Autor Ronny Blaschke über sein neues Buch

"Das N-Wort war völlig selbstverständlich"

02.04.2024

Das VDS-Mitglied Ronny Blaschke hat ein neues Buch veröffentlicht, "Spielfeld der Herrenmenschen". Im Gespräch mit Maik Rosner berichtet er vom offenen und versteckten Rassismus in der Sportberichterstattung – und wie die europäische Kolonialgeschichte im Fußball und den Medien nachwirkt.

 

sportjournalist: Ronny Blaschke, wie ist die Idee zu Ihrem Buch "Spielfeld der Herrenmenschen" entstanden?

Ronny Blaschke: Ich wollte über die regelmäßigen Skandale hinausblicken und herausfinden, woher der Rassismus überhaupt kommt und welche Ursachen er hat.

sj: Sind Sie dafür in alle Länder gereist, die im Buch Erwähnung finden?

Blaschke: Ich war in neun Ländern, darunter Namibia, Brasilien, Chile, Indien und die USA. Nur nicht in Algerien. Dort war es kompliziert mit dem Visum.

sj: Wie viel Zeit haben die Reisen und die Arbeit am Buch in Anspruch genommen?

Blaschke: Die Reisen waren verteilt auf drei Jahre, angefangen mit Portugal im Sommer 2021. Später habe ich in Indien auch viel recherchiert über die Cricket-WM, das Kastenwesen und Frauenrechte im Sport. Gerade als freier Journalist muss man solche Reisen gut vorbereiten und zusehen, dass man mit vielen Themen zurückkommt, damit man alles refinanzieren kann. (Foto Ronny Blaschke: Sebastian Wells)

sj: Was sind Ihre zentralen Erkenntnisse Ihrer Recherchen zu dem Buch?

Blaschke: Ganz wichtig ist, dass wir auch über den offensichtlichen Rassismus, wie Affenlaute im Stadion, hinausschauen sollten. Das weiße Überlegenheitsdenken aus der 500 Jahre andauernden Kolonialzeit hält sich noch sehr – bei uns allen.

sj: Woran lässt sich das erkennen?

Blaschke: Es gibt Studien, wonach im Fußball auf den Positionen des Sechsers und Spielmachers, die vermeintlich Weitsicht und Intelligenz erfordern, überproportional viele weiße Spieler eingesetzt werden. Und auf den Außenbahnen, im Sturm, wo es vermeintlich überwiegend um körperliche Elemente wie Schnelligkeit und Kraft geht, überproportional viele schwarze Spieler. Oder noch wichtiger: Auf der Entscheider-Ebene, in Verbänden, Vereinen, bei Sponsoren und Medien, sitzen fast immer Weiße, gerade im Fußball sogar fast immer weiße Männer.

sj: Sie sagen, dass sich das koloniale Denken auch in vielen Facetten der Berichterstattung zeigt.

Blaschke: In einer Studie haben britische und dänische Forscher bei Übertragungen von 80 Spielen die Kommentare analysiert und herausgefunden, dass lobende Worte zur Spielweise zu 60 Prozent auf weiße Spieler entfallen, während bei schwarzen Spielern eher die Körperlichkeit betont wird. Das kann man neokoloniales Denken nennen.

sj: Sie schreiben auch, dass die Fußball-Industrie von rassistischen Strukturen zusammengehalten wird und das System der Skandal sei, nicht der einzelne Vorfall. Inwiefern?

Blaschke: In Portugals ehemaliger Kolonie Brasilien sind Dutzende Vereine nur gegründet worden, um Talente für den Export nach Europa zu produzieren wie früher Rohstoffe. In Pakistan, Bangladesch, Vietnam werden die Bälle, Schuhe und Trikots für Europa hergestellt. Für unser Fußball-Erlebnis werden andere Menschen in neokolonialen Strukturen ausgebeutet. Verbände und Vereine betreiben oft nur Symbolpolitik gegen Rassismus. (Buchcover-Abbildung: Verlag Die Werkstatt)

sj: Haben sich während Ihrer Recherchen auch überraschende Befunde ergeben?

