Erbauliche Zwischenbilanz, steile Visionen: So hatte sich der Handball-Streamingsender Dyn jüngst im Münchner Presseclub den Medienvertretern präsentiert. In der dritten Saison, in der Dyn, Bild/Sport Bild und die Handball-Bundesliga (HBL) gemeinsame Sache machen, werde die nächste Entwicklungsstufe gezündet, so Dyn-Chef Christian Seifert. Handball, sagt der Ex-DFL-Boss, starte gerade erst so richtig durch. Dyn (gehört wie Bild und Sport Bild mehrheitlich zu Axel Springer) hat sein Rechte-Portfolio im Handball-Segment immer weiter ausgebaut - da darf man durchaus groß denken und selbstbewusst auftreten.
Allerdings hätte die große Info-Show von München weit weniger Glamour verbreitet, wenn nicht er auf dem Podium gesessen hätte: Stefan Kretzschmar, Sport-Vorstand des deutschen Meisters Füchse Berlin und Aushängeschild mehrerer Dyn-Formate. Das Gesicht seiner Sportart schlechthin.
Der ehemalige Weltklassespieler, in München schon als "Beckenbauer des Handballs“ geadelt, verkörpert alles, was der Handball für seine Außendarstellung
braucht – und gleichzeitig eines seiner erheblichsten Probleme: Die "stärkste Liga der Welt" hat trotz sportlicher Größen wie Mathias Gidsel, Johannes Golla oder Julian Köster nur einen bundesweiten Medienstar, nur eine echte Zugmaschine: Stefan Kretzschmar. Für öffentliche Aufmerksamkeit ist der 52-Jährige unverzichtbar. Einst MTV-Moderator und seit Jahren TV-Experte, lockt der ehemalige "Handball-Punk" das Publikum an. Auch in München war er der Medienmagnet. Hatte die größte Strahlkraft. Ob er wollte, oder nicht.
"Kretzsche" versteht sich darin, öffentliche Person zu sein. Muss er auch, denn: Diesen Status wird er eh nicht mehr los. Noch heute glauben selbst Handballfans, Kretzschmar habe 2007 beim "Wintermärchen" in Deutschland den WM-Titel geholt. Seine mitunter grenzwertige Doppelrolle als Füchse-Funktionär und Dyn-Experte wird in der Szene trotz einiger Befindlichkeiten hinter den Kulissen mehr als toleriert. Sie ist gewünscht. Von Dyn sowieso. Von der Liga. Von den Füchsen. Von den Medien. Obwohl ihm "bewusst ist, dass die Vermischung etwas delikat ist. Oder es zumindest sein könnte, wenn ich nicht achtgebe." (Foto Stefan Kretzschmar: Füchse Berlin/Screenshot sj/vds)
Man stelle sich vor: Bayern Münchens Sportvorstand Max Eberl würde in einer eigens für ihn geschaffenen TV-Show als Infotainer wöchentlich über die Konkurrenz sprechen, wie es Kretzschmar beispielsweise in den Dyn-Talkformaten "Kretzsche und Schmiso" oder "Harzblut" tut. Die Fußballszene würde vermutlich aufschreien. Denn: Zunächst ist ja nicht umstritten, was da jemand von sich gibt – sondern dass da jemand überhaupt was von sich gibt in einer solchen Doppelrolle. Die Handballbranche indes orientiert sich schlicht an der Rentabilität ihrer schärfsten PR-Waffe. Selbst wenn hier und da Kritik aufkommt – die Kretzschmar allerdings nur selten von vorne begegnet.
HBL-Geschäftsführer Frank Bohmann mag sich auf eine emotionale Debatte darüber nicht einlassen. Er äußert sich betont unaufgeregt: "Dieser Sachverhalt liegt ja schon vor, seit Kretzsche Füchse-Sportdirektor ist. Davor war er auch bereits journalistisch tätig und Vorstand in Leipzig oder auch Angestellter des SC Magdeburg. Ob er hier zu Gunsten seines jeweiligen Klubs irgendwie Einfluss genommen hat, kann ich nicht beurteilen und wir sind nicht in der Lage hier in die eine oder andere Richtung Berufsverbote auszusprechen." Kretzschmar sei nicht der einzige in einer solchen Doppelfunktion, daher sei es "schwierig, Grenzen zu setzen". Er sagt aber auch: "Sollte es einen konkreten Vorfall geben, wo Stefan einen wettbewerbseingreifenden Punkt gemacht hat, hätten wir möglicherweise einen anderen Case."
