Alles am liebsten in Echtzeit

Studie zur Live-Berichterstattung im Sportjournalismus – Teil I

18.08.2018 Live­-Berichterstattung wird immer wichtiger. Doch wie unterscheiden sich die so tätigen Sportjournalist*innen von ihren Kolleg*innen? Welchen Stellenwert haben sie innerhalb der Berufsgruppe? Eine wissenschaftliche Studie gibt Auskunft, auch über die Erwartungen der Zuschauer und das Ansehen der Fernsehleute.
Autor: Jana Wiske
Die Bandbreite des Live-­Kommentars erlebte Tom Bartels innerhalb von nur 16 Monaten. „Mach’ ihn! Mach’ ihn! Er macht ihn!“, kommentierte der ARD-­Mann die entscheidende TV­-Szene mit Torschütze Mario Götze im Finale der Fußball­-WM­ 2014 live. Am 13. November 2015 war alles anders. Als Paris von einer Terrorwelle erfasst wurde, berichteten die Sportjournalisten der ARD zunächst weiter über das stattfindende Freundschaftsspiel Frankreich gegen Deutschland.

„In der 70. Minute ungefähr wusste ich, dass es Tote gegeben hat. Die Situation war pervers. Ich war überfordert“, gab Kommentator Bartels unumwunden zu. An eine normale Übertragung war nicht zu denken. Das Beispiel des später für seine Kommentierung ausgezeichneten Kollegen zeigt: Bei der Direktübertragung ist in besonderem Maß der Sportkommunikator gefordert, der geschickt agieren und den Überblick behalten muss oder gar auf unvorhersehbare Ereignisse spontan reagieren sollte (Bartels-Foto: GES-Sportfoto/Augenklick).

Die Ausdehnung der Live­-Berichterstattung und die alles überstrahlenden Einschaltquoten auf allen Kanälen gerade im Fußball rücken Sportjournalist*innen aus der Echtzeit­-Berichterstattung in den Fokus. Diese Kolleg*innen befinden sich im Spannungsfeld von Vorgaben des Medienhauses, bestimmten Vorstellungen der Vorgesetzten und Werbekunden sowie der Erwartungshaltung des Konsumenten. Der Sportjournalist behält aber eine gewisse Autonomie.

Doch wie unterscheiden sich die Sportjournalist*innen in der Live-­Berichterstattung von ihren Kolleg*innen und welchen Stellenwert haben sie innerhalb der Berufsgruppe? Um wichtige Erkenntnisse zur Beantwortung dieser Fragen zu generieren, wurde im Rahmen einer Doktorarbeit der Universität Erlangen-­Nürnberg eine repräsentative Umfrage unter allen hauptberuflichen Sportjournalist*innen in Deutschland durchgeführt. Insgesamt konnten 1006 Fragebögen berücksichtigt werden.

Dies sind die Ergebnisse

Aktuell arbeiten 69 Prozent der Sportjournalist*innen zumindest zum Teil in der Live-­Berichterstattung, lediglich ein knappes Drittel (31 Prozent) übermittelt die Sportnachrichten nicht in Echtzeit an den Konsumenten. Je jünger die Altersgruppe, desto mehr wird live gearbeitet (siehe folgende Abbildung). Ein Grund ist die Anpassung der Sportberichterstattung an das veränderte Rezipientenverhalten: Der Konsument verlangt im digitalen Zeitalter eine schnelle Information – am liebsten in Echtzeit.



Gerade der zunehmende Anteil der Live­-Berichterstattung an der Gesamtübertragung im Fernsehen verändert die Situation für die TV­-Sportjournalist*innen. Und wer heutzutage im Sportjournalismus arbeitet, muss sich stark mit Social Media beschäftigen. In Zeiten von einer vom Rezipienten erwarteten 24­-Stunden­-Berichterstattung spielen die Online-­Kollegen aus der Direktübertragung eine wichtige Rolle. Der jüngeren Generation in der Berufsgruppe bleibt somit keine andere Möglichkeit, als sich mit der Live­-Übertragung auseinanderzusetzen.

Das Selbstbild über den eigenen Beruf fällt bei den Kollegen, die live arbeiten, positiver aus. So würden 81,7 Prozent wieder den Beruf des Sportjournalisten ergreifen. Anders bei den Kolleg*innen, die nicht in der Direktübertragung eingesetzt werden (75,2 Prozent). Auch hier spielt das Alter eine Rolle: Denn es sind ja gerade die jüngeren Sportjournalist*innen, die vermehrt live arbeiten. Die ältere Generation steht den Entwicklungen der vergangenen Jahre samt digitalem Wandel skeptischer gegenüber.

Dass die Personen pessimistischer antworten, die nicht live arbeiten, lässt sich auch mit der Medienverteilung in dieser Gruppe erklären. Im Nicht­-Live­-Bereich arbeitet der überwiegende Teil bei der Zeitung (52,7 Prozent) oder bei Zeitschriften (23,2 Prozent). Gerade diese beiden Medien wurden in den vergangenen Jahren von Krisen erschüttert. So stagniert seit gut zehn Jahren die Zahl der publizistischen Einheiten. Diese beängstigenden Entwicklungen dürften Einfluss auf die Antworten der teilnehmenden Personen aus diesem Bereich genommen haben. Sie schätzen die Zukunft im Sportjournalismus kritischer ein.

Einsatz direkt vor Ort beim Geschehen die wichtigste Motivation

Der Wettkampfcharakter und die Unvorhersehbarkeit der Ereignisse sind zwei Leitmotive für die Rezipienten, Sport-Events live anzuschauen. Die Anreize für die Sportkommunikatoren sind andere. Der Einsatz direkt vor Ort beim Geschehen ist für 83,9 Prozent aller Teilnehmer die wichtigste Motivation. Die Steigerung des eigenen Bekanntheitsgrades sehen die Sportjournalist*innen auf Platz 2 (56,9 Prozent), an dritter Stelle folgt die Nähe zu den Spitzensportler*innen (56,1 Prozent). Ein höheres Einkommen geben nur 33,5 Prozent der Befragten an.

Gerade gegenüber den Sportjournalist*innen in der TV-­Live-­Berichterstattung ist eine kritische Sichtweise durch die restlichen Gruppenmitglieder erkennbar. TV­-Kolleg*innen in der Direktübertragung werden vor allem als privilegiert (84,2 Prozent) und abgehoben (57,7 Prozent) eingeschätzt. Diese selbst fühlen sich sogar unbeliebter, als die Kolleg*innen sie eingeordnet haben (Wiske-Foto: privat).

Jana Wiske, 43, promovierte am Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft der Universität Erlangen-Nürnberg und war bis Oktober 2017 Kicker-Redakteurin. Derzeit hat sie eine Professur an der Hochschule Ansbach inne. Die vorliegende Studie entstand im Rahmen von Wiskes Doktorarbeit. Die Ergebnisse sind auch in Buchform erhältlich (Die Elite – Die Bedeutung der Live-Berichterstattung im deutschen Spitzensport aus der Sicht von Sportjournalisten, Herbert von Halem Verlag).  Lesen Sie im zweiten und letzten Teil der Studie über Live-Berichterstattung, wie Radio­- und Online-­Journalist*innen von den Kolleg*innen eingeschätzt werden.

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