6. Sportethischer EKD-Fachtag

Märchen, Transformation und Heldinnen

31.03.2024

Der 6. Sportethische Fachtag der EKD "Zwischen verliebter Nähe und kritischer Distanz" lotete das Beziehungsgeflecht von Sport und Medien aus. Albert Mehl blickt auf eine erkenntnisreiche Veranstaltung in der Evangelischen Akademie Frankfurt zurück.

 

Der Sportethische Fachtag der Evangelischen Akademie Frankfurt hat inzwischen einen gewissen Stellenwert. Schließlich fand er inzwischen schon zum sechsten Mal statt. Auch für den Verband Deutscher Sportjournalisten war er diesmal mit besonderer Bedeutung versehen. Denn es ging bei dem Titel „Sport und Medien – Zwischen verliebter Nähe und kritischer Distanz“ um unsere ureigenen Themen und Fragestellungen. Zudem waren mit dem VDS-Präsidenten André Keil sowie Martina Knief, der Vorsitzenden des Vereins Frankfurter Sportpresse zwei exponierte Vertreter unserer berufsständischen Organisation mittendrin statt nur dabei. Eine Aufzeichnung des Fachtags ist im YouTube-Kanal der Evangelischen Akademie Frankfurt verfügbar. Bitte klicken Sie dazu hier.

„Journalismus hat Zukunft. Diese Zukunft liegt im guten Journalismus.“ Mag sein, dass Hans Leyendeckers Fazit sehr stark vom Blick zurück geprägt war. Denn der Grandseigneur des Investigativen Journalismus befindet sich nun schon seit einigen Jahren im Ruhestand. Aber wer seinen Vortrag „Wir und die Anderen – Sportjournalismus zwischen Buschi’ und Hajo Seppelt“ verfolgt hat, der konnte seinen Schlussfolgerungen viel abgewinnen. Schlussfolgerungen, die der langjährige Redakteur bei Spiegel und Süddeutscher Zeitung aus seinem Rückblick auf die Entwicklung des Sportjournalismus in unserem Land zog. Und damit den Einführungsvortrag des 6. Sportethischen Fachtags der Evangelischen Kirche in Deutschland in der Evangelischen Akademie in Frankfurt bestritt.

Die Hybridveranstaltung des Instituts im Schatten des Frankfurter Römers beleuchtete unter der Leitung von Eugen Eckert und Hanna-Lena Neuser für das Sportethische Forum der EKD etliche (aktuelle) Aspekte des Sportjournalismus, fußte aber auf den einleitenden Ausführungen Leyendeckers. Der die Sicht eines „ehemaligen Journalisten, der nie in einer Sportredaktion beheimatet war, aber gerne für den Sport geschrieben hat“, darbot. Der nur zu gut noch die Zeit rekapitulieren kann, als Sportjournalisten in den Redaktionen nicht als vollwertig galten.

„Nach meiner Einschätzung hat sich der Sportjournalismus positiv entwickelt, sehr positiv“, sagt Leyendecker. Bei der SZ sei er sogar zum „Aushängeschilds des Blatts“ geworden. Insgesamt seien aus Außenseiter der Redaktion Aufsteiger geworden. Im Blick auf die derzeitige Situation gebe es „herausragenden und ganz schlechten“ Sportjournalismus. Mit vielen kritischen und neuen Themen wie Rassismus, Homosexualität und Korruption, aber auch mit „vielen nichtssagenden Klicks“, was vor allem auf den gewaltigen Veränderungen im Fußball-Journalismus basiere. In den kleineren Zeitungen bekämen gerade die Sportredaktionen (und dazu die „Freelancer“) die negativen Folgen dieser Veränderungen zu spüren. Was Leyendecker aber nicht daran hinderte, die eingangs zitierte Prognose in den Raum zu stellen.

Einmal mehr interessant waren die anschließenden „Impulse und Irritationen“, in denen vor allem Vertreterinnen und Vertreter aus der Branche einzelne Aspekte besonders beleuchteten. Oder etwas von außerhalb. Wie Prof. Michael Roth. Der Inhaber des Lehrstuhls für Systematische Theologie und Sozialethik in Mainz sah es als „ethisch besonders spannend“ an, wie Journalisten mit dem Faktum der Nähe und der Distanz zu den Sportlern umgehen. Eine große Kumpanei könne genauso hinderlich sein wie eine (zu) große Distanz, hat Roth festgestellt. Ein Problem ist für ihn dem Sportjournalismus inhärent: „Ohne Nähe, ohne das Hineintauchen gibt es keine Sportberichterstattung.“ Die Grenze aus sportethischer Sicht sei überschritten, wenn der Sport an sich nicht mehr angemessen dargestellt werde. Und noch ein interessanter Rothscher Ansatz: Letztendlich seien Sport und Spiel im Blick auf die reale Wirklichkeit zweckfrei und überflüssig. Wenn man diesen Gedanken weiterspinne, seien Sportjournalistinnen und Sportjournalisten „Märchenerzähler“.

