VDS-Anwalt Dirk Feldmann über Arbeitszeiterfassung

"Das Gesetz soll den Arbeitnehmern dienen"

04.12.2023

Die genaue Arbeitszeit zu erfassen – das klingt für Sportjournalistinnen und Sportjournalisten vielerorts nach einem Ding der Unmöglichkeit. Doch der Gesetzgeber wird uns sehr bald dazu verpflichten. Wie das funktionieren wird, wo Fallen lauern und wer profitieren soll, erklärt VDS-Anwalt Dirk Feldmann.

 

sj: Herr Feldmann, was hat es mit dem Gesetz zur Arbeitszeiterfassung auf sich?

Dirk Feldmann: Der Europäische Gerichtshof hat 2019 festgestellt, dass die Arbeitszeiterfassung nicht einfach jedem Betrieb überlassen bleiben kann, sondern dass das in jedem EU-Land verbindlich geregelt werden muss. Daraufhin hat dann gleich ein Betriebsrat gegen einen Arbeitgeber geklagt und gesagt: Das müssen wir jetzt sofort feststellen lassen, dass wir das Recht haben, die Einführung eines elektronischen Zeiterfassungssystems einzuklagen. Das Bundesarbeitsgericht hat daraufhin 2022 ein Urteil gefällt, in dem es heißt: Das müssen wir dem Betriebsrat gar nicht ermöglichen, die Verpflichtung zur Zeiterfassung  ist bei uns schon Gesetz.

sj: Inwiefern?

Feldmann: Aufgrund der EU-Vorgaben ergibt die Auslegung des derzeitigen Arbeitsschutzgesetzes, dass in Deutschland der Arbeitgeber verpflichtet ist, die Arbeitszeit zu erfassen. Und wenn ich finde, dass mein Arbeitgeber das nicht einhält, kann ich ihn anzeigen, dann bekommt er ein Bußgeld auferlegt.

sj: Aha. Wie ging es dann weiter?

Feldmann: Da das Arbeitsschutzgesetz keine Details regelt, ist der Gesetzgeber in Deutschland nunmehr gehalten, das nachzuholen. Im April 2023 gab es einen Entwurf der Regierung dazu, der aber selbst innerhalb der Regierung noch nicht endgültig abgestimmt ist. Es ist also im Moment nicht absehbar, wann es ein solches Gesetz geben wird. Selbst wenn es irgendwann einen Regierungsentwurf in finaler Fassung geben sollte, muss dann noch der Bundestag entscheiden – und auch da wird es erfahrungsgemäß viele Diskussionen und Änderungen geben. (Feldmann-Foto: Unverzagt)

sj: Was wird sicher kommen?

Feldmann: Was man sagen kann, ist: Jeder Arbeitgeber muss aufgrund der Gesetzeslage eine solche Erfassung bereitstellen. Die Frage, die sich stellt, ist: Muss er das mit Stechuhr, handschriftlich oder elektronisch machen? Alle, die sich mit dem Thema beschäftigen, gehen davon aus: Eine Stechuhr wird es nicht mehr geben, dafür haben wir genügend Möglichkeiten über Apps und andere elektronische Erfassungsmöglichkeiten. Zurzeit wäre es allerdings noch in Ordnung, wenn der Arbeitgeber sagt: Ich lege euch eine Liste aus, da könnt ihr für jeden Tag eintragen, was ihr gearbeitet habt. Oder ich fülle das nach bestem Wissen und Gewissen aus. Der Entwurf sieht allerdings vor – und das wird wahrscheinlich auch so kommen –, dass es ein elektronisches Erfassungssystem geben muss, weil das für beide Seiten sehr viel transparenter ist. Die Transparenz ist ein sehr wichtiger Punkt, weil der EUGH das so vorgegeben hat: Diese Erfassung muss für den Arbeitnehmer einsehbar sein.

sj: Und sonst?

Feldmann: Die weiteren Details sind bislang noch variabel. Wie man zum Beispiel Pausen erfasst. Auch bei dem neuen Gesetz soll gelten, dass es eine Vertrauensarbeitsregelung gibt. Darunter ist zu verstehen, dass man sich darauf verständigen kann, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitszeiten jeden Tag ausfüllt und der Arbeitgeber das einfach abspeichert – ohne beispielsweise zu überprüfen, ob Kollegen dies bestätigen können. Das gilt insbesondere auch fürs Homeoffice. Und das ist auch im Sinne des Arbeitgebers, für den ansonsten der Arbeitsaufwand zu hoch wäre. Wie das im Einzelnen ausgestaltet wird, ist zurzeit allerdings noch offen.

sj: Wie verhält sich das bei Dienstreisen?

Feldmann: Da wird sich nichts ändern. Selbstverständlich werden Arbeitszeiten, die über vertraglich vereinbarten Arbeitszeiten hinausgehen, genauso erfasst. Das Gesetz soll ja den Arbeitnehmern dienen. Das heißt: Mehrarbeit, Überstunden, Feiertagsarbeit – all das wird genauso erfasst und damit in der Regel auch sehr viel genauer als bislang. Zurzeit ist das oft ein nicht ganz klarer Bereich: Wann hat man aufgehört, wie lange dauerte die Dienstreise, wie lange habe ich tatsächlich gearbeitet? Das soll jetzt ganz genau erfasst werden, damit nicht kostenlos Überstunden geleistet werden.

sj: Das setzt natürlich voraus, dass beide Seiten extrem viel Vertrauen ineinander haben.

