Medienwissenschaftlerin Jana Wiske über die Zukunft des Sportjournalismus

"Der Konsument möchte die persönliche Einordnung"

01.02.2024

Der Sportjournalismus steht vor großen Herausforderungen. Die Medienwissenschaftlerin Jana Wiske wirft im zweiten Teil ihres Gesprächs mit Frank Schneller auch einen Blick in die Zukunft, nicht zuletzt auf KI.

 

Jana Wiske (48) ist seit 2017 Professorin für Ressortjournalismus und PR/Unternehmenskommunikation an der Hochschule Ansbach. Davor war sie über 15 Jahre Sportredakteurin beim kicker. Bis heute ist sie im Sportjournalismus verankert, beleuchtet in ihren Publikationen aber auch das Spannungsfeld Journalismus und PR. Die Medienwissenschaftlerin forscht zudem regelmäßig rund um den deutschen Fußball und seine gesellschaftliche Verantwortung.

sportjournalist: Frau Wiske, wir sprachen im ersten Teil des Interviews über die zunehmende Konkurrenz eigenproduzierter Inhalte durch Verbände und Vereine. Was kann der Sportjournalismus eigentlich noch in die Waagschale werfen?

Jana Wiske: Zwei unglaublich wichtige Dinge: Einerseits schon noch die große Reichweite, die er hat. Und das andere ist noch wichtiger: nämlich Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit. Ich glaube, dass es in unserem Land schon noch viele Leute gibt, die Qualitäts-Ansprüche haben, die eine unabhängige Einordnung schätzen, eine kritische Anmerkung. Und: fundierte Meinungsstücke mit pro und contra. Was die Sportjournalisten und Sportjournalistinnen in diesem Land ausmacht, ist die eigene Wertung. Auch bei Interviews. Ich erinnere an das TV-Interview von Esther Sedlaczek mit Oliver Bierhoff bei der WM 2022 – das sind die Momente, die Sportjournalismus ausmachen und die ihm nicht streitig gemacht werden können. Sie war gut vorbereitet, fragte, was sich eine ganze Nation fragte, und hakte mit Argumenten knallhart nach.

sj: Welche positiven Entwicklungen sehen Sie außerdem?

Wiske: Der Sportjournalismus ist vielseitiger geworden. Es ist im Vergleich zu meiner Zeit normaler, zunehmend viele Kolleginnen anzutreffen. Und das finde ich sehr gut. Außerdem: Man mag auf Social Media so viel – oft auch zu Recht – schimpfen, wie man will. Aber natürlich gibt es dadurch auch ein paar mehr Quellen, wo man mal nachsehen kann. Das ist nicht exklusiv, keine Frage. Aber kann dennoch ab und an bereichernd sein.

sj: Wie erleben Sie die mediale Fußball-Dominanz?

Wiske: Ich bin ein wahnsinniger Fußballfan. Aber diese Dominanz ist schon manchmal erdrückend, man würde sich wünschen, dass die anderen Sportarten mehr wertgeschätzt würden. Vor allem auch im Free-TV. Nicht erst, wenn es um ein WM-Finale geht. Siehe Basketball. (Foto: kuechenmeister)

sj: Erfüllen die Öffentlich-Rechtlichen noch ihren Auftrag? Wird das Konsumverhalten nicht zu sehr von ihrem Angebot geprägt? Müsste es nicht anders herum sein?

Wiske: Es braucht Mut, andere Wege zu gehen. Letztlich muss die Gesellschaft natürlich auch einen gewissen Druck ausüben. Das hat man gemerkt bei der Frauenfußball-WM. Die Kritik daran, dass sie es zunächst nicht geschafft haben, einen vermeintlich geringen Betrag aufzurufen, um das Turnier zu übertragen, wirkte letztlich. Ansonsten ist das TV-Geschäft natürlich ein knallhartes, auch bei den Öffentlich-Rechtlichen. Auch dort zählen die nackten Zahlen. Die brechen ein, wenn der Ball nicht rollt. Ich wünsche mir trotz wirtschaftlicher Zwänge, dass man ein bisschen mehr Mut zum Risiko hat, Sportarten abseits des Fußballs auch zu fördern.
Und dass der Mut in Form von guten Quoten belohnt wird.

sj: Kann man die qualitativen Veränderungen im Sportjournalismus auch am Output der Nachrichtenagenturen erkennen?

Wiske: Naja, auch die orientieren sich an der Nachfrage. Die Outputs haben sich verändert. Videos, Podcasts – die neuen Kanäle bespielen natürlich auch die Agenturen. Das heißt, da haben sie sich angepasst, weil es eben erwartet wird vom Kunden und deren Konsumenten. Wenn man bestimmte Trends dann mal nicht mitmacht, wie zum Beispiel den minutiösen Liveticker zu Harry Kane, bist du halt nicht dabei in Sachen Klicks. Das ist einfach so. Und die Frage lautet: Kann man sich das leisten als Medienunternehmen?

sj: Kann man es sich leisten, Transfers wie den von Harry Kane noch mit etwas Ruhe und Distanz zu begleiten oder muss man minutiös berichten, wie das Spezialisten inzwischen tun?

