Analyse des VDS-Beisitzers Thorsten Poppe

WM in Katar: Einseitige Berichterstattung?

04.01.2023

Nach der Fußball-WM in Katar ist hierzulande eine Diskussion über die Berichterstattung aufgekommen. Neben Kritik von außen, dass zu wenig differenziert berichtet worden sei, hat es auch viel mediale Selbstkritik gegeben. Der Versuch einer Einordnung.

 

Für den ehemaligen Weltfußballer Lothar Matthäus ist es eine „absolut perfekte WM“ gewesen. Denn er habe überall „Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft, Offenheit und Toleranz dem westlichen Lebensstil“ gegenüber erlebt. Neben berechtigten Kritikpunkten sei ihm aufgefallen, wie extrem negativ in Deutschland über Katar berichtet wurde.

An dieser Stelle muss darauf hingewiesen werden, dass Matthäus als offizieller Botschafter der WM in Katar unterwegs gewesen ist. Deshalb verwundern seine oben genannten Aussagen nicht, die er in seinen Kolumnen bei Sky und Sport-Bild (€) getätigt hatte (Poppe-Foto: Edith Geuppert).

Doch auch von anderer Seite ist Kritik an der medialen Berichterstattung aufgekommen. Auch aus den eigenen Reihen. So gab ARD-Moderatorin Lea Wagner in der Sendung „Sportschau Thema“ zu bedenken, dass es dieses kritische Ausmaß bei der Berichterstattung in keinem anderen Land gegeben hätte. Doch ist nicht genau dies der Berichterstattung hierzulande im Vorfeld der WM zu verdanken gewesen, die differenziert und faktenorientiert Sachverhalte wie Menschenrechtsverletzungen oder ausbeuterische Arbeitsbedinungen belegen konnte?

Diesen Aspekt nahm in derselben Sendung Sportjournalist Benjamin Best (sport inside) auf. Er habe lediglich darauf reagiert, was FIFA und Katar zu Verbesserungen behauptet hätten. Die entsprechenden neuen Gesetze, die Fortschritte auf dem Papier suggerieren, würden nach wie vor nicht flächendeckend angewendet. Solche Zusammenhänge aufzudecken sei schließlich die Aufgabe des Journalismus.

Damit widersprach Best der Kritik einer einseitigen Berichterstattung. Ein weiterer interessanter Aspekt, der sich während des Turniers aufgetan hat, kommt ebenfalls in der Sendung zur Sprache. Lea Wagner vertrat dabei der Ansicht, dass sich während des Turnies der Fokus aufs Sportliche verschoben hätte.

Dies hat auch der Fachbereich Kommunikationswissenschaft an der Universität Salzburg in einer ersten wissenschaftlichen Auswertung bestätigen können. Spätestens ab der Hälfte des WM-Turniers habe sich die Berichterstattung genau darauf konzentriert. Das sei in Österreich festzustellen, aber auch in Deutschland zu beobachten gewesen. Die genaue wissenschaftliche Analyse von drei verschiedenen Arbeitsgruppen, die sich die Berichterstattung vor, während, und nach dem Turnier angeschaut haben, werde zeitnah veröffentlicht, so Prof. Thomas Birkner.

Birkners Kollege Kai Hafez, Medienwissenschaftler an der Universität Erfurt, kritisierte dagegen in der Süddeutschen Zeitung (€) die TV-Berichterstattung als zu einseitig und zu selektiv. Von Anfang habe man sich nicht wirklich auf Land und Leute eingelassen, sondern mit einer neokolonialistischen Attitüde die negativen Aspekte bestätigen wollen (Foto: ZDF).

Dem gegenüber wiederum steht zum Beispiel die ZDF-Dokumentation „Geheimsache Katar“Jochen Breyer und Julia Friedrichs, die sich vor allem dadurch auszeichnete, dass sie die recherchierten Fakten erlebbar machte. So ist Breyer nicht nur mit Kataris ins Gespräch gekommen, sondern hat sie auch zu Hause besuchen können. Seine ergebnisoffene Gesprächsführung hatte unter anderem dazu geführt, dass einer der katarischen WM-Botschafter Homosexualität als „haram“ bezeichnete: In der Doku ist dies mit „Geisteskrankheit“ übersetzt worden.

Zudem hat nach Abschluss der Fußball-WM der Deutschland-Direktor von Human Rights Watch, Wenzel Michalski, klare Aussagen etwa in der Welt am Sonntag (€) getroffen. Die WM sei „genauso schlimm abgelaufen wie befürchtet“, und die Menschenrechtslage habe sich nicht einmal ansatzweise verbessert. „Alle, die gesagt haben, die Ausrichtung in dem Land würde zu etwas Gutem führen und Reformen vorantreiben, haben Unrecht behalten.“

Alle diese Facetten der Lage vor Ort hatte der Sportjournalismus differenziert und sachlich aufbereitet. Vor allem musste sich unsere Zunft damit auseinandersetzen, dass der Sport so politisch aufgeladen war wie noch nie bei einer WM. Falls daraus in Zukunft Lerneffekte für die Berichterstattung resultieren sollten, dann vor allem die, dass Sport und Politik eben nicht voneinander zu trennen sind. Falls dies überhaupt schon einmal der Fall gewesen sein sollte.