Medienforscher Dr. Leif Kramp über die Zukunft des Lokaljournalismus

"Journalismus braucht Förderung"

02.10.2023

Immer mehr Regionen werden von keiner Lokalzeitung mehr versorgt. Dr. Leif Kramp (43), Forschungskoordinator des Zentrums für Medien-, Kommunikations- und Informationsforschung der Universität Bremen, spricht mit sj-Autor Maik Rosner über die Situation der Zeitungsverlage, welches Schreckensszenario für 2025 droht und warum die Pressewirtschaft neu gedacht werden muss.

 

sportjournalist: Herr Kramp, der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) hat vorgerechnet, dass rund 4400 Kommunen in Deutschland, also knapp 40 Prozent, bis 2025 von gar keiner Lokalzeitung mehr beliefert werden könnten. Was bedeutet das aus Ihrer Sicht?

Leif Kramp: Das ist ein Schreckensszenario. Das bekommt eine zusätzliche Relevanz dadurch, dass wir in vielen Traditionshäusern vor Generationswechseln stehen. Die müssen sich überlegen: Ist das alles noch wirtschaftlich? Und da kann man schon befürchten, dass weiße Flecken entstehen.

sj: Welche Verlage sind von dieser Entwicklung voraussichtlich nicht so stark betroffen?

Kramp: Weniger wird das der Fall sein bei Titeln, die in größeren Regionalzeitungshäusern erscheinen wie Madsack, NOZ, Ippen oder Funke. Bei denen geht es eher um die Frage: Gibt es noch eine originäre Berichterstattung an den diversen Erscheinungsorten? Da sehen wir den Trend durch die Zusammenlegungen, dass einige Zeitungen nur noch ihren Titel tragen, aber keine eigene Redaktion mehr haben. Gesprochen wird dann von der sogenannten Zombie-Zeitung.

sj: Was folgt daraus?

Kramp: Man muss sich über den fortschreitenden Strukturwandel auch geschäftlich-strategisch Gedanken machen. Das heißt auch, dass man nicht mehr ausschließlich profitorientiert arbeiten kann, wie es die Pressewirtschaft bisher getan hat. Man muss vielleicht mehr in Richtung Gemeinwohl-Orientierung gehen, über eine Presseförderung nachdenken. Dabei geht es nicht nur um Zustellförderung, sondern noch vielmehr um die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit verlässlichem Journalismus, egal ob digital oder papierbasiert.

sj: Wie könnte das aufgebaut werden?

Kramp: Es geht nicht darum, dass Journalismus für alle kostenlos ist, wenn man über Gemeinwohl-Orientierung spricht. Sondern die Frage ist: Wie lässt es sich wirtschaftlich absichern, dass Journalist*innen ordentlich bezahlt werden, dadurch gut arbeiten und den Zugang schaffen können für eine kritische Öffentlichkeit? Früher war dabei ein schöner Antrieb, dass damit viel Geld zu verdienen war. Umso schwerer fällt es jetzt Teilen der Pressewirtschaft, darüber nachzudenken, das, was erwirtschaftet wird, wieder einzuspeisen in den Journalismus und in das Personal und eben nicht in die Rendite. Das würde einen großen Unterschied machen. (Kamp-Foto: Beate C. Koehler)

sj: Welcher Denkansatz wäre begrüßenswert?

Kramp: Im Grunde muss es nicht mehr um die Frage gehen, wie gewinnbringend der Journalismus monetär ist, sondern wie gewinnbringend ist er für die Allgemeinheit, für die Gesellschaft, inhaltlich und demokratisch.

sj: Was lässt sich daraus ableiten?

Kramp: Journalismus braucht Förderung. Sei es durch Stiftungen oder die öffentliche Hand. Wie das organisiert wird, da gibt es verschiedene Modelle. Eine Strukturveränderung wird nötig sein, und man muss immer die Staatsferne garantieren. Auch bei der zivilgesellschaftlichen Förderung durch Stiftungen oder Konzerne muss aufgepasst werden, dass Einflussnahme nicht erfolgt und nicht erfolgen kann. Ohne Förderung wird es nicht mehr gehen, nicht in der Breite und mit dem Qualitätsanspruch, den Journalismus hat.

sj: Wird der überhaupt noch erfüllt, auch in der Sportberichterstattung?

Kramp: Der Sportjournalismus, der nötig ist, der ist aufwendig, der ist kritisch, und der leidet genauso unter den beschriebenen Schwierigkeiten wie der Lokaljournalismus. Im Sportjournalismus ist man sehr nah dran an den Subjekten und Objekten der Berichterstattung und auf Zugang angewiesen. Dadurch können Abhängigkeiten entstehen.

sj: Umso wichtiger wäre eine wirtschaftliche Unabhängigkeit.

Kramp: Die lobenswerte Lebendigkeit des kritischen Sportjournalismus gilt es zu erhalten, und auch da braucht es Förderung. Wir brauchen aber eine ressortübergreifende Lösung, kein Klein-Klein in Form einer Förderung, die nur dem kritischen Sportjournalismus zur Verfügung gestellt wird. Wir brauchen eine grundsätzliche Debatte darüber, inwiefern die Institutionen, auch der Staat, Verantwortung tragen für die Praxis der gesellschaftlichen Selbstverständigung, die auf verlässlichen Regelstrukturen basiert. Und das ist der Journalismus. Da werden wir nicht darum herumkommen, die Gemeinwohl-Debatte zu führen.

Maik Rosner ist freier Journalist und schreibt unter anderem für die Süddeutsche Zeitung.