Wiske: Für mich ist das völlig übers Ziel hinaus und unbegreiflich, dass so etwas von Nachrichtenwert sein soll, über zwei, drei Tage – auf Schritt und Tritt. Aber auch hier gilt: Es gab wieder nicht nur das Angebot, sondern zuerst war die Nachfrage. Die Zeit wird immer schnelllebiger. Und ich gebe zu: Wenn das Portal oder Medium meines Vertrauens sich nicht innerhalb von einer Stunde aktualisiert, bin ich schon enttäuscht. Heißt: Jeder erwartet immer wieder etwas Neues. Nur: So viel Neues gibt es rund um einen Flug von Harry Kane von England nach München wahrscheinlich auch nicht – also wird jeder Schritt dokumentiert. Inflationär.

sj: Apropos: Gibt es mittlerweile nicht viel zu viele "Experten", die mit steilen Thesen die News-Lage noch weiter anfeuern sollen?

Wiske: Es sind viele geworden, stimmt. Ich habe das Gefühl, man holt sich die auch, um Sachverhalte selbst nicht mehr einordnen zu müssen. Man überlässt die Konfrontation den Experten. Eckt selbst am Mikro lieber nicht an. Man kann sich hinter Experten ein bisschen verstecken. Das ist aber kein Pauschal-Urteil. Es gibt ja auch Unterschiede bei den Experten.

sj: Werden Talkrunden dadurch kurzweiliger? Oder welche Strategien stecken noch hinter der Hinzunahme von Promis als Experten? (Foto Ester Sedlaczek/Bastian Schweinsteieger: firo sportphoto/augenklick)

Wiske: Klar, Talkrunden werden dadurch spannender. Ich verstehe auch, dass man die Sportsendungen vielleicht ein bisschen aufpeppen muss. Man kann mit den Talks im Stadion natürlich auch künstlich ein Event verlängern. Aber dennoch habe ich den Eindruck, sie sollen auch die Meinungsfreudigkeit übernehmen, wenn's unbequem wird. Man kriegt zudem schnell eine Schlagzeile, wenn Didi Hamann wieder einen raushaut. Mit der Gegenreaktion lässt sich dann das Thema weiter füttern. Und charmant ist es auch, weil die Experten ja meistens auch noch eine Nähe zur Szene haben.

sj: Können die Experten auch qualitativen Benefit bringen?

Wiske: Ja. Bei erklärungswürdigen Sportarten, gerade bei Olympia, ist das der Fall. Wenn eine Kristina Vogel ihre Expertise in Sachen Bahnrad einbringt, finde ich das wunderbar und auch sehr wichtig. Expertinnen und Experten sind fast immer ein Gewinn, je fremder einem die Sportarten zunächst sind.

sj: Ein unausweichliches Thema: KI. Was kommt da auf uns zu? Bei Spielberichten aus der Retorte bleibt es ja nicht.

Wiske: Es gibt KI, die uns das Leben erleichtert. Ein Infokasten über jemanden beispielsweise kann von KI zusammengesetzt werden, KI übernimmt heute schon das Transkribieren von Interviews und entscheidet dabei qualitativ, welche Sätze Substanz haben – so etwas kann das Journalistendasein einfacher machen. Aber was im Sportjournalismus unersetzlich ist und damit eine ganz wichtige DNA darstellt: die persönliche Einordnung eines Themas, die Bewertung, die Pointierung durch einen bestimmen Journalisten, der seinen Stil pflegt, der persönlich in die Kamera spricht oder mit einer ganz eigenen Note unterhaltsam durchs Interview führt. Und der übrigens auch mal Fehler macht, sich verspricht oder spontan reagiert. Das erzeugt Nähe zum Rezipienten. Das kann KI so nicht.

sj: Ist das mitunter kritische Verhältnis Journalist-Konsument an dieser Stelle von Vorteil?

Wiske: Entscheidend sogar. Der Konsument möchte diese persönliche Einordnung der Sportjournalistin oder des Sportjournalisten seines Vertrauens. Ob im Text, im Video oder Podcast. All das funktioniert in der heutigen Zeit ganz gut. Dabei ist das Thema Personal Branding nicht zu unterschätzen, also Sportjournalisten als eigene Marke. Wir kennen das vor allem aus den USA, dort haben Sportjournalistinnen und -journalisten einen regelrechten Promistatus. Das ist Geschmackssache, aber auf diese Art und Weise erhält die Einordnung und Kommentierung für den Medienkonsumenten noch mehr Kraft.

sj: Dann machen Ihnen die Szenarien rund um Künstliche Intelligenz – dass sie den Journalismus begräbt – nicht allzu große Sorgen?

Wiske: Man darf es nicht nur verteufeln. Man muss einfach einsehen, es ist da. Und es geht nicht mehr weg. Also müssen wir sehen: Wie binden wir es ein? Wie nutzen wir KI so, dass es für alle Seiten wertvoll ist? Eine Aufgabe, die sich auch meinen Studierenden und mir stellt. Und, nein: Ich glaube, alles wird KI nicht ersetzen können.

Frank Schneller, Jahrgang 1969 und Mitglied des Vereins Hamburger Sportjournalisten, ist selbstständig tätig. Er leitet in der Hansestadt das Redaktionsbüro Medienmannschaft.