Warum das Sportradio Deutschland nicht funktionieren konnte

Programmiertes Scheitern

01.03.2023

Der Sender Sportradio Deutschland versprach Großes – und hielt nichts. Wie es dazu kommen konnte, beleuchtet sportjournalist-Autor Frank Schneller.

 

„Sportmediengeschichte schreiben.“ Nicht weniger als das wollten Geschäftsführer Erwin Linnenbach und sein Programmchef Alexander Fabian, als sie mit Sportradio Deutschland, dem bundesweit ersten 24/7-Sportangebot im Radio von Leipzig aus auf Sendung gingen. Bei der Sächsischen Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien war die Zulassung der Sportradio Deutschland GmbH (sie gehörte zum Radio-affinen Technologie-Investor Bugovics) beantragt und der letzte Programmplatz auf der nationalen Plattform DAB+ gesichert worden. Linnenbach, wahrlich kein Novize im Radiogeschäft, hatte große Visionen.

Das Konzept für das ambitionierte Digital-Abenteuer stichhaltig erklären konnte seinerzeit auf Anfrage indes keiner so richtig. Die Macher kompensierten das mit einer Menge Mut und Pioniergeist – und drehten auf: Rund 67 Millionen Hörer könnten mit dem Mix aus News, Infotainment, Talk, Podcasts, Service, Porträts und Reportagen aus Spitzen- und Breitensport erreicht werden, behauptete Linnenbach. „Die Kapazität ist vorhanden. Wirtschaftlich kann man sich da herantrauen.“ Der Jahresetat sollte im deutlich siebenstelligen Bereich liegen, in der Werbewirtschaft erhoffte man sich „hohe Relevanz“. Dafür müssten entsprechende Hörerzahlen generiert werden, im sechsstelligen Bereich pro Stunde wollte man absehbar ankommen. Das war im Frühsommer 2021.

Im Dezember 2022 dann waren all diese Richtwerte Makulatur, und das Stück Sportmediengeschichte kam eher daher wie aus dem Reich der Fabel. Man werde sich „strategisch neu positionieren“ und sich ab 2023 auf seine „Holdingfunktion fokussieren“, hieß es da. Und: „Der Audiomarkt ist mehr denn je in Bewegung, und die Chancen, die sich in diesem Rahmen für uns als Investoren und Innovatoren ergeben, waren nie größer.“ Zitat Linnenbach. Um das Potenzial auszuschöpfen, seien jedoch Änderungen notwendig: „Das daraus zwangsläufig folgende Auslaufen des Projekts Sportradio Deutschland ist uns naturgemäß nicht leichtgefallen.“ Absender dieser Verlautbarungen: die Dachorganisation Teutocast GmbH (Linnenbach-Foto: Sportradio Deutschland).

Aus. Vorbei. Nach eineinhalb Jahren. Radio Gaga statt Radiorevolution. Nicht das erste eingestellte Format aus dieser Kategorie. 90elf, Sport1.fm und nun auch Sportradio Deutschland. Doch selten schien das Scheitern derart programmiert gewesen zu sein. „Es war von Anfang an ein schwieriges Projekt“, sagt Ulli Potofski, der als Frontmann verpflichtet worden war und mit seiner Morgensendung für Qualität und Quote sorgen sollte.

„Die Verantwortlichen haben sich wirklich viel Mühe gegeben, aber dabei leider sehr viel falsch gemacht. Trotz der anfänglichen Euphorie war das Projekt wirtschaftlich nie tragfähig. Ohne Finanzierungsplan konnte das kommerziell trotz etlicher guter Beiträge nicht funktionieren“, erklärt Potofski. Rechte? Werbung? Cross-Over-Deals? Von allem zu wenig. „Zudem kamen Covid und Ukraine-Krieg für solch ein Start-up natürlich auch zur Unzeit. Aber: Die Mehrheit der Fehler war hausgemacht. Es wurde mit viel Engagement und Herzblut zu oft auf die falschen Themen gesetzt“, sagt Potofski.

