Der weibliche Zyklus wird immer mehr Thema – warum erst jetzt?

Reden wir über Blut

01.02.2023

Frauen sollten auch im Sport lange Zeit einfach nur gut aussehen. Über Menstruation und Hormone wurde öffentlich nicht gesprochen. Das ändert sich gerade, berichtet sportjournalist-Autorin Katrin Freiburghaus.

 

Wer vor zehn Jahren nach Informationen zu Sportlerinnen und Menstruation suchte, fand dazu in erster Linie sexistische Anekdoten oder unvorteilhafte Fotos. Seit ein paar Jahren werden derartige Einlassungen nicht nur seltener, es hat gleichzeitig auch eine ernsthafte inhaltliche Auseinandersetzung mit einem beeindruckend konsequent vernachlässigten Thema begonnen: dem Einfluss des weiblichen Zyklus auf das sportliche Leistungsvermögen von Hobby- und Profisportlerinnen.

Nachdem die US-Fußballerinnen 2019 die WM gewonnen und in der Vorbereitung auf zyklusbasiertes Athletiktraining gesetzt hatten, erreichte das Thema erstmals eine breitere Öffentlichkeit; auch deutsche Medien zogen vereinzelt mit. Im vergangenen Jahr nahm das Interesse noch einmal signifikant zu, von der Print-Reportage bis zum Fernseh-Halbstünder entstand eine beachtliche Zahl redaktioneller Beiträge zu zyklusbasiertem Training im Hobby- und Profisport. Aber warum eigentlich erst jetzt?

„Für eine Sache, die die halbe Menschheit betrifft, ist es schon sehr erstaunlich, wie lange auf vielen Ebenen so getan wurde, als gäbe es das einfach nicht“, sagt Hendrik Maaßen, der gemeinsam mit Anne Armbrecht und Ina Kast die Dokumentation „Der Zyklus-Faktor“ für den NDR zum Thema produzierte (hier können Sie sich den Beitrag anschauen; die Red.). Bei der Suche nach strukturellen Ursachen für das peinlich berührte Schweigen wird man indes schnell fündig. Die weibliche Menstruation „war und ist in der Gesellschaft noch immer ein Tabu“, sagt Maaßen (Foto: privat).

Die Sport- und Trainingswissenschaft bildete da keine Ausnahme. Athletinnen wurden lange wie „kleine Männer“ behandelt, wie Chelsea-Trainerin Emma Hayes vor einigen Jahren beklagte. Sie nahmen die Pille, um ihren Zyklus zu plätten, die Datenlücke zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen über den männlichen und weiblichen Körper tat ein Übriges.

Der zunehmende Grad an Optimierung und ein gestiegenes Bewusstsein für gesundheitliche Folgen falschen Trainings für Athletinnen haben jedoch dazu geführt, dass aktuell vermehrt zu dem in puncto Datenerhebung hoch komplexen Thema geforscht wird. Die Zunahme in der Berichterstattung erklärt sich Maaßen allerdings anders. „Sportjournalismus ist traditionell männlich geprägt, erst seit 10, 15 Jahren gibt es wirklich einen Anstieg an Frauen“, sagt er, „wie wichtig das ist, sieht man genau an solchen Themen: Wenn nur Männer über Sport berichten, dann eben auch immer aus dieser Perspektive.“

Letzteres habe dazu geführt, dass Sportlerinnen nicht das Gefühl hatten, öffentlich über das Thema sprechen zu können, weil sie mit überforderten Reportern konfrontiert waren, die dann wiederum nicht berichten konnten, was zuvor niemand ausgesprochen hatte. Dass das Thema nun medial vermehrt aufgegriffen wird, hat fast ausschließlich mit den Athletinnen selbst zu tun (Screenshot: Laura Philipp/Instagram).

In Deutschland kommt kaum ein Beitrag ohne die Triathletin Laura Philipp aus, die das Thema auch auf ihren persönlichen Kanälen bespielt und – man muss es so sagen – damit Aufklärungsarbeit für einen Berufsstand leistet, der lange ausschließlich männlich und weder im Thema noch sonderlich interessiert daran war.

Um dem Kreislauf aus Schweigen und Ignorieren zu entkommen, brauche es Vorbilder auf beiden Seiten, betont Maaßen: „Athletinnen wie Philipp, die das ansprechen, aber genauso Journalist*innen, die es abbilden.“ Dass sich der Sportjournalismus mit seinem Teil der Aufgabe schwertat, lag auch an historischem Ballast: Frauensport sollte lange Zeit vor allem ästhetisch sein.

„Es geht dabei um tief verankerte gesellschaftliche Klischees“, sagt Maaßen, „Frauen sollten schön aussehen und nicht Unschönes sagen – da passte ein Thema wie Monatsblutung nicht ins Bild. Das wäre auch nichts gewesen, worüber sich ein Hauptsponsor einer Athletin bei der PK gefreut hätte.“

Maaßen will die aktuelle Entwicklung aber nicht auf die Bedeutung der Menstruation im Frauensport reduzieren. Es sei insgesamt spürbar, dass an derartigen Klischees gerüttelt werde: „Man sieht daran exemplarisch, dass mehr Frauen im Sportjournalismus für andere Debatten und neue Themen sorgen – das öffnet die Perspektive und tut einem Sportjournalismus für alle wahnsinnig gut.“

Katrin Freiburghaus arbeitet von München aus als Freelancerin, unter anderem für Süddeutsche Zeitung und SID. Hier geht es zu ihrem Xing-Profil.