sportjournalist: Herr Schumacher, viele Kolleginnen und Kollegen verlassen den Sportjournalismus wegen der Arbeitszeiten. Daran lag es bei Ihnen vermutlich nicht.
Marko Schumacher: Nein, das wäre kein Fortschritt gewesen. Irgendwann fand ich Wochenendarbeit zwar nicht mehr ganz so toll wie am Anfang, aber ich hatte mich daran gewöhnt und die Familie auch. Das war nicht der Grund für den Ausstieg, weil uns klar war, dass wir alle erst mal nicht weniger, sondern viel mehr arbeiten würden – auch und gerade am Wochenende. Aber es ist ein selbstbestimmteres Arbeiten. Wir haben jetzt ein kleines Unternehmen, um das wir uns kümmern und das wachsen soll. Wir sehen unmittelbar, was und wofür wir es machen.
sj: Die Gastro-Branche war nicht gerade ein Profiteur der Pandemie. Sie haben vier Kinder, und reich wird man vermutlich nicht. Hatten Sie keine Angst, dass es schiefgeht?
Schumacher: Ich nicht, aber viele Menschen in meinem Umfeld waren wirklich sehr besorgt. Ich selbst war von Beginn an euphorisch, aber wahrscheinlich ist das auch nötig, damit man sich einen solchen Schritt traut. Es ist viel Idealismus am Anfang, und wir haben schnell festgestellt, dass es gut laufen muss, damit man etwas verdient. Das tut es glücklicherweise. Wir sind daher sehr froh über unsere Entscheidung, auch weil es großen Spaß macht. (Schumacher-Foto: privat)
sj: Mit derselben Begründung starten viele in den Sportjournalismus...
Schumacher: Das war bei mir genauso. Es hat sich nicht nach Arbeit angefühlt, wenn ich auf Dienstreise oder im Stadion war oder in der Redaktion saß und mich mit Sport beschäftigt habe. Es war genau das, was ich machen wollte. Eigentlich war es für mich bis zum Ende ein Traumjob.
sj: Trotzdem sind Sie komplett ausgestiegen. Liegt das am „eigentlich“?
Schumacher: Der Idealismus hat gelitten, unter den vielen Spar-Runden und unter einer zunehmenden Entfremdung vom Fußballgeschäft. Ich war immer großer Fußballfan und durfte es beruflich machen. Aber es fiel mir immer schwerer, mich Tag für Tag ernsthaft mit einem Geschäft auseinanderzusetzen, das derart verkommen und verlogen ist. Das den Leuten die ganze Zeit zu erzählen, hat ja aber auch keinen Sinn. Ich wäre trotzdem nicht unglücklich geworden, wenn ich diesen Job bis zur Rente weitergemacht hätte – doch kam dann die Idee mit dem Café. Jetzt bin ich sehr dankbar, dass ich mich noch einmal komplett neu erfinden durfte.
sj: Das Café wirkt klassisch, wie kamen Sie darauf, dass ausgerechnet das funktionieren würde?
Schumacher: Wir haben das Konzept der Café-Bar nicht neu erfunden.Solche Läden gibt es auch in Stuttgart in vielen Vierteln – komischerweise nur nicht in unserem. Wir wohnen seit 20 Jahren hier und haben einen solchen Laden immer vermisst. Wenn man so will, haben wir eine Marktlücke entdeckt. Und tatsächlich wird das Gottlieb von morgens bis abends extrem gut angenommen. Von 8.00 bis 22.00 Uhr bekommt man bei uns Kaffee, Kuchen, etwas zu essen, Bier oder Gin Tonic.
sj: Wie viel Ausbildung war im Vorhinein nötig?
Schumacher: Wirt kann fast jeder werden. Man braucht eine IHK-Bescheinigung und für den Ausschank von Alkohol ein sauberes Führungszeugnis von der Polizei – das war es auch schon. Ich habe während des Studiums in der Gastronomie gejobbt, aber ich bin trotzdem ein Amateur, der jeden Tag lernt. Da geht es uns wie vielen unserer Mitarbeiter.
sj: Stehen Sie selbst in der Küche?
Schumacher: Hin und wieder, ansonsten ist unsere Küche fest in ukrainischer Hand. Wir haben Geflüchtete des Kriegs eingestellt, unter anderem eine fantastische Bäckerin aus Odessa. Auf unserer Speisekarte steht sogar Borschtsch. An der Bar und im Service haben wir mittlerweile drei Festangestellte und viele Schüler und Studenten aus der Nachbarschaft, das ergänzt sich großartig. Auch unsere älteste Tochter arbeitet bei uns. Wir sind noch immer relativ unerfahren, aber nach einem knappen Jahr auch schon viel weiter, als wir gehofft hatten.