Medienexperte Rainer Nübel über OBS-Studie

„Enorme psychosoziale Belastungen bei Journalist:innen“

04.10.2022

Die Ergebnisse sind alarmierend. Im Interview mit Maik Rosner erklärt Co-Autor Prof. Dr. Rainer Nübel, welche Schlüsse sich aus der Studie der Otto Brenner Stiftung „Arbeitsdruck – Anpassung – Ausstieg. Wie Journalist:innen die Transformation der Medien erleben“ ziehen lassen.

 

Prof. Dr. Rainer Nübel, Jahrgang 1959, lehrt Medienmanagment und Digitales Marketing an der privaten Hochschule Fresenius (Standort Heidelberg) und ist deren Vizepräsident. Dort arbeiten auch Prof. Dr. Burkhard Schmidt, Prof. Dr. Simon Mack und Prof. Dr. Daniel Rölle. Sie sind wie Nübel Autoren der Studie „Arbeitsdruck – Anpassung – Ausstieg. Wie Journalist:innen die Transformation der Medien erleben“, die die Otto Brenner Stiftung der IG Metall veröffentlicht hat (hier gibt es weitere Informationen und die Möglichkeit zum kostenfreien Download als PDF). Nübel begann als Lokaljournalist bei der Nürtinger Zeitung, ging später zu den Stuttgarter Nachrichten und wechselte 2000 als freiberuflicher Journalist zur Agentur Zeitenspiegel, um 19 Jahre lang für das Magazin stern zu schreiben.

sportjournalist: Herr Prof. Dr. Nübel, was sind die zentralen Erkenntnisse Ihrer Studie?

Rainer Nübel: Zunächst muss man sagen, dass bei der Transformation mehrere Krisen zusammenkommen. Die ökonomische Krise durch enorme Erlöseinbrüche, vor allem bei den Printmedien. Die Vertrauenskrise, also die zunehmende Kritik des Publikums an den Medien. Und dann noch die enorme Arbeitsverdichtung, die gerade auch im Sportjournalismus zu sehen ist. Wir wollten wissen, wie die Journalist:innen diese Krisen erleben.

sj: Was haben Sie feststellen können?

Nübel: Herausgekommen sind zwei zentrale Erkenntnisse. Zum einen nehmen die Journalist:innen die Transformation als sehr belastend wahr, zum anderen konnte mehr als die Hälfte der interviewten Journalist:innen die seriöse Kritik an den Medien nachvollziehen (Abbildung Titelseite der Studie: Otto Brenner Stiftung).
 
sj: Wie äußert sich das hohe Belastungsempfinden, das Sie festgestellt haben?

Nübel: Journalismus war schon immer ein Risikoberuf, was Burnout angeht. Aber wir haben gesehen, dass doch enorme psychosoziale Belastungen vorhanden sind. Bis zu 60 Prozent sagen, dass die Belastung, die die Arbeit mit sich bringt, für sie nicht mehr tragbar sei. Oder 40 Prozent sagen, dass sie emotional ausgelaugt seien. Das sind auf der Burnout-Skala, die Psycholog:innen verwenden, alarmierende Ergebnisse.
 
sj: Welche Veränderungen im Berufsalltag von Journalist:innen haben diese Entwicklungen begünstigt?

Nübel: Das ist vor allem die Arbeitsverdichtung durch weniger Zeit und weniger Ressourcen. 60 Prozent der Befragten sagen, dass die Einsparungen sich enorm negativ auf ihre Arbeitssituation auswirken. Gravierend sind dabei auch die veränderten Arbeitsabläufe im Vergleich zur vordigitalen Zeit. Online verlangt, dass man schon morgens produziert und permanent Content raushaut. Das erhöht die Belastung, den Druck und die mögliche Fehlerhaftigkeit. Es gibt kaum mehr Zeit, nachzudenken und zu konzipieren.
 
sj: Haben sich Unterschiede bei den Altersgruppen gezeigt?

Nübel: Vor allem die Älteren sehen die Mechanismen der digitalen Medien kritisch. Sie leiden unter der stärkeren Zuspitzung. Diese führt bei nicht wenigen Journalist:innen zu einem Wertekonflikt. Jüngere haben damit weniger Probleme.
 
sj: Sie stellen auch eine regelrechte Berufsmüdigkeit fest. Demnach denken gerade jüngere Journalist:innen oft daran, ihren Job aufzugeben.

Nübel: Das halten wir für eines der fatalen Ergebnisse. Vor allem die Journalist:innen zwischen 30 und 40 Jahren haben oft das Gefühl, regelrecht festzustecken. Hier zeichnet sich der größte Frust ab. Dabei ist das jene Generation, die notwendig wäre, um die jungen Journalist:innen heranzuführen (Foto: Fotoagentur Kunz/augenklick).
 
sj: Warum ist der Frust gerade in dieser Altersgruppe so ausgeprägt?

Nübel: Weil die Entwicklungschancen als sehr gering eingestuft werden. Weniger als 30 Prozent sehen die Aufstiegschancen als gut an. Zudem fühlen sich viele vom Medienmanagement nicht gehört und alleingelassen.
 
sj: Inwiefern?

Nübel: Ein Sportjournalist sagte beispielsweise, er könne die kritischen Geschichten kaum mehr schreiben, weil es dann von der Online-Redaktion heißt: „Lass das bleiben, sonst verlieren wir User:innen.“ Auch in dieser Hinsicht ist ein Wertekonflikt zu beobachten.
 
sj: Welche Schlüsse lassen sich aus den Ergebnissen der Studie ziehen?

Nübel: Zum einen ist es wichtig, dass Journalist:innen auf ihre Situation deutlicher aufmerksam machen. Zum Beispiel, wie groß die Barrieren im Dreieck aus Sport, Wirtschaft und Medien sind, wenn man kritisch recherchiert. Zum anderen muss das Medienmanagement seiner Verantwortung nachkommen und ein psychologisches Gesundheitsmanagement wie Supervisionen oder Coachings bereitstellen.

Zum Autoren Maik Rosner: Jahrgang 1976, Studium der Sportwissenschaft, danach vier Jahre lang Redakteur bei der Nachrichtenagentur Sport-Informations-Dienst. Anschließend freier Korrespondent, zunächst in Südafrika, später in Brasilien, seitdem wieder in München. Mitglied des dortigen VDS-Regionalvereins.