Special Olympics World Games – Interview mit Medienchef Gerd Graus

„Einmalig in der Medien-Historie Deutschlands“

02.06.2023

Gerd Graus arbeitete für den SID, Sport1 und dapd, er war als Medienchef unter anderem in der Fußball-Bundesliga bei Hertha BSC, bei der WM 2006 und beim DOSB aktiv. Als Director Media & Broadcast der Special Olympics World Games in Berlin (17. bis 24. Juni) blickt er mit Vorfreude auf das größte inklusive Sport-Event weltweit und informiert im Interview mit Frank Schneller über die Vorbereitungen sowie den Status quo kurz vor dem Start. Dabei schwingen durchaus kritische Töne mit.

 

sportjournalist: Gerd Graus, im Juni finden die Special Olympics World Games, die Weltspiele für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung, in Berlin statt. Werden die Menschen in Deutschland davon medial etwas mitbekommen?

Gerd Graus: Ja, ganz eindeutig – und das in allen Medien. Zunächst einmal ist das ein Verdienst der geschmiedeten Medien-Allianz. Diese ist wirklich außergewöhnlich und einmalig in der Medien-Historie Deutschlands, zumindest wie ich sie kenne. (Graus-Foto: Special Olympics World Games Berlin 2023 Organizing Committee gGmbH)

sj: Was macht diese Allianz so besonders?

Graus: Elf große Medienunternehmen, ansonsten Konkurrenten um Senderechte und Inhalte, wirken gemeinsam im Team, um den Sportler*innen mehr Aufmerksamkeit und Teilhabe zu verschaffen. Das ist ein eindeutiges Statement der Unternehmen, dass sie gesellschaftliche Verantwortung als Medienschaffende ernst nehmen. Es ist aber auch ein Kraftakt.

sj: Inwiefern?

Graus: In vielerlei Hinsicht. Diese Unternehmen unterstützen uns auf mehreren Ebenen. Finanziell, durch ihre Expertise, aber auch mit Technik und Personal. Wir als Organisationskomitee sind durch den Ausrichtervertrag verpflichtet, das Weltsignal selbst zu produzieren. Das tun wir, indem wir Unternehmen wie NEP für die Produktion, Viscompark für redaktionelle Belange oder MIT für die Leitungsthematik nach Ausschreibungen beauftragt haben. Insgesamt werden im Juni mehr als 400 Menschen mehr als 400 Stunden Live-Signale von den Weltspielen produzieren, zusätzlich journalistisch aufbereitete Tageszusammenfassungen, Nachrichtenbeiträge, Kurzbeiträge für Web und TV und vieles mehr.

sj: Ist das innerhalb des OK alles noch zu koordinieren?

Graus: Um all diese Aufgaben bewältigen zu können, steht uns Sky schon seit mehr als zwei Jahren zur Seite. Personell durch mehrere Mitarbeiter, die uns dabei unterstützt haben, die Sendeplanung aufzustellen, dazu die technische Planung, wie wir welche Sportarten übertragen werden, wie wir Grafiken gestalten und vieles mehr. Sky wird auch mehrere kleine Übertragungswagen während der Spiele zur Verfügung stellen. Inklusive Personal. Die Medien-Allianz wirkt tatsächlich als Team. Und jeder einzelne Partner bringt sich entsprechend seiner Möglichkeiten ein. Somit ist gewährleistet, dass die Weltspiele nicht nur im Sport vorkommen werden, sondern in ganz vielen Programmbereichen oder auf vielen Plattformen. Dazu gehören Print wie bei BILD, die digitalen Auftritte der Partner und vor allem auch der Hörfunk wie bei RTL oder ARD. (Foto Radsportlerin Valentina-Michelle Beck bei den National Games Berlin 2022: Florian Conrads/Special Olympics World Games Berlin 2023 Organizing Committee gGmbH)

sj: Wie lief die mediale Bewerbung der Spiele?

Graus: Schon lange im Vorfeld haben alle Partner verschiedene, von uns produzierte Trailer gespielt, beispielsweise, um das Volunteer-Programm zu bewerben. Dass sich am Ende weitaus mehr als 20.000 Menschen beworben haben, um die Weltspiele ehrenamtlich zu unterstützen, ist auch ein großer Verdienst der Medien-Allianz.

sj: Eine solche Allianz ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Was hat das OK der Weltspiele unternommen, um diese Bereitschaft hervorzurufen?