Die nun größtenteils dem Arbeitsmarkt überlassene Crew hatte schnell gemerkt, dass auf Führungsebene oftmals Durcheinander herrschte. So warteten Reporter im Stadion oder in der Handball-Arena auch schon mal vergeblich auf den Anruf für die vorher verabredete Live-Schalte. Zudem sei die Beratungsresistenz der Chefs unverkennbar gewesen. Potofski beispielsweise wurde ausschließlich als prominente Stimme verpflichtet („Solche Effekte aber werden oft überschätzt“), als Berater aber nicht gehört.

Zu viel Nische, zu wenig Topereignis, zu wenig Erholung – das Angebot von Sportradio Deutschland war zu „nerdig“. 

Dabei hätte die Moderatorenlegende gewiss manchen Tipp geben können. Beispielsweise, dass das Angebot nicht ausgewogen genug ist. Zu „nerdig“. Zu viel Nische, zu wenig Topereignis. Zu wenig Erholung. Dass nicht auch auf Musik gesetzt wurde – für Potofski ein weiterer Kardinalsfehler. Zum Ende hin, als bereits gespart werden musste, wurde er auf Raten ausgeblendet.

„Zwar sind die Zeiten für Radioformate wie dieses generell kompliziert. Dennoch ist es nicht pauschal so, dass sie nicht mehr zeitgemäß sind, selbst wenn auch Nischenradio zunehmend zentralisiert wird. Aber in diesem speziellen Fall waren Herangehensweise und Umsetzung – mit Verlaub – einfach schlecht“, urteilt Ulrich Bunsmann, Experte für Radio-Kommunikation und vormals Geschäftsführer und Programmchef bei alsterradio. „Da war handwerklich viel im Argen: Die akustische Anmutung, die technische Umsetzung, die personelle Besetzung – viele der angeheuerten Leute waren noch in der Ausbildung, die kompensierten mangelnde Erfahrung und Qualität primär mit Leidenschaft. Diesen Vorwurf muss sich die Führungsriege machen lassen.“

Nicht nur diesen, aus Sicht des Radiofachmanns: Kaum wahrnehmbare Vermarktung – beispielsweise im Doppelpass mit Lokalsendern – und geringe Reichweiten sieht er als weitere Gründe des schnellen Scheiterns: „Ich habe hier keinerlei Dynamik seitens der Protagonisten erkannt. Dabei ist so ein Unterfangen in erster Linie eine wirtschaftliche Frage. So etwas scheitert immer an den Kosten. Selbst wenn man sich mangels Rechte primär auf Randsportarten fokussiert, muss in solch einem Projekt ausreichend Geld stecken. Man braucht Substanz und Kondition, beides war nicht vorhanden“ (Bunsbach-Foto: alsterradio).

Ein Sport-Dauerprogramm ohne Fußballrechte sei von vornherein ein größeres Wagnis gewesen als von Linnenbach, Fabian & Co. Suggeriert hatten. „Wer da ein alternatives, hintergründiges Angebot machen will, braucht im Konkurrenzkampf schlicht Connections, Nähe, Präsenz vor Ort. Das wiederum erfordert gut vernetzte, erfahrene Leute, nicht nur Fakten-Nerds, Quereinsteiger und Volontäre ohne Führung“, sagt Bunsmann.

Dass auch Podcasts am Ende nicht halfen, wundert ihn wenig: „Radio und Podcast stehen nicht in direkter Konkurrenz zueinander. Größter Gegenspieler des Radios sind die Streaming-Angebote mit ihrer Musik, aber sie liegen auch nicht auf einer Wellenlänge. Klassisches Radio ist Tagesbegleitung, Podcasts sind das nicht.“

Was alle Befragten besonders umtreibt: Der Umgang mit den rund 100 festen und freien Mitarbeitern, die nach so kurzer Zeit wieder auf Volontariats- oder Jobsuche sind, so notwendig der Schritt aus unternehmerischer Sicht auch gewesen sein mag. Am Ende seiner Stellungnahme zur sogenannten Neuausrichtung „bedankt“ sich Erwin Linnenbach „bei allen Mitarbeiter:innen und Partner:innen von Sportradio Deutschland, dass sie uns auf dieser Reise begleitet haben“. Es gibt nicht wenige, die das zynisch finden.

Frank Schneller, Jahrgang 1969 und Mitglied des Vereins Hamburger Sportjournalisten, ist selbstständig tätig. Er leitet in der Hansestadt das Redaktionsbüro Medienmannschaft.