Ein Mittwochabend im Februar in Iowa City. Die Basketball-Männer der University of Iowa sind heute chancenlos, die Atmosphäre in der halbvollen Halle hält sich in Grenzen. Nur vier Tage später ist die Carver Hawkeye Arena randvoll, die Stimmung der 15.000 Zuschauer in der tief in das Erdreich hineingebuddelten und natürlich wieder einmal ausverkauften Halle brodelt – kein Wunder, es sind die weiblichen Studierenden, die am Sonntagmittag Basketball spielen. Eine knappe Niederlage gegen den haushohen Favoriten von der UCLA, die niemanden wirklich schert. Die Fans kommen nach Iowa City um College-Frauensport zu sehen, viele haben sich zuvor schon die Wettkämpfe im Frauen-Wrestling angesehen.
Wer wie ich vier Wochen auf Einladung von drei Universitäten durch den Mittleren Westen der USA reist, erlebt eine andere Sportwelt, ein Miteinander von Konkurrenz und Kommerz, von Ideologie und Inszenierung, Wettkämpfe, die in Vielem ähnlich, aber doch so anders sind als ich sie als Sportjournalist aus der Heimat kenne. Bei meiner dritten langen US-Reise nach 2018 und 2022 scheinen Sport und Politik auf den Kopf gestellt, viele tradierte Verhaltensmuster habe ich dieses Mal in Iowa, Nebraska und Wisconsin neu gelernt.
Das Ticket für die Basketball-Boys war mit 25 Dollar günstig, die teuerste Eintrittskarte für das Frauenteam hätte mich mehr als 1000 Dollar gekostet, zum Glück wurde ich von der Fakultät eingeladen. Sicher, das ist vor allem Caitlin Clark zu verdanken. Die in Iowa geborene Spielerin studierte an der Uni, hat in ihrer College-Karriere so ziemlich jeden Rekord gebrochen und ihre Mannschaft in das Finale der US-Meisterschaft im Basketball, der berühmten March Madness, geführt. Nach Abschluss des Studiums spielt sie nun in einem Profiteam in Indiana, hat einen millionenschweren Werbevertrag mit Wilson, steht beim American Football in der Promi-Loge an der Seite von Taylor Swift – und hat als erste Basketballerin die Top Ten der weltweit meistverdienenden Sportlerinnen erklommen. (Horky-Foto: Hochschule Macromedia)
Aber es sind nicht nur die Starsportlerinnen. Neben Iowa liegt Nebraska, der große Rivale, wohl so ziemlich die Mitte der USA. Gleich neben der größten Stadt Omaha hat die beschauliche Hauptstadt Lincoln rund 300.000 Einwohner, dazu etwa 20.000 Studierende an der University of Nebraska-Lincoln (UNL). Das Memorial-Stadium für American Football fasst knapp 100.000 Zuschauer, es ist seit über 60 Jahren ausverkauft – noch einmal: Es handelt sich um Collegesport, nicht um die NFL. Und die UNL hat Frauen-Volleyball und zugegeben ein wirklich starkes Team mit mehreren Nationalspielerinnen. Aber auch das Bob Devaney Sports Center ist mit knapp 10.000 Zuschauern meist ausverkauft. In 2023 verlagerte die UNL ein Volleyball-Spiel gegen das Collegeteam von Omaha in das Memorial-Stadium und erreichte mit 92.003 Zuschauern den Weltrekord für Zuschauer bei einem Frauen-Sportereignis.
Eine Ursache für die so starke Präsenz des Frauensports in den USA ist der Title IX, das 1972 verabschiedete Bundesgesetz zur Gleichstellung der Geschlechter, das im Sport für die Universitäten nicht nur eine Parität der finanziellen Ausgaben, sondern auch des Personals bedeutet. Wenn ein College also ein finanziell durch Sponsorenverträge lukratives, aber personalintensives Team im American Football aufbaut, muss es auch in gleichem Umfang den Frauensport fördern und ausstatten. Volleyball in Nebraska, Basketball in Iowa oder Schwimmen in Indiana – für die Indiana University im Dörfchen Bloomington gewann zum Beispiel Lilly King bei Olympia in Rio 2016 mehr Medaillen als das gesamte deutsche Schwimmteam.
Aber es ist nicht nur diese Förderung. Die großen Universitäten im mittleren Westen sind meist in den kleineren Städten der Staaten, wer hier im Nirgendwo studiert, zahlt viel Geld für das Studium und erkauft sich oft genug sein Leben, seine Identität – auch im Sport. Eine Heirat nach dem Bachelorstudium ist nicht selten, wer einmal Husker in Nebraska oder Hawkeye in Iowa war, bleibt dies ein Leben lang – und kehrt auch für Sportwettkämpfte immer wieder in seine Studierenden-Heimat zurück, egal woher.
Die Identität mit dem Collegesport ist oft sogar eine Form von Ideologie und purer Begeisterung, vergleichbar mit der 2. Fußball-Bundesliga und ihren Fans. Hier kämpfen nicht kommerzielle Franchises wie in den großen Ligen NBA und NFL gegeneinander, sondern die Arenen sind fast ausnahmslos mit Anhängern des eigenen Colleges gefüllt (für die Gäste ist die Anreise meist eh zu weit). Die Inszenierung ist getragen von Pathos, kaum ein Zuschauer ohne die Farben der Uni, so genannte Marching Bands spielen durchgehend Gassenhauer des Staates und der Uni, und natürlich gibt es die Nationalhymne, bei Nightgames im Freien auch Feuerwerk und Düsenjets.
Medien berichten im großen Stil über den Collegesport, aber neben den Liga-Broadcastern wie etwa dem großen Big Ten Network sind es meist universitätseigene Medien. So wird die einflussreichste Zeitung in Iowa, der Daily Iowan, von den Studierenden der University of Iowa (hochprofessionell) produziert. Unabhängiger Journalismus? Fehlanzeige. Die Colleges oder Departments im Bereich Sportjournalismus sind nicht nur durch die Anzahl der Kolleginnen und Kollegen in den Fakultäten deutlich größer als in Deutschland, sie haben durch Spenden ehemaliger Studierender auch ein umfangreiches Budget, das neue Broadcasting-Studio der UNL in Lincoln würde vielen hiesigen Sendern sicher auch gut gefallen. (Foto: Daily Iowan)
Erstaunlich bleibt die Diskrepanz zwischen den beiden Welten: Die Studierenden in den USA wissen oft nur wenig über deutschen Sport, seine Organisation oder öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Medienregulierung – meine deutschen Studierenden sind dank Livestreaming manchmal besser über den US-Sport informiert als ich. Mein Fellowship in Iowa City, die Gastprofessur in Lincoln und auch ein kurzer Auftritt an der University Wisconsin-Milwaukee wurden von den Colleges dafür genutzt, den Studierenden vor der Fußball-WM 2026 den europäischen Fußball in Struktur und Bedeutung sowie das deutsche Mediensystem näher zu bringen. Viele verfolgen zwar schon länger die Champions League, aber erst "Ted Lasso" bei Apple TV und Lionel Messi in Miami haben für einen wirklichen Wandel gesorgt.
Die auch in den USA bei vielen Kolleginnen und Kollegen umstrittene Rede von US-Vizepräsident J.D. Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz hat meine Reise sicher noch brisanter gemacht. Aber eines ist nach vier Wochen in den so genannten "Flyover States" sicher: Die Sportwelt im Mittleren Westen sollte man einmal erleben.