Interview mit Timo Büchner über Recherchen in der rechten Szene

"Das finde ich wirklich erschreckend"

02.10.2023

Der Journalist Timo Büchner recherchiert in der rechten Szene. Ein bayrischer Zollbeamter gab seine Melde-Adresse an einen Neonazi weiter. Die beiden kennen sich vom Fußball – und kamen ziemlich ungeschoren davon. sj-Autor Christoph Ruf sprach mit Büchner über die Hintergründe des Geschehens.

 

sportjournalist: Herr Büchner, Ihre Adresse ist geheim. Wieso?

Timo Büchner: Wenn man über die Neonazi-Szene recherchiert, setzt man sich schnell Bedrohungen aus. Viele Kolleginnen und Kollegen wurden physisch bedroht oder sogar attackiert. Gerade Lokaljournalisten stehen da oft massiv unter Druck, weil es Teil der rechten Strategie ist, die kritische Öffentlichkeit vor Ort einzuschüchtern. Deshalb habe ich eine Melderegister-Sperre beantragt, die auch bewilligt wurde.

sj: Was sind die Schwerpunkte Ihrer Arbeit?

Büchner: Zum einen die deutsche Rechtsrockszene und zum anderen die rechtsextreme Szene in Baden-Württemberg, besonders im Nordosten. In diesem Kontext habe ich auch 2020 über die Aktivitäten einer Neonazi-Gruppierung geschrieben. Wenige Tage nach meinem Bericht haben bei Mitgliedern der Gruppe mehrere Hausdurchsuchungen stattgefunden, und im Rahmen der Auswertung der Handys ist man auf den Chat gestoßen.

sj: ... in dem sich rechtsgerichtete Hools des Regionalligisten 1. FC Schweinfurt, Angehörige der "Green Boyz", darüber austauschten, wie man an die Adresse des Mannes kommen könne, der diesen Artikel verfasst hatte. Nämlich Sie.

Büchner: Genau. Derjenige, der den Zöllner Tobias W. fragte, war der Neonazi Marc R., dem W. sofort schrieb, dass er meine Adresse gerne recherchieren könne. Das tat er dann auch. Und er gab auch die Adresse eines Ultras von Kickers Würzburg weiter, mit denen die "Green Boyz" offenbar im Clinch liegen.

sj: Marc R. ist kein unbeschriebenes Blatt in der rechten Szene. Es gibt Fotos, die ihn bei rechtsextremen Kampfsportveranstaltungen zeigen, anmoderiert als "Hooligan 1. FC Schweinfurt".

Büchner: R. kommt aus dem Umfeld der Jungen Nationalisten, dem Nachwuchs der NPD, die sich heute „Die Heimat“ nennt. Das ist das klassische Neonazi-Spektrum. Er ist Kampfsportler, Rechtsrockfan und Fußball-Hooligan. Bei meinen Recherchen stoße ich immer wieder auf große Überschneidungen zwischen den Milieus.

sj: R. wohnt allerdings im nordöstlichen Winkel Baden-Württembergs, also fast eineinhalb Stunden von Schweinfurt entfernt. Hat er sich Schweinfurt ausgesucht, weil er da auf eine politisch gleichgesinnte Fangruppierung gestoßen ist?

Büchner: Das würde ich jetzt vermuten, aber vielleicht hat das auch private Gründe. Sie merken: Ich bewege mich da auf dünnem Eis. Offen gestanden habe ich keine allzu große Expertise in Sachen Fußball oder Fanszenen.

sj: Das sehen wir Ihnen gerne nach. Sie haben dann jedenfalls durch die Polizei erfahren, dass R. nach Ihrer Adresse gefragt und sie auch bekommen hat – durch einen Staatsbediensteten. Beides dürfte ein ziemlicher Schock gewesen sein, oder?

Büchner: Mein Vertrauen in Behörden hat da natürlich gelitten. Ich muss allerdings dazu sagen, dass mich die Polizei früh informiert hat und ich den Eindruck hatte, dass sie das Ganze wirklich aufklären will. Das Problem lag in meinem Fall eher bei der Justiz.

sj: Die hat den Zöllner mit 90 Tagessätzen davonkommen lassen. Er ist also weiterhin nicht vorbestraft und tut weiter Dienst.

Büchner: So ist es. Offenbar wurden seine Beteuerungen geglaubt, er habe sich nur wichtig machen wollen, stehe aber fest auf dem Boden des Grundgesetzes.

sj: Dabei wurden auf seinem Handy Hakenkreuze, Hitler-Bilder und "Mein Kampf" gefunden.

Büchner: Und selbst, wenn er keine solch offensichtlichen Spuren hinterlassen hätte. Warum gibt er einem bekannten Neonazi eine Adresse weiter, wenn er nicht ähnlich tickt wie der? Dem muss schon klar gewesen sein, welchen Hintergrund die Anfrage hat. Übrigens wurde das Verfahren gegen R. gar nicht erst eröffnet. Auch das finde ich wirklich erschreckend.