Die ein- oder andere Äußerung sei womöglich Geschmacksache, räumt Kretzschmar
ein. Eine Einmischung in die Angelegenheiten der Konkurrenz aber mag er nicht erkennen. Da nimmt er sich selbst in die Pflicht. Mehr noch: "Wäre ich nicht bei den Füchsen, sondern nur TV-Experte, dann würde es angesichts dessen, was ich alles erfahre, deutlich ungemütlicher für viele. Ich empfinde ja gerade aufgrund meiner Doppelfunktion eine besondere Verantwortung für meine Aussagen", erklärt er. Ein respektvoller Umgang mit der Aufgabe sei ihm äußerst wichtig. Das gilt zumindest noch für diese Saison. Kretzschmar hat gerade angekündigt, danach "neue Wege" gehen zu wollen – zwischen ihm und Füchse-Geschäftsführer Bob Hanning stimmt die Chemie nicht mehr. (Foto: Dyn, Screenshots sj/VDS)
Zwischen Know-How und Entertainment will Kretzschmar bis dahin nicht als Nestbeschmutzer abgestempelt werden: Der Füchse-Job dienst als Regulativ. Dass er Berlin in seinen Kommentaren bevorzuge, weist er von sich: "Im Gegenteil, ich bin tendenziell wohl eher zu kritisch mit uns." Ob er nicht manch unbequemes Thema rund um den Hauptstadtklub ab- oder umleiten kann? "Nein. Ich weiß doch, dass ich diesbezüglich unter die Lupe genommen werde." Hierzu mögen die Einschätzungen variieren.
Was aber nicht von der Hand zu weisen ist: Der mediale Zugewinn durch Frontmann Kretzschmar für die Handballbranche ist um ein Vielfaches höher als dessen vermeintlicher Interessenkonflikt problematisch. "Kretzsche" versteht sich schließlich auch auf die Kunst des Infotainments, ohne dabei zu trivial zu werden. Dank seiner Expertise gleitet die einmal monatliche Sendung "Harzblut", in der er neben Moderator Florian Schmidt-Sommerfeld, dem ebenfalls TV-affinen Pascal Hens und dem dauerlaunigen Michael Kraus auftritt, nicht zu sehr auf Stammtischniveau ab, auch wenn das mitunter durchaus gewollt ist. Es soll nicht so bierernst zugehen in diesem Format, betont Kretzschmar. Sein inzwischen sehr gut angenommenes wöchentliches Duett mit Schmidt-Sommerfeld hat dank seiner Einlassungen bisweilen sogar journalistische Relevanz. Das Duo kreiert vor der Kamera ganz gerne "die nächste Bild-Schlagzeile".
Andere Protagonisten trauen sich das selten. Sie wagen sich nicht recht heran an die Liga, solange sie bei einem HBL-Klub beschäftigt sind. "Ich habe schon viele Spieler versucht zu animieren, selbst was auf die Beine zu stellen. Ich würde mir das ansehen oder anhören. Bisher vergebens", verrät Kretzschmar. Ex-Nationalspieler wie Hens, Kraus oder Dominik Klein beispielsweise sind nicht Teil der Liga, Sören Christophersen (Hannover), und Johannes Bitter (HSV), beide mittlerweile Klubfunktionäre, kommentieren im TV die Nationalmannschaft, nicht aber die Vereinskonkurrenz.
Das bleibt Grenzgänger Stefan Kretzschmar überlassen. Mit einer Ausnahme: Auch sein nicht minder sendungsbewusster und mit ihm nun zerstrittener Berliner Büro-Nachbar Hanning, will in seiner kicker-Kolumne "noch enger, noch hautnaher dran sein" an der Bundesliga, wie er gerade verkündete. Sachliche Distanz scheint hier die falsche Währung. Es ist indes weder Kretzschmar noch ihm vorzuwerfen, dass derartige Verquickungen Teil des Selbstverständnisses der "Handball-Familie" und ihrer Medienpartner sind.