Das Dilemma mit den Stadion-Vloggern

"Gänsehaut am Schienbein"

03.06.2025

Wie Stadion-Vlogger ein Fußballspiel sehen, kann man lächerlich finden. Aber sie sprechen eine junge Zielgruppe an, die dem Profifußball verloren zu gehen droht. Für die DFL ist das ein Dilemma, schreibt Christoph Ruf.

 

 

Behaupte noch einer, unsere Branche lerne zu wenig dazu. In Stadionvlogs ("Video-Blog") erfährt man beispielsweise, dass "die Kirche" am Kölner Bahnhof "Dom" heißt und die Pizza, die man am Mannheimer Bahnhof kaufen kann, "hmm, total lecker" ist. Für die Älteren: Stadionvlogger sind Influencer, die in ihren Videos einen Stadionbesuch dokumentieren. Mit An-, Rückreise und Übernachtung. Und mit Eindrücken von einem Spiel, von dem die Blogger so sicher vollkommen begeistert sind, wie der Dom in Köln steht.

Über-30-Jährigen mag sich nicht so recht erschließen, warum die meisten Vlogger dauererregt durch ihre Filme führen. Doch Menschen, die im vergangenen Jahrhundert geboren sind, gehören auch nicht in die Zielgruppe von Youtubern wie "Viscabarca", der "seit Kindesbeinen" Barca-Fan ist. Der hat zwei Millionen Follower, wovon wenige über 30 sein dürften.

Bei einem Besuch im Bernabeu-Stadion ist er unter lauter Real-Fans zu sehen. "Oh Gott", sagt er ständig, sein Real-Sidekick hat "sogar am Schienbein Gänsehaut". Merke: "Gänsehaut" haben Vlogger mindestens so oft wie Fußballprofis. Auch der "Wahnsinn" hat Konjunktur, derweil andere ziemlich vieles "geisteskrank" finden - ein Kompliment.

Dass Influencer erst ihre Handykamera justieren und dann jubeln, wirkt für klassische Fans dabei so verstörend wie die Tatsache, dass Vlogger (wenn sie nicht von Sponsoren eingeladen werden) horrende Preise zahlen, um ins Stadion zu kommen. Das alles nicht aus Vereinsliebe, sondern weil prominente Spiele viele Zuschauer versprechen - und damit mehr Werbeeinnahmen.

Die Stars der Branche verdienen Millionen. Dass die zum Teil auch von den Automarken und Hotelketten ("ihr werdet gleich ausflippen") kommen, die immer wieder in den Filmchen abgefeiert werden, ist kein Geheimnis. Allerdings gibt es auch bei den Vloggern unterschiedliche Schwerpunkte. "IboCo" setzt seinen Schwerpunkt auf Traditionsvereine, die auch in der vierten Liga spielen dürfen, und interessiert sich generell mehr für die Kurven als fürs Spielgeschehen. (Foto: Ruf)

Deutlich besser: Die Vlogs von "Torgranate", die mit viel Herzblut und Expertise Klubs wie Wattenscheid 09 oder Hessen Kassel vorstellen. Tore und Highlights werden hier nur kurz gezeigt – und mit Zustimmung der unterklassigen Vereine, die sich über die zusätzliche Publicity freuen.

Mit den reichweitenstarken Vlogs haben sie wenig zu tun. Die zeigen oft völlig skrupellos lange Spielszenen oder gar die kompletten Highlights einer Partie, nicht selten von sehr teuren Plätzen in Höhe Spielfeldmitte aus. Das ist illegal, denn mit dem Kauf eines Tickets verpflichtet sich jeder Stadionbesucher, ab 60 Minuten vor Anpfiff nicht mehr aus dem Innenraum zu filmen.

Von einem "Thema, das leider immer größer wird", spricht Michael Wolf, Pressesprecher des Zweitligisten Karlsruher SC. In der Branche kenne "jeder das Problem". Bei den Zuschauermagneten wie Dortmund oder Bayern seien sicher 40 bis 50 Vlogger pro Spiel im Stadion, auch in Karlsruhe nehme deren Zahl ständig zu. "Einmal war eine von ihnen sogar im Pressebereich, die hatte sich die Arbeitskarte über Umwege besorgt", berichtet Wolf. "Das gab gehörigen Ärger." Dass Influencer keine Akkreditierung bekommen, betonen auch andere Vereinssprecher.

Die DFL hingegen stellen die Influencer vor ein Dilemma. Denn natürlich muss der Ligaverband sein wertvollstes Produkt, das Spielgeschehen, schützen. Andererseits ist nicht wegzudiskutieren, dass der Fußball bei den Jugendlichen an Attraktivität verloren hat. Keine guten Aussichten für den deutschen Profifußball, der deshalb nichts dagegen hat, wenn ein Groundhopper aus England mit Live-Bildern aus dem Ruhrgebiet Werbung für die Bundesliga macht.

Zudem ist auch juristisch nicht alles so eindeutig, wie es scheint. Wer Spielszenen filmt und kommerziell, zum Beispiel über sein Youtube-Account, verbreitet, verstößt nämlich nicht gegen die Urheberrechte – die hat die DFL nur am Basissignal, das die Erst- und Folgeverwerter nutzen und bezahlen. Das autonome Filmen im Stadion verstößt aber gegen die Ticketing-AGBs, denen jeder mit dem Kauf einer Eintrittskarte zustimmt. Ob diese Verstöße künftig von den jeweiligen Klubs verfolgt werden, oder ob das die DFL zentral tun soll, diskutiert derzeit die "Kommission Clubmedien" der DFL.

Christoph Ruf arbeitet als Freelancer von Karlsruhe aus. Hier geht es zu seiner Website.