Feldmann: Dieses Vertrauen ist in fast jedem Bereich des Arbeitsverhältnisses schon immer gefordert gewesen. Ob ich nun den Bleistift oder den Laptop mit nach Hause nehme, das ist nichts anderes, als wenn ich Arbeitszeiten fälschen würde. Das wäre Betrug, damit mache ich mich sofort strafbar. Auch wenn es nur eine halbe Stunde ist. Das kann zur fristlosen Kündigung führen. Da kann man nur sagen: Vorsicht!

sj: Arbeitszeiten bei Sportjournalisten sind oft schwer kalkulierbar. Da gibt es bei Spielen zum Beispiel mal eine Verlängerung oder ein Interview dauert länger als erwartet. Muss mir das der Arbeitgeber in Zukunft ausgleichen?

Feldmann: Ganz klar, ja. Aber das Ganze gilt nur für Arbeitnehmer. Wer als freier Journalist auf Honorar arbeitet, der muss nach wie vor mit dem Auftraggeber klären: Bekomme ich inklusive Verlängerung und potenziell Elfmeterschießen alles pauschal bezahlt, oder bekomme ich pro Stunde und damit auch diese zusätzlichen Arbeitszeiten bezahlt? Da ist ein klarer Unterschied zwischen Arbeitnehmern und Selbstständigen. Natürlich können aber auch Selbstständige mit ihren Auftraggebern vereinbaren, dass sie nach Zeiterfassung abrechnen.

sj: Wie sieht es künftig bei einem normalen Acht-Stunden-Tag mit Pausen aus?

Feldmann: Bei einem Acht-Stunden-Tag haben Sie gesetzlich 30 Minuten Pause. Häufig ist das in Betrieben noch anders geregelt. Dass man zum Beispiel eine Stunde Mittagspause macht, das aber entsprechend erfasst und nachgearbeitet wird.

sj: Gibt es eine Vorschrift, nach welchem Arbeitszeitraum diese Pause angetreten werden muss?

Feldmann: Das Arbeitsschutzgesetz sagt: Bis zu sechs Stunden habe ich keinen Anspruch auf eine Pause, und bis acht Stunden habe ich Anspruch auf eine halbe Stunde Pause. Wann ich die nehme, ist Vereinbarungssache. Sie können auch auf Ihre Pause verzichten, was ja manchmal vorkommt. Dadurch verschaffen Sie sich aber keinen Vorteil.

sj: Könnte ich die halbe Stunde Pause auch als Freizeit direkt nach der Arbeit nehmen und somit nur siebeneinhalb Stunden arbeiten?

Feldmann: Das ist etwas, was der Gesetzgeber unabhängig von diesem neuen Gesetz verhindern will. Dass ein Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Pause abkauft. Es geht immer um die Gesundheit und das Wohlergehen des Arbeitnehmers. Dafür sind die Pausen vorgesehen. In Einzelfällen ist das aber gar kein Thema, dass man sagt: Heute mache ich keine Pause, ich gehe eine halbe Stunde früher. Nur: Wenn man das fest vereinbaren würde, würde das gegen das Arbeitsschutzgesetz verstoßen.

sj: Das heißt, wenn um 12.00 Uhr der Trainer des FC Bayern München entlassen wird, könnte ich vereinbaren, dass meine Pause nach hinten verschoben wird?

Feldmann: Ja. Grundsätzlich sind Sie bei der Pausenregelung völlig flexibel. Nur ist der Arbeitgeber verpflichtet, darauf zu achten, dass die Regelung eingehalten wird. Er dürfte nicht sagen: Wir machen dann und dann Schluss, damit ihr durcharbeiten könnt. Ob das nicht trotzdem geschieht, ist eine andere Frage. Aber gerade bei der Zeiterfassung wäre das natürlich je nach System ersichtlich. Und ich gehe davon aus, dass ein solches System  vorsehen würde, wann eine Pause zu nehmen beziehungsweise angefallen ist. Und wenn ersichtlich würde, dass man keine Pause gemacht hat, würde das zu Problemen führen.

sj: Könnte es nicht auch schwierig werden, einer Journalistin oder einem Journalisten zu erklären, dass sie oder er sich beim Essen oder Rauchen aus- und wieder einloggen muss?

Feldmann: Wahrscheinlich muss man die Uhrzeit gar nicht benennen, zu der man die Pause gemacht hat. Es hängt vom System ab, das man im jeweiligen Betrieb entwickelt. Man kann  eine Pause auch auf zweimal 15 Minuten ändern, es geht nur um die Gesamtdauer. Man darf aber nicht sechsmal fünf Minuten nehmen, das will der Gesetzgeber nicht, da dann der Sinn einer Pause obsolet würde.

sj: Kann der Betriebsrat die Erfassung ablehnen?

Feldmann: Nein. Es muss eingeführt werden. Es kann nicht sein, dass der Betriebsrat sagt: Das möchten unsere Mitarbeiter nicht. Aber der Betriebsrat kann bei Besonderheiten für den einzelnen Betrieb mitreden.

Mit Dirk Feldmann sprach Thomas Häberlein.

Zur Person:

Dirk Feldmann ist seit 1983 als Anwalt tätig und Gründungspartner der Kanzlei Unverzagt in Hamburg. Er ist spezialisiert auf Arbeits- und Medienrecht und berät in diesen Bereichen insbesondere Journalist*innen und Kreative.

Seit dem 1. Juli 2007 steht Feldmann den Mitgliedern der VDS-Regionalvereine als Ansprechpartner für rechtliche Themen zur Verfügung. Jedes Mitglied kann kostenlos Rat zu sämtlichen Fragen einholen, die im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit stehen.

Dies kann telefonisch oder schriftlich, auch durch Übersendung von E-Mail oder Fax, erfolgen. Bitte geben Sie bei Ihren Anfragen bitte jeweils an, bei welchem VDS-Regionalverein Sie Mitglied sind.

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