Von Traktoren zum Fußball: Der Umsteiger Mark Lovell

"Freier Journalismus ist wie Busfahren in London"

04.03.2024

Mark Lovell arbeitete als Russisch-Experte bei der britischen Luftwaffe, bevor er Journalist wurde. Mit Katrin Freiburghaus sprach er über ein Hobby als Beruf, die Bundesliga auf dem US-Markt und sein Engagement für einen NFL-Klub.

 

Mark Lovell, 53, begann seine berufliche Laufbahn als Russisch-Experte bei der britischen Luftwaffe, bevor er in seiner englischen Heimat Journalismus studierte. In Deutschland arbeitete er im Backoffice eines Wertpapierhändlers und als Marktforscher für Traktoren, Übersetzer und Englischlehrer, ehe er als freier Journalist Fuß fasste. In seiner Muttersprache berichtet er seitdem für diverse englischsprachige Medien über die Fußball-Bundesliga und kommentiert für den FC Bayern. Seit der vergangenen Saison verfasst er als German Content Writer der Atlanta Falcons zudem die deutschsprachigen Inhalte für den NFL-Klub.

Sportjournalist: Herr Lovell, Sie waren in der Endphase des Kalten Krieges in Berlin stationiert. Wie landet man als Sport-Enthusiast bei der Royal Air Force?

Mark Lovell: Ich habe dort Russisch studiert, weil ich gut in Fremdsprachen und ein sehr guter Golfspieler war. Man hatte mir gesagt, beim Militär mache man die ganze Zeit Sport, das klang attraktiv. Ganz so war es nicht, aber meine Russisch-Ausbildung hat Spaß gemacht, wurde sehr gut bezahlt, und es war eine spannende Zeit in Berlin. Deutsch konnte ich danach allerdings kein Wort, weil wir uns auf unseren Job konzentrieren und möglichst wenig Kontakt nach außen haben sollten.

sj: Wie kam es dazu, dass Sie es später gelernt haben?

Lovell: Nach der Zeit in Berlin bin ich bei der Luftwaffe ausgestiegen und habe in meiner Heimat Journalismus studiert. Ich habe eine deutsche Frau kennengelernt – und bin mitgegangen. Das war 1997, also vor dem Internet und Social Media, weshalb es für mich nicht möglich war, als Journalist zu arbeiten. Aber ich konnte schnell tippen und habe deshalb einen Job bei einem Börsenmakler bekommen. Über Sport schrieb ich in meiner Freizeit, anfangs viel über Cricket. Ich war jahrelang Kapitän beim Munich Cricket Club, der ein wichtiger Teil meines Lebens wurde. (Lovell-Foto: privat)

sj: Wie wurde das Hobby zum Beruf?

Lovell: Ich bin auf dem Land aufgewachsen, meine Eltern waren Bauern. Ich habe eine Stelle in der Marktforschung für Landmaschinen gefunden. Es ging um den deutschen Traktorenmarkt, aber der Vorteil war, dass wir Presseausweise bekommen haben. Damit bin ich in meiner Freizeit zu den Spielen von Bayern und 1860 gegangen und habe für verschiedene Websites darüber geschrieben. Dann kam die WM in Deutschland, dann Guardiola zu den Bayern, dann der WM-Titel – es wurde plötzlich immer mehr. Internationale Sender wünschten sich Interviews, und ich wurde Bayern-Korrespondent für ESPN.

sj: Wie erklärt man dem US-Markt Bundesliga-Fußball?

Lovell: In den USA hat College-Sport eine riesige Bedeutung, das kann man als Außenstehender schwer verstehen. Das ist dort genauso drin wie Fußball in Deutschland, das kann man also eigentlich kaum erklären. Es geht eher um Einzelpersonen und ihre Geschichten. Das Interesse am FC Bayern war unter Guardiola zum Beispiel wesentlich größer als unter Kovac. Paris St. Germain bekam einen Korrespondenten wegen Neymar. Das ist kein US-Phänomen. Auch in England ist Leverkusen durch Xabi Alonso auf der Bank spannender geworden, seit Liverpool einen neuen Trainer braucht. Und die Bayern haben dort aufgrund von Harry Kane jetzt viel mehr Präsenz und Sichtbarkeit. Generell gibt es aber auch eine Tendenz, dass Fans immer häufiger mit Spielern sympathisieren statt mit Vereinen. Das hat viel mit Social Media zu tun.

sj: Erschwert es den Job als freier Journalist, wenn das Interesse so schwer berechenbar ist?

Lovell: Als freiberuflicher Journalist ist es mit der Auftragslage wie mit Bussen in London: Man wartet drei Tage lang vergeblich, und dann kommen, wenn man Glück hat, drei gleichzeitig. Wenn man wie ich drei sehr junge Kinder hat, nimmt man deshalb auch Anfragen an, die man früher vielleicht journalistisch nicht spannend genug gefunden hätte – einfach, weil sie eine gewisse Kontinuität versprechen.

sj: Ihr Engagement bei den Atlanta Falcons klingt solide. Was hat es damit auf sich?

Lovell: Die Falcons haben neben vier anderen NFL-Franchises die internationalen Marketingrechte für Deutschland bekommen. Es geht darum, die eigene Berichterstattung für die deutsche Falcons-Community aufzubereiten und am deutschen Markt präsenter zu werden. Mercedes Benz spielt als Namensgeber für das Stadion in Atlanta sicher eine wichtige Rolle. Ein amerikanischer Bayern-Fan, der bei den Falcons ist, hat meine Artikel bei ESPN gelesen und mich im Sommer kontaktiert. And here we are: Ich kommentiere hin und wieder im Web-Radio der Bayern deutschen Fußball auf englisch – und schreibe bei den Falcons über American Football auf deutsch.

Mit Mark Lovell sprach Katrin Freiburghaus. Sie arbeitet von München aus als Freelancerin, unter anderem für die Süddeutsche Zeitung. Hier geht es zu ihrem Xing-Profil.