Blaschke: Es heißt, dass England das Mutterland des Fußballs sei. Aber wie wurde der Fußball global verbreitet? Über die größte Kolonialmacht der Geschichte. Ich war in Kalkutta, der ehemaligen Hauptstadt von Britisch-Indien, wo es teilweise Fußballvereine gibt, die älter sind als der FC Barcelona und der FC Bayern. Die Briten haben den Fußball zu großen Teilen genutzt, um ihre Untergebenen zu zivilisieren, zu disziplinieren.

sj: Was haben Sie in Namibia, der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, herausgefunden?

Blaschke: Dort haben Vereine der deutschsprachigen Minderheit bessere Sportstätten als das heute mehrheitlich schwarze Nationalteam. Auch über 100 Jahre später wirkt der Kolonialismus also nach. Wobei es auch positive Befunde gibt. Fußball war immer auch ein Freiheitssymbol, gerade in Afrika oder Indien. Die Menschen, die unterdrückt werden, nehmen sich den Fußball, deuten ihn um und machen ihn zu ihrem eigenen Sport und damit auch Protestmittel. In Marokko, Ägypten und Indien haben sich die Leute beim Fußball gegen die Kolonialmächte vernetzt.

sj: Was lässt sich aus Ihren Erkenntnissen für die Fußball- und Sportberichterstattung ableiten?

Blaschke: Es lohnt, über den historischen Kontext nachzudenken und zu reflektieren: Wie berichte ich, wie kommentiere ich, welche Worte wähle ich, welche Fotos? Und wem gebe ich eine Stimme? Das ist ein Prozess, den man nach und nach verinnerlicht. Die Debatte darüber findet bei uns im Sportjournalismus nicht statt. Es wäre schön, wenn sie angestoßen würde.

sj: Zumindest einige Stereotype sind in der Berichterstattung nicht mehr so verbreitet, oder?

Blaschke: Es gibt sie seltener. Dennoch wird über Verspätungen brasilianischer Spieler anders berichtet als bei deutschen Spielern. Die Bewertung unterscheidet sich oft. Oder: Vor nicht allzu langer Zeit wurde in einigen Redaktionen das N-Wort für Hilfstätigkeiten völlig selbstverständlich benutzt. Bei der Frage, ob man Stereotype verwendet, muss klar sein: Es geht nicht um diejenigen, die sie benutzen, sondern um diejenigen, die diskriminiert werden und eine Opfergeschichte haben. (Foto: GES-Sportfoto/Markus Gilliar/augenklick)

sj: In England sind Sie auf das Black Collective of Media in Sport gestoßen, ein Netzwerk schwarzer Sportjournalistinnen und Sportjournalisten. Was machen die?

Blaschke: Die haben sich gegründet, weil sie das Gefühl hatten, sie müssten mehr arbeiten und würden in Redaktionen abfällig gemustert. Erlebt haben sie sogenannte Mikro-Aggressionen. In dem Netzwerk sind einige Dutzend Mitglieder, die Konferenzen und Masterclasses veranstalten und sich durch den Austausch gegenseitig stärken. Solche Netzwerke gibt es in Deutschland nicht wirklich. Ich glaube, es wäre gut, das Thema beim VDS anzugehen.

sj: Welche Angebote sind Ihnen in Deutschland bekannt?

Blaschke: Es gibt die Neuen deutschen Medienmacherinnen und Medienmacher, die einen Diversity-Guide für Medien erstellt haben. Die gehen in die Redaktionen und sprechen Empfehlungen aus, zum Beispiel für die Bildsprache. Dabei geht es nicht nur darum, wie man die Themen diverser macht, sondern auch die Redaktionen. Da gibt es vieles, worüber wir im Sport leider zu wenig nachdenken.

Zur Person: Ronny Blaschke, 42, lebt in Berlin und arbeitet als freier Journalist, unter anderem für den Deutschlandfunk und die Süddeutsche Zeitung. Zu seinen Schwerpunktthemen zählen Rechtsextremismus, Homophobie und Rassismus im Fußball. "Spielfeld der Herrenmenschen" ist sein sechstes Buch.