Tiefgehende Berichte aus dem Innenleben des Sportjournalismus und „Höchste Zeit für Heldinnen im Sport!“

Demgegenüber berichteten weitere Referentinnen und Referenten handfest aus dem Innenleben des Sportjournalismus. So berichtete Andreas Schirmer als Nachrichtenagentur-Journalist (dpa) und sah sich als Sprachrohr für die Zeitungen, von denen es immerhin noch rund 340 Tages- und Wochenzeitungen (mit 13 Millionen Abonnenten, inklusive 2,4 Millionen E-Paper-Beziehern) gebe. Die Branche befinde sich in einem „fundamentalen Wandel“, die digitale Transformation laufe auf Hochtouren. Und in einem gewissen Widerspruch zu Hans Leyendecker sieht Schirmer den kritischen Qualitätsjournalismus immer mehr in den Hintergrund treten. Themen des Breitensports spielten so gut wie keine Rolle mehr, die sportliche Vielfalt sei Mangelware. Themen der Sportpolitik seien allenfalls im Zusammenhang mit Fußball gefragt. Es gebe kaum ein Sportportal, das nicht mit Fußball aufmache. Schirmers Fazit: „Es ist noch allemal viel Luft nach oben im Sportjournalismus.“

Das sieht auch ZDF-Sportreporterin Claudia Neumann so. Allerdings unter der Vorgabe „Höchste Zeit für Heldinnen im Sport!“. Die habe es schon immer mal gegeben, wie Tennis-Star Steffi Graf oder im Alpinen Skisport und später im Biathlon. Letztendlich habe der Fußball und die Berichterstattung darüber die Vielfalt des Sports aber im Keim erstickt. Andererseits sei der Fußball mit seinen Frauen jetzt ein Vorreiter geworden, ein „eigenständiger Markt, immer professioneller und wertiger“. Das sieht Neumann als Aufforderung, auch andere Sportarten medial zu begleiten, wobei die Fernseh-Frontfrau zugesteht, dass Individualsportarten besser dastünden als Mannschaftsportarten, weil besser geeignet für „Storytelling“. Gerade im weiblichen Bereich (Neumann-Foto: Evangelische Akademie/YouTube).

Dagegen brach Martina Knief vom Hessischen Rundfunk eine Lanze für die Sportberichterstattung im Radio. Das sei immer noch das schnellste Medium, führte die Vorsitzende des Vereins Frankfurter Sportpresse ins Feld. „Wir begeistern die Menschen am Radio. Wir reportieren noch und sind ganz nah dran.“ Beim Hörfunk würden Bilder im Kopf kreiert, um anderen das Spiel näherzubringen. So sei die samstägliche Bundesliga-Konferenz immer noch ein „Evergreen im Radio“, ein bundesweites Erfolgsmodell. Wohl auch im Blick auf Claudia Neumann räumte Martina Knief ein, dass Sportreporterinnen bei der Fußball-Berichterstattung immer wieder Steine in den Weg gelegt würden.

Einen ganz besonderen Aspekt des Sportjournalismus beleuchtete André Keil. Der Chef vom Dienst beim NDR in Mecklenburg-Vorpommern und Präsident des Verbandes Deutscher Sportjournalisten wies seiner Zunft eine „treibende Rolle im Aufarbeiten der Sportgeschichte der DDR“ zu. Nach dem Ende der (parteiischen) Rolle des Sportjournalismus unter den Diktatur-Bedingungen Ostdeutschlands habe hier eine Renaissance des kritischen und investigativen Journalismus begonnen. Die Kollegenschaft bei diesen Themen sei „überschaubar“, habe aber „sehr erfolgreich“ gearbeitet. Doch in den vergangenen Jahren habe sich die Situation grundlegend gewandelt mit den vereinsinternen Querelen der Doping-Opfer-Hilfe. Diese Zerwürfnisse hätten sogar dazu geführt, dass gesicherte Erkenntnisse inzwischen angezweifelt würden. „Die rationale journalistische Bewertung ist auf der Strecke geblieben. Die Geschädigten erleben ihre zweite Traumatisierung“, urteilt Keil.

Was für Thorsten Latzel, unter anderem „Sportbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland“, mit ein Grund war, in seinem Fazit darauf abschließend einzugehen. Mit der Forderung, dass die Medien gerade auch die „Verletzungsgeschichten und Schattenseiten“ erzählen müssten. Passend, kurz vor der Passionszeit.