Graus: Die Medien-Allianz war von Beginn an eine Vision. Insbesondere Carsten Schmidt, aus seiner Zeit bei Sky kein Unbekannter im Mediengeschäft und heute Vizepräsident bei Special Olympics Deutschland, hat enorm viel Herzblut investiert. In Roman Steuer steht uns ein Mann zur Seite, der das TV-Geschäft mit vielen handelnden Personen ebenfalls bestens kennt. Und die Mitglieder der Allianz haben zudem schnell realisiert, welche spannenden Inhalte sie ihren Rezipienten bieten können. Im Gegensatz zu den schreibenden Kollegen übrigens.

sj: Das heißt?

Graus: Die Printmedien tun sich aus vielerlei Gründen schwer, das Thema zu erfassen. Vielen ist, trotz all unserer Medien-Arbeit, die Dimension und Wichtigkeit der Weltspiele noch nicht klar. Viele verwechseln Special Olympics auch mit den Paralympics. Dass hier im Sommer das größte Multisportevent seit den Olympischen Spielen stattfinden wird, mit 7000 Athlet*innen in 26 Sportarten, ist in dieser Ausprägung noch nicht ins Bewusstsein gerückt.

sj: Wie steuern Sie gegen?

Graus: Da wir um diese Problematik wussten, haben wir vom LOC selbst seit Monaten Printbeiträge, ähnlich Korrespondentenberichten von Nachrichtenagenturen, über unseren Presseverteiler verbreitet, haben eigene Bewegtbildbeiträge gedreht und über eine eigene Distributionsplattform zur Verfügung gestellt. Dazu natürlich tägliche Kontaktpflege. Es ist schon zu sehen, dass lokal und regional sehr viel berichtet wird über Special Olympics. Überregional aber ist das eher zurückhaltend. (Foto Turnen bei den Special Olympics: Special Olympics World Games Berlin 2023 Organizing Committee gGmbH)

sj: Wie erklären Sie sich das?

Graus: Ganz sicher hängt dies auch mit der Arbeitsbelastung der Kolleg*innen in den Redaktionen zusammen. Dennoch sollte auch diskutiert werden, ob hier nicht die Möglichkeit verpasst wird, die ja immer wieder selbst eingeforderte Berichterstattung über das 1:1 hinaus wahrzunehmen, oder ob doch das Ergebnis des Regionalliga-Fußballs wichtiger ist als über die Chancen gesellschaftlicher Veränderung durch ein Sportereignis zu berichten. Die Sportler*innen von Special Olympics sowie die vielfältigen Aktionen im Zusammenhang mit den Weltspielen gäben dazu jedenfalls Anlass. Was die Weltspiele nicht hergeben, ist eine reine Ergebnisberichterstattung, nur orientiert an Rekorden. Dafür sind die Wettbewerbe ganz anders aufgebaut.

sj: Das Akkreditierungsverfahren ist beendet. Wie ist die Resonanz?

Graus: Aus unserer Sicht überwältigend. Es haben sich fast 2000 Medienvertreter*innen akkreditiert. Und bei den Weltspielen gilt wie bei Olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften: Eine Akkreditierung ist absolut notwendig, ohne geht nichts. Es haben sich sehr viele Kolleg*innen aus dem Ausland akkreditiert. Da kam schon mal scherzhaft die Aussage, dass es wohl einfacher ist, aus Pakistan nach Berlin zu kommen als aus Frankfurt. Wir werden uns bemühen, wenn es denn Bedarf geben wird, Möglichkeiten zur Nachakkreditierung zu finden. Aber ein einfacher Prozess in Minutenschnelle wird das nicht werden können.

sj: Das wiederum nennt man aus Ihrer Perspektive wohl Klagen auf hohem Niveau.

Graus: Vor dem Hintergrund des Andrangs, der natürlich ein gutes Zeichen ist: ja. 

Mit Gerd Graus sprach Frank Schneller. Der 54-Jährige Sportjournalist und Themenproduzent aus Hamburg begann seine Laufbahn beim Sport-InformationsDienst, arbeitete dann viele Jahre in der Redaktion der Sport Bild. Seit 2001 ist Schneller als Freelancer tätig und seit 2011 Leiter des Reporter- und Dienstleister-Netzwerks Medienmannschaft.