Aussteigerin Doris Henkel

„Ich kann den Mut der jungen Kollegen nur bewundern“

01.02.2023

Die Aussteigerin Doris Henkel spricht im Interview mit sj-Autorin Katrin Freiburghaus über längst vergangene Zeiten, ihren Abschied vom Tennis-Zirkus, freien Journalismus, den man sich leisten können muss, und verrät, warum sie aufgehört hat.

 

Doris Henkel, Jahrgang 1953, volontierte bei der WAZ, war dort Redakteurin, danach bei der Süddeutschen Zeitung und machte sich 1992 mit den Schwerpunkten Tennis und Eiskunstlauf selbständig. Nach 117 Grand-Slam-Turnieren ging sie im vergangenen Jahr in Ruhestand. Henkel ist Autorin zahlreicher Bücher.

sportjournalist: Frau Henkel, wie haben Sie früher Ihre Texte übermittelt?

Doris Henkel: Da klinge ich noch älter, als ich bin. Aber gut: Angefangen hat es mit der Telefonaufnahme. Ich habe den Text auf der Schreibmaschine geschrieben, auf den Rückruf von der Redaktion gewartet und diktiert. Wenn ich in den USA war, konnte das wegen der Zeitverschiebung morgens um sechs passieren. Da bat dann jemand fröhlich zum Diktat, und ich hatte kaum die Augen auf. Wenn es um Eiskunstlauf ging, einer von Russen dominierten Sportart, musste man viel buchstabieren.

sj: Ein weiter Weg bis zu freiem W-Lan in Hotelzimmern?

Henkel: Einfacher war es nicht, aber ich möchte die Erfahrung nicht missen. Später hatte man einen kleinen Drucker dabei und hat die Texte gefaxt. Das war nicht nur Wahnsinn, sondern auch teuer, wenn man irgendwo aus Frankreich jeden Tag sechs Zeitungen was faxen musste. Dann kamen die Akustikkoppler. Für jemanden, der frei arbeitet, ist der technische Fortschritt in diesem Bereich ein Traum.

sj: Das klingt nach einem großen Aber.

Henkel: Twitter und zahllose anderen Kanäle, über die permanent Informationen kommen, erzeugen Druck. Man hat immer mehr das Gefühl, allem hinterherzurennen, weil man das ja nicht einfach übernehmen kann, sondern überprüfen muss. Außerdem verbaut es die Chance, eine Geschichte liegen zu lassen, um zu schauen, ob und wohin sie sich entwickelt. Das geht nicht, wenn man nicht Gefahr laufen will, zu spät dran zu sein, weil es alle anderen längst vermeldet haben (Henkel-Foto: privat).

 sj: Würden Sie Selbständigkeit im Sportjournalismus noch empfehlen?

Henkel: Es gibt junge Kollegen, die sich da hineinstürzen, und ich kann ihren Mut nur sehr bewundern. Im Zuge der Veränderung der Medienlandschaft würde ich es heute nicht mehr machen. Andererseits habe ich auch nicht gewusst, was mich erwartet. Ich hab’ es probiert. Womöglich sind die jungen Leute genauso drauf, und es geht alles gut. Aber ihre Chancen sind schlechter. Einer der Gründe, aus denen ich aufgehört habe, ist, dass ich mir den Job schlicht nicht mehr leisten konnte.

 sj: Weil Aufwand und Ertrag in einem Missverhältnis standen?

Henkel: Nein, in absoluten Zahlen. Bei meinem letzten Grand-Slam-Turnier habe ich 300 Euro minus gemacht. Das ist nicht sinnvoll, wenn ich dafür zwei Wochen lang jeden Tag 16 Stunden arbeite. Die meisten Zeitungen legen keinen Wert mehr auf freie Mitarbeiter, die Geld kosten. Ich habe meine Reisekosten fast immer selbst getragen, und es gab wunderbare Zeiten, zu denen ich sieben, acht Zeitungen hatte. Aber am Ende waren es eben nur noch anderthalb, dabei zum Glück die FAZ.

 sj: Frauen im Sport waren bei Ihrem Berufsstart eine Rarität. Wie schwer hatten Sie es?

Henkel: Für meinen Einstieg war das sogar ein Vorteil, weil mich die WAZ so exotisch fand, dass ich sie interessiert habe. Auch danach habe ich nie Steine in den Weg gelegt bekommen, das ist aber meine ganz persönliche Erfahrung. Es gab genügend Kolleginnen, denen es anders erging. Im Zeitungswesen habe ich manchmal das Gefühl, dass wir wieder an derselben Stelle angekommen sind, an der wir bei meinen Anfängen waren. Es gab in den 1980er- oder 1990er-Jahren tatsächlich Sportredaktionen, in denen auch mal zwei Frauen saßen. Aber danach ging es wieder zurück.

 sj: Wie sehr fehlen Ihnen die Turniere in Australien oder den USA?

Henkel: Nicht dort zu sein fällt mir extrem schwer. Als ich die Australian Open im Fernsehen gesehen habe, wusste ich genau, wo welche Ecke ist und wie es sich anfühlt, wenn abends die Temperaturen fallen. Deshalb muss ich da nächstes Jahr auch wieder hin, aber als Touristin. Denn die Arbeit fehlt mir nicht. Die Stelle des Schreibens hat längst das Fotografieren eingenommen. Mein Traum wäre es, einmal mit den Fotografen in einer Reihe zu sitzen und das Spiel aus deren Perspektive sehen zu dürfen.

Mit Doris Henkel sprach Katrin Freiburghaus. Sie arbeitet von München aus als Freelancerin, unter anderem für Süddeutsche Zeitung und SID. Hier geht es zu ihrem Xing-Profil.