Warten auf’n Bus

Halbzeit bei den Olympischen Winterspielen

12.02.2022 Das Arbeiten bei den Olympischen Spielen in Peking ist keine Freude. Doch während die Angst vor der Quarantäne von Tag zu Tag schwindet und die Dauerüberwachung zur Gewohnheit geworden ist, schränkt das miserable Transportsystem die Reporter*innen vor Ort weiter massiv ein. Auch das IOC ist keine Hilfe.
Autor: Ute Maag
Hannes und Ralle haben es besser. Die beiden Protagonisten aus der wunderbaren RBB-Serie „Warten auf’n Bus“ sitzen oft stundenlang auf ihrem Bänkchen im Wartehäuschen irgendwo im brandenburgischen Hinterland und reden. Die Olympia-Reporter*innen am „Banquan Service Area Hub“, diesem Unort irgendwo im chinesischen Niemandsland zwischen Peking und Yanqing, harren still im Stehen aus, während die Kälte langsam in ihre Körper kriecht. Ein Wartehäuschen gibt es nicht. Wer sitzen will, muss aufs Dixi-Klo.

Bis zu zwei Stunden, in der Nacht auch mal drei, kann die Wartezeit an diesem zentralen Verbindungspunkt zwischen den Olympia-Clustern Peking, Yanqing und Zhangjiakou betragen. Genau lässt sich das oft nicht vorhersagen. Es gibt zwar Fahrpläne, die jeder*r sich aus verschiedenen Quellen zusammensuchen muss, doch die Planung der Routen ist eine Mischung aus Kopfrechnen und Glücksspiel. Eine „Games-Family-App“ wie bei den Sommerspielen in Tokio, die die schnellsten Wege zuverlässig auf dem Smartphone anzeigte, gibt es für Beijing 2022 nicht. Stattdessen haben die chinesischen Organisatoren ein höchst unübersichtliches Busnetz mit viel zu vielen Umsteigepunkten und nur vage bemessenen Fahrzeiten geschaffen.

Die Atmosphäre ist frostig
Die ultraschnellen Fuxing-Züge (Foto: Ute Maag) sind keine wirkliche Hilfe: Weil zudem mehrere Busse benutzt werden müssen, um vom Hotel übers Pressezentrum zum Venue und wieder zurück zu kommen, summieren sich Fahrzeiten zwischen Stadt und Bergen auf mehr als drei Stunden. Außerdem fahren die Züge nur tagsüber. Die Folge: Anders als vom IOC vorher angekündigt, haben Reporter*innen große Probleme, von Veranstaltungsorten außerhalb ihres Clusters zu berichten. Und das ist nicht die einzige Einschränkung der Arbeitsbedingungen.

Dass eine umfassende Berichterstattung, die auch Land und Leute einschließt, nicht möglich sein würde, war schon vor Beginn der Spiele klar. Die Bewegungsfreiheit für die Akkreditierten beschränkt sich aus Gründen des Infektionsschutzes auf die hermetisch abgeriegelte „closed loop“. Ausflüge hinaus aus dieser olympischen Blase und Begegnungen mit der chinesischen Bevölkerung, die 2008 noch selbstverständlich waren, sind diesmal undenkbar. Die Atmosphäre ist frostiger als vor 14 Jahren. Und das liegt nicht daran, dass es bei Winterspielen nun mal kälter ist als bei Sommerspielen.

Die Regeln diktieren die Gastgeber
Vielmehr lassen die Gastgeber keinen Zweifel daran, wer die Regeln diktiert. Freien und schnellen Zugang zum Internet über das olympische WLAN-Netz „Beijing2022“ gibt es in den großzügig ausgestatteten Pressezentren und den durchweg funktionalen Venues, aber längst nicht in allen Bussen. Und schon gar nicht in den Hotelzimmern. Selbst kürzeste Strecken dürfen nicht zu Fuß gegangen werden – auch wenn das eine 20-minütige Fahrt in einem voll besetzten Bus zur Folge hat. Manche Maßnahme wirkt überzogen, nicht jede lässt sich plausibel mit der Pandemie begründen. Und auch das IOC agiert alles andere als souverän und durchsetzungsstark. Immerhin: Nach Intervention des Press-Operations-Teams unter der Leitung der unermüdlichen Lucia Montanarella funktionieren die Zugänge zu den Mixed Zonen. In den ersten Tagen waren bei einigen Wettbewerben etliche Journalist*innen abgewiesen worden, selbst wenn die Zonen leer waren.

Die wegen ihrer Sicherheitslücken im Vorfeld viel diskutierte App „My2022“ ist vor Ort hingegen kaum Thema. Daten wie Impfnachweise oder Ausweiskopien mussten schon vor dem Abflug übermittelt werden. Bei der Einreise selbst wurde sie nicht benötigt und während der Spiele muss sie, anders als die OCHA- und COCOA-Apps von Tokyo2020, nicht ständig mitgeführt werden. Die Körpertemperatur und weitere Gesundheitsdaten können auch für mehrere Tage nachgetragen werden.

Das Gefühl, überwacht zu werden, ist dennoch allgegenwärtig: Tausende Kameras (Foto: Ute Maag) leuchten alle Winkel aus. Allein in der eingezäunten Auffahrt des Guizhou Hotels in Peking hängen (mindestens) 14 Stück. Der Scanner am Eingang zum Pressezentrum erkennt Ankömmlinge trotz FFP2-Maske zuverlässig, selbst wenn die Akkreditierung unter dem dicken Anorak verborgen ist. Und Wachpersonal passt auf, dass nur ja niemand ausbüxt.

Gegen mögliche Ausspähungen haben sich viele Berichterstatter*innen mit VPN-Clients, Wegwerf-Smartphones und -Laptops gewappnet, die nach der Rückreise vernichtet werden. Andere benutzen ihre normalen Geräte achselzuckend weiter. Ohnehin war zu Anfang der Spiele eine andere Angst viel realer gewesen: die vor einem positiven PCR-Test und anschließender Quarantäne. Erwischt hat es zum Glück keine*n der knapp 110 deutschen Print-, Online- und Fotojournalist*innen, die die Reise auf sich genommen haben. Und dank täglicher Rachenabstriche wird das mulmige Gefühl, doch noch auf ungewisse Zeit und unter möglicherweise unzumutbaren Bedingungen eingesperrt zu werden, mit jedem Tag kleiner. Laut IOC wurden 97 Prozent der Infektionen unmittelbar nach der Einreise entdeckt. Das Prinzip der „closed loop“ scheint also zu funktionieren.

Und so schleicht sich zur Halbzeit dieser merkwürdigen Spiele beim Warten auf den nächsten Bus ein anderer, bei Olympia sonst eher unüblicher Gedanke ins Gehirn so mancher Reporter*innen: das Zählen der Tage bis zum Rückflug.