auch mal Gegenfragen stellt und bei politischen Fragen differenzierter argumentiert als viele Politiker. Über den islamistisch motivierten Mordanschlag von Solingen und die anschließende Debatte hat sich Amu von den Malediven aus informiert. Beides erfüllt ihn mit Sorge.
Er hoffe, dass die Gesellschaft künftig "vor Extremismus und Fanatismus besser geschützt" werde, befürchte aber, dass die perfide Strategie der Islamisten, die westlichen Gesellschaften noch weiter zu spalten, aufgehen könnte: "Ich fürchte, dass das, was diese Schwachmaten tun, das Klima für Migranten in Deutschland nachhaltig verschlechtern könnte."
Für viele Afghanen fühlten sich die gegenwärtigen Diskussionen geradezu grotesk an: "Die sind vor den islamistischen Taliban geflohen und werden hier schräg angeschaut, weil man sie nun für Islamisten hält."