Gary Neville schippte immer wieder Schnee auf den Rasen von Anfield. Der ehemalige ManUnited-Spieler zeigte damit, dass ihm vor dem Aufeinandertreffen seines Ex-Vereins am 5. Januar mit dem Liverpool FC an einer Absage der Partie gelegen war. Manchester war auf den 13. Platz getaumelt, Liverpool führte die Tabelle souverän an. Jamie Carragher wiederum, eine Legende des LFC, hatte auch eine Schippe in der Hand und räumte seinerseits den Rasen frei. Derlei Späße haben Neville und Carragher laufend im Programm; Carragher trägt gerne ein T-Shirt mit dem Foto, das den Gesichtsausdruck der beiden bei einem 7:0-Sieg für Liverpool festgehalten hat.
Beide gehören zum festen Stamm der (Sky-) Experten in der britischen Fußball-Berichterstattung – und treten dabei mit viel mehr Witz auf als die meisten Showgäste hierzulande. Man denke nur einmal an den ironischen Hinweis von Werders Frank Baumann vor drei Jahren, dass Stefan Effenberg auch "ein ganz ordentlicher Kicker" gewesen sei. "DU warst ein ordentlicher Spieler, ich war besser. Genauso arbeitet ihr anscheinend", keifte "Effe" zurück.
Doch nicht nur in puncto Humor läuft die mediale Berichterstattung auf der Insel anders ab, wie ein genauerer Blick verdeutlicht. Neville, Carragher und viele andere Ex-Profis gehen gleichsam analytisch in die Tiefe und treten zudem in Podcasts auf.
"Die Fußball-Experten, mit denen ich groß geworden bin, haben ihre Lieblingsklubs immer versucht zu verheimlichen. Der Aufstieg von Carragher, Neville und anderen seit den frühen 2010er-Jahren markierte ein Umdenken", sagt Jonathan Liew vom Guardian, einer der profiliertesten Sportjournalisten im Vereinten Königreich: "Die Idee war, dass ihre Parteilichkeit transparent wurde, auch aus Respekt vor dem Zuschauer."
Genau deswegen müssen die "pundits" eben genau auf ihre Urteile zu den jeweiligen Vereinen achten, können sich aber gleichzeitig humorvoll gegenseitig hochnehmen, wie Fans es tun. Neville und Carragher blühen in ihrer Rolle noch einmal mehr im Vod-/Podcast "Stick To Football" mit Roy Keane, Ian Wright und Jill Scott auf. Auch andere Experten wie Gary Lineker sind neben ihrer TV-Tätigkeit regelmäßig in eigenen Podcasts und im Radio zu hören. Auch diese multimediale Verbindung ist in Deutschland noch eher untypisch. (Foto Linkeker: BBC/screenshot YouTube vds/sj)
Fußball gibt es im UK schon länger und vielfältiger auf die Ohren. Der Sender talkSport sendet durchgehend und animierte schon Jürgen Klopp zu Repliken auf seinen Pressekonferenzen. Führend ist der Podcast "Football weekly" des Guardian, der schon 2006 startete und nach eigenen Angaben sechs Millionen Zugriffe allein während der WM 2022 verzeichnete. Das Erfolgsmodell: ein stetes Panel mit den wiederkehrenden Hosts und Gästen, alle mit ihren eigenen Macken und Lieblingsklubs.
"Audioberichte haben hier einen hohen Stellenwert", erklärt Liew vom Guardian: "Die Leute sind es gewohnt, dass Fußball in ihre Ohren gepumpt wird. Es ist noch gar nicht so lange her, dass weniger als die Hälfte aller Premier-League-Spiele live im TV ausgestrahlt wurde." Was oft vergessen wird: Samstagnachmittags von 14.45 Uhr bis 17.15 Uhr gibt es keine Live-Übertragungen in Großbritannien – zum Schutze des Amateurfußballs. "Gerade aufgrund der historischen Dominanz von Sky hat die Mehrheit der Haushalte wenig bis keinen Zugang zu regelmäßigem Live-Fußball", meint Liew.
Umso wichtiger erscheint im TV die "heilige Kuh" der BBC: "Match of the Day" am Samstag und Sonntag, vergleichbar mit der ARD-"Sportschau". Es ist eines der wenigen Programme des Senders, bei dem die Einschaltquoten nicht fallen. Etwa die Hälfte der heimischen TV-Zuschauer würde Fußball ausschließlich über die Berichte der BBC sehen, heißt es vom Sender. Seit 1964 gibt es "MOTD", bis 2029 hat sich die BBC die Rechte an den Highlights der Partien gesichert, die Live-Spiele gibt es bei Sky oder TNT.
Seit mehr als zwei Dekaden führte der frühere Profi Lineker verlässlich durch die Sendung, doch in diesem Jahr hört er auf. Welchen Stellenwert "Match of the Day" genoss, zeigten die landesweiten Debatten im Jahr 2023 darüber, dass der Moderator nach einem Tweet zu Asylgesetzen gefeuert werden sollte. Während seiner kurzzeitigen Suspendierung solidarisierten sich viele Experten und Ex-Profis mit Lineker. Nach dem Meistertitel seines geliebten Leicester City FC löste er 2016 eine Wette ein und moderierte in Unterwäsche – auch dies erscheint in Deutschland unmöglich. Die Suche nach seinen Nachfolgern produzierte Schlagzeilen und erinnerte an Spekulationen über den kommenden James Bond.
"Die Bond-Analogie ist nicht unzutreffend. Allein aufgrund des Rufs von 'Match of The Day' im Pantheon der Sportsendungen ist die Rolle der Moderatorin oder des Moderators hochverehrt und nur jene an der Spitze kommen dafür in Frage", sagt der Autor Matt Eastley, der gerade ein Buch über die klassische TV-Berichterstattung in England veröffentlicht hat ("Brian Moore Saved Our Sundays"). Er fügt an: "Selbst wenn am Samstag manche nicht mehr einschalten, so schauen sie die Wiederholung am Sonntag. Die Sendung ist eine echte Institution."
Mit Gabby Logan, Mark Chapman und Kelly Cates wird nun ab Sommer ein Trio übernehmen. An ihrer fachlichen Qualifikation gibt es so wenig Zweifel wie an ihren Lieblingsteams. Logan schwärmt für Newcastle, Chapman für ManUnited und Cates für Liverpool. Das geht aber auch nicht anders: Sie ist schließlich die Tochter der Klublegende Sir Kenny Dalglish.