Über das Verhalten von Reportern

Fragen über Fragen

02.06.2023

Reporter können im Stadion so viele Fragen stellen, wie sie wollen – aber: Müssen sie das auch? Warum Provokation nie die Lösung ist und Sensibilität vielleicht die beste Antwort wäre. Gedanken von Felix Haselsteiner.

 

Möglicherweise sollte man das Thema der Fragen mit Christian Streich beginnen, dem Mann, der auf so viele Themen des Lebens Antworten hat. Die Kollegen der Badischen Zeitung sammeln diese Antworten seit einigen Jahren auf ihrem YouTube-Kanal, einige Zeit lang gab es den "Streich der Woche" mit Beiträgen, die auch Jahre später noch sehenswert sind, weil sie sich längst nicht mehr nur mit Fußball, sondern mit gesellschaftlichen Fragen auseinandersetzen. Weil da jemand sitzt, der bereit ist, nicht nur zu reden, sondern die versammelten Journalisten auch an seinem Denken teilhaben zu lassen.

Streich hat meistens gute Antworten parat – aber auch er hat eben nur begrenzt viel Geduld dabei, um sie vorzutragen.

In den vielen Geschichten, die diese Bundesliga-Saison gerade an ihrem finalen Spieltag erzählt hat, gehen die aus dem Saisonverlauf manchmal ein wenig unter. Auch und insbesondere in Freiburg, wo der SC die Champions League knapp verpasst hat, was nun wirklich keine Enttäuschung ist. Wo sich aber vor einigen Monaten ein Fall zutrug, der ein wenig über die Saison aus der Perspektive der Medienvertreter erzählt.

Als beim Pokal-Halbfinale der Freiburger gegen RB Leipzig eine Münze aus dem Zuschauerraum auf den Leipziger Spieler André Silva flog, wurde Streich anschließend selbstverständlich dazu befragt. Er kritisierte das Verhalten der Fans in Fernsehinterviews, auf der Pressekonferenz nach dem Spiel und am Freitag, vor dem Bundesligaspieltag, hielt er nochmal eine knapp dreiminütige Grundsatzrede.

Direkt danach allerdings wurde er nochmal gefragt, wie es denn sein könnte, dass von der Haupttribüne Sachen flögen, woraufhin Streich entgegnete: "Ich hab doch alles gesagt gerade? Was wollt ihr denn jetzt nochmal? Ich hab gesagt, das ist ein Skandal, das geht nicht, also hab ich alles gesagt? Oder nicht?"

In der Situation, alles gesagt zu haben, finden sich Bundesliga-Trainer nur noch selten wieder, denn Fragen darf man ihnen eigentlich immer stellen, auch immer wieder zum selben Thema. Nur: Muss man das auch? Nur weil nirgendwo presserechtlich festgehalten ist, dass das jeweilige Thema der Woche (Münzwurf in Freiburg, Müller bei den Bayern oder Mentalität bei Frankfurt) nur in zwei bis drei Fragen erläutert werden darf, ist das für anwesende Journalisten kein Freispruch von Sensibilität.

Fragen stellen zu können ist ein eminent wichtiges Privileg. Das Gefühl, ständig Fragen stellen zu müssen, hingegen ist eine schlechte Angewohnheit.

Manchmal entsteht diese Angewohnheit aus Unwissen heraus. Dazu ein Beispiel des Autors dieses Textes, der bei einem Auswärtsspiel des FC Bayern in Hoffenheim im vergangenen Jahr Julian Nagelsmann fragte, ob er mit seiner offensiven Aufstellung denn auch in Kauf nehmen würde, mehr Gegentore zu kassieren. Nagelsmann entgegnete, er habe dieselbe Frage "in den letzten vier Wochen 1734 Mal gestellt gekriegt", immerhin Versehen mit dem Zusatz: "Ich weiß, da können Sie nichts dafür." (Nagelsmann-Foto: firo sportphoto/augenklick)

Eine Sichtweise, aber vielleicht eine falsche, denn: Der Reporter konnte natürlich schon etwas dafür. Ein Blick in die Spieltags-Pressekonferenz vom Freitag hätte gereicht, um die Antwort bereits zu kennen und sich die Frage daher gleich zu sparen. Das hätte Nagelsmann und dem Presseraum in Sinsheim ein paar Minuten Lebenszeit gespart, viel wichtiger aber: Das Youtube-Video mit dem Titel "Nagelsmann genervt von Reporter-Frage wegen zu offensiver Aufstellung" wäre nicht entstanden, das ein kleiner Kanal sogleich erstellte und damit boulevardesk profitierte (Link zum Video).

Mehr als 32.000 Menschen haben sich die Frage und die Antwort im Nachgang nochmal angesehen, was sicherlich aufgrund des Framings im Titel nicht zu mehr Beliebtheit für Nagelsmann geführt hat (auch der Fragensteller wurde mit folgendem Kommentar bedacht: "Reporter dieses Kalibers besser mit Papageien besetzen, die sind billiger und man kann noch darüber lachen").

Die Episode erzählt jedenfalls ein klein wenig darüber, warum in Zeiten, in denen hinter jedem aus dem Kontext gerissenen Videoschnipsel ein Shit-storm steckt, nicht nur jede Antwort, sondern auch jede Frage gut überlegt sein sollte.

Reporter haben im Stadion eine Verantwortung hinsichtlich der überlegten Sachlichkeit und vor allem des Verzichts auf jegliche Provokation. Frankfurts Trainer Oliver Glasner wurde letztendlich auch eine Antwort auf die Frage eines Journalisten zum Verhängnis, die in der Wortwahl zwar zu scharf war, aber in gewisser Weise auch sehr menschlich: Glasner hatte den Vorwurf an die Mentalität seiner Mannschaft wochenlang argumentativ gekontert, irgendwann – ironischerweise ebenfalls in Sinsheim – gingen ihm die feinen Worte dazu aber offenbar aus.

Ausfällig zu werden war selbstverständlich keine Lösung, was auch Glasner einsah und sich entschuldigte. Aber egal ob bei ihm oder bei Streich und dem Münzwurf könnte eine Lehre aus dieser Saison sein: Ein wenig mehr Rücksicht für die Gefühle desjenigen, der oben vor dem Mikrofon sitzt, und ein wenig mehr Recherche vorab können das Verhältnis zwischen Reportern und Trainern von diesseits der Empore aus deutlich verbessern.