Fananwalt Lau über Missverständnisse und Missstände

„Gründlichkeit sollte vor Schnelligkeit gehen“

01.02.2023

Wenn es im Umfeld von Fußballstadien Ausschreitungen gibt, folgt die Berichterstattung meist einseitig der Darstellung der Polizei, betroffene Fans finden selten Gehör. Rechtsanwalt René Lau spricht im Interview mit sportjournalist-Autor Christoph Ruf darüber, warum das problematisch ist und wie es sich ändern ließe.

 

René Lau ist Anwalt für Sport- und Strafrecht. Der Berliner hat 2010 den bundesweiten Zusammenschluss „Arbeitsgemeinschaft Fananwälte“ mitgegründet und vertritt wie seine dort zusammengeschlossenen Kolleginnen und Kollegen Fußball-, aber auch Eishockeyfans vor Gericht – häufig nach Konflikten mit der Polizei. Der 55-Jährige referiert zu (juristischen) Fanthemen und hat 2022 das Buch „Beim Fananwalt“ veröffentlicht. Im Gespräch mit Christoph Ruf hält der Anhänger des Fußball-Regionalligisten BFC Dynamo Berlin unserer Branche den Spiegel vor und regt Veränderungen an.

sportjournalist: Herr Lau, Sie haben unserer Zunft in Ihrer Kolumne für die Junge Welt vorgeworfen, sie schreibe ungeprüft die Pressemitteilungen der Polizei ab. Wie aber soll man an einem Sonntagnachmittag eine Fanmeinung einholen?

René Lau: Die Chance bestünde darin, nicht auf die schnelle Schlagzeile zu setzen, sondern auf Sachlichkeit. Dann würde man den Tweet der Polizei erst mal ignorieren und hätte die Chance, am nächsten Tag Kontakt zur Fanszene aufzunehmen, um deren Sicht zu erfragen. Gründlichkeit sollte vor Schnelligkeit gehen.

sj: Viele Kollegen berichten, wie schwer es ist, überhaupt von der Fanseite eine Stellungnahme zu bekommen. Ein regelrechtes Journalisten-Feindbild sei dort verbreitet (Foto Polizei im Fußballstadion: GES-Sportfoto/Marvin Ibo Güngör/augenklick).

Lau: Es hat sich da sehr viel getan. Es gibt fast überall Fanhilfen oder Fanprojekte, und in vielen Szenen ist die Bereitschaft, mit Journalisten zu reden, deutlich gestiegen. Auch weil sich die Berichterstattung wohltuend von der vor 15 Jahren unterscheidet. Formate wie „Sport inside“, die die Branche mit kritischem Blick beobachten, gab es damals so gut wie nicht. Aber nicht nur solche Formate sollten sich vergegenwärtigen, dass die Polizei kein neutraler Beobachter ist. Sie ist immer Akteur im System, wie Fans und Fananwälte auch.

sj: Wie meinen Sie das?

Lau: Wenn die Polizei etwas verkündet, geschieht das immer auch mit dem Ziel, die eigene Arbeit gut darzustellen. Da wird dann eine Verhaftung publiziert, und hinterher stellt sich heraus, dass das Verfahren eingestellt worden ist. Oder die Polizei schickt Tweets in die Welt, mit denen sie die Persönlichkeitsrechte von Fußballfans verletzt, wie kürzlich das Oberverwaltungsgericht Münster festgestellt hat. Durch das Gericht ist die Polizei auch daran erinnert worden, dass sie nicht gegen die Rechte der Fans verstoßen und nur objektiv berichten darf, ohne Mutmaßungen oder Bewertungen abzugeben. Ich hoffe, das Urteil wirkt, und die Polizei ist zukünftig ein wenig zurückhaltender, was die Sozialen Medien angeht.

sj: Woher kommt der Glaube an die Objektivität der Polizei?

Lau: Gesamtgesellschaftlich ist das Bild vom klassischen Schutzmann noch weit verbreitet. Die meisten Leute haben ja nur äußerst selten mit der Polizei zu tun - und wenn, dann in Situationen, in denen ihnen von ihr geholfen wird. Das ist bei Fußballfans völlig anders, zumal die es mit geschlossenen Einheiten der Polizei zu tun haben. Das sind dann andere Leute als die, die kommen, wenn bei Oma Schawubke eingebrochen wurde (Foto Polizei bei Fußball-Länderspiel: sampics Photographie/Stefan Matzke/augenklick).

sj: Welche Beispiele polizeilichen Fehlverhaltens erleben Sie?

Lau: Bei Fanmärschen wird den Fußballfans schon mal der Fuß hingehalten, damit jemand stolpert, oder da geht ein Ellenbogen raus – beides in der Hoffnung, dass es danach eskaliert. Auch so etwas führt dazu, dass die Aggression gegenüber der Polizei größer wird. Vor allem jüngere Fans, die so etwas erleben, sagen sich: Jetzt erst recht!

sj: Wobei dank der Kennzeichnungspflicht doch solche Polizisten damit rechnen müssen, belangt zu werden, oder nicht?

Lau: Theoretisch schon. Aber erstens gilt die Kennzeichnungspflicht nur in einigen Bundesländern. Und dann gibt es noch solche Skurrilitäten, wie in Berlin, wo die Nummer auf dem Rücken der Uniform ist. Der Fan muss den Beamten, der ihm eine reingehauen hat, also bitten, sich umzudrehen, damit er sich die Nummer merken kann. Anderswo ist die Wasserflasche in der Brusttasche beliebt. Die verdeckt nämlich ein paar Ziffern.

sj: Sie beklagen eine Stigmatisierung von Fußballfans.

Lau: Die ist leider weitverbreitet, besonders bei Leuten, die noch nie im Stadion waren. Da wird dann alles in einen Topf geworfen. Auch Richter und Staatsanwälte können Kutten, Hools und Ultras oft nicht unterscheiden. Und das, obwohl man das alles gut in fünf Sätzen erklären könnte. All das liegt auch an den unkritisch reproduzierten Polizeimeldungen.

sj: Es gibt Polizeivertreter, die aufrichtig empört reagieren, wenn man ihnen sagt, dass Fans härter angefasst werden als andere Bevölkerungsgruppen.

Lau: Entschuldigung, aber das kann man einfach nicht bestreiten. Sie werden schon körperlich härter angefasst, wenn es eskaliert. Auseinandersetzungen zwischen Fans gelten vor Gericht oft als etwas völlig anderes als Gewalt auf dem Schützenfest. Dabei ist es von der Sache her das Gleiche, wenn ein Fan einem anderen eine auf die Nase haut. Oder wenn ein anderer das im Pub tut, weil jemand seine Freundin angemacht hat.

Mit René Lau sprach Christoph Ruf. Er arbeitet als Freelancer von Karlsruhe aus. Hier geht es zu Rufs Website.