Interview mit Eintracht Frankfurts Mediendirektor Jan Strasheim

"Kritischer Journalismus wird immer Relevanz haben"

02.11.2023

Jan Strasheim leitet seit 2016 die Medienabteilung von Eintracht Frankfurt. Der 40-Jährige kennt als früherer Journalist das Spannungsfeld, in dem sich die Fußball-Bundesligisten und die Berichterstatter bewegen. sj-Autor Frank Hellmann sprach mit Strasheim über die Herausforderungen der Gegenwart – wie den schwierigen Umgang mit Social Media in weltpolitisch aufgeladenen Zeiten.

 

sportjournalist: Wie viele Personen haben in ihren Anfängen für die Kommunikation von Eintracht Frankfurt gearbeitet, wie viele sind es heute?

Jan Strasheim: Wir reden heute von 37 Festangestellten und rund einem Dutzend Freelancer und Werksstudenten, so dass wir auf fast 50 Personen kommen. Als ich 2016 den Bereich übernommen habe, waren es fünf Mitarbeiter.

sj: Was zeigt dieser sprunghafte Anstieg?

Strasheim: Es ist ein Zeichen dafür, dass sich vor allem die Medienwelt sehr verändert hat. Vor 15 Jahren spielte Social Media keine oder nur eine untergeordnete Rolle. Durch Social Media werden heute auch viel mehr Inhalte produziert, die teilweise auch eine Bedeutung für andere Bereiche, zum Beispiel Marketing, haben. Heute setzen große Profiklubs im Spitzensport vermehrt eigene Formate in der Kommunikation auf: Gerade Fußballvereine mit einer hohen öffentlichen Relevanz sind zunehmend auch kleine Medienhäuser. Natürlich hilft es auch über diesen Weg, Fans aus dem Ausland zu gewinnen und zu binden.

sj: Geht es nicht auch um die Deutungshoheit über die Informationen?

Strasheim: Das ist sicherlich ein Punkt, aber nicht der ausschlaggebende Faktor. Vielmehr geht es um Ziele im Info- und Entertainment, die wir beispielsweise mit EintrachtTV anstreben. Wir haben damit eine gute Möglichkeit, Informationen direkt an den Interessierten zu adressieren. Dadurch können wir den Fan auch schneller erreichen, weil der Zwischenweg über den Journalisten wegfällt. Aber die Deutungshoheit derjenigen Journalisten, die nahe dran sind, schmälert das aus meiner Sicht nicht. Unabhängiger und kritischer Journalismus wird immer Relevanz haben.

sj: Sind die Sozialen Medien mit ihrer rasenden Geschwindigkeit der Verbreitung eher Fluch oder Segen?

Strasheim: Ich würde sagen beides. Wir erreichen dadurch mehr Menschen, das ist für einen Verein erst einmal ein Vorteil. Aber wenn ich über den Tellerrand hinausschaue, sehe ich natürlich auch, wie schwierig es für Journalisten geworden ist, mit sauber recherchierten, hintergründigen Geschichten zu punkten, die nicht zuerst darauf angelegt sind, Klicks im Internet abzugreifen. (Foto Eintracht-Fans: GES-Sportfoto/augenklick)

sj: Zuletzt ist eine Debatte um den Umgang mit pro-palästinensischen Social-Media-Beiträgen von Fußball-Profis entbrannt. Braucht es eine Medienschulung zu dem Thema, um einen Fall Noussair Mazraoui zu verhindern?

Strasheim: Wir führen natürlich auch Medienschulungen durch, aber ich persönlich glaube nicht, dass es in Fällen wie diesen immer etwas bringt. In diesen aufgeheizten weltpolitischen Konflikten sind Emotionen im Spiel, es geht um Sozialisation und sicher in Einzelfällen auch um ein individuelles Weltbild und Überzeugung – es ist also tiefgreifender und komplexer. Unsere Aufgabe in der Kommunikation ist es, aufzuklären und mögliche Konsequenzen aufzuzeigen. Ich fürchte aber, dass sich unerfreuliche Posts auch weiterhin nicht immer vermeiden lassen.

sj: Themawechsel: Die Eintracht hat bei einigen Dokus schon viele Einblicke zugelassen. Würde sich ihr Klub aufgeschlossen zeigen, wenn es um Kameras in die Kabine ginge, wenn solche Begehrlichkeiten durch neue Medienverträge aufkämen?

Strasheim: In erster Linie geht es sicher darum, das Produkt Bundesliga noch attraktiver zu gestalten und den Zuschauern einen Mehrwert zu bieten. Und natürlich wird das Gesamtpaket entscheidend sein. Ich glaube, wir müssen vor allem die junge Zielgruppe besser abholen. Und hier spielt das Konsumentenverhalten die wichtigste Rolle. Bei der Umsetzung von Spieltagscontent müssen wir eine gewisse Beweglichkeit zeigen. Es gibt inzwischen auch technisch mehr Möglichkeiten, mit kleinen Kameras gutes Bewegbild zu erzeugen. Außerdem müssen wir die Fans am Spieltag besser mitnehmen können – auch im Doppelpass mit den Rechtehaltern. Da gibt es sicher gute Möglichkeiten.

sj: Hat bei solchen Entwicklungen der klassische Printjournalist, der noch mit Block und Stift zu einem Bundesligaspiel fährt und erst für die Montag-Ausgabe einer gedruckten Zeitung seinen Text schreibt, eine Existenzberechtigung?

Strasheim: Aus meiner Sicht ja. Aber das stellen nicht wir Klubs infrage, sondern eher die Verlage. Der Fußball, ich spreche jetzt mal für die Eintracht, ist eigentlich froh, wenn jemand sauber und vernünftig recherchiert, den Klub in der Tiefe ausleuchtet und Hintergründe verfolgt – und nicht nur reichweitenträchtige Transfergerüchte in die Welt bläst. Aber viele Verlage schauen nur auf Klicks, um auf einem hart umkämpften Markt zu überleben. Das ist doch auch das größte Problem der schreibenden Journalisten alter Schule.

sj: Sie sprechen etwas an: Ist Ihnen ein Dorn im Auge, das zunehmend Journalisten über einen Klub wie Eintracht Frankfurt Artikel erzeugen, die noch nie einen Fuß ins Stadion oder aufs Vereinsgelände gesetzt haben?

Strasheim: Ja. Ich kenne es aus meiner Zeit als Journalist auch, dass man aus wirtschaftlichen Gründen auch mal auf eine Auswärtsreise verzichten muss. Aber wenn jemand gar nicht oder überwiegend nicht vor Ort ist, müssen wir uns überlegen, wie wir damit in Zukunft umgehen. Wir haben das große Glück, das aufgrund unserer internationalen Erfolge und des Wachstums des Vereins ein Gros der Journalisten immer noch mit uns reist. Denn ich halte es für schwierig, eine Einzelkritik am Fernseher zu schreiben – um ein sauberes Bewertungsbild zu bekommen, ist es zwingend notwendig, vor Ort zu sein. Man sollte das Gros der Spiele eine Mannschaft sehen, um ein vernünftiges Gesamtbild zu haben. Aber nur vom Fernseher oder aus anderen Medien abzuschreiben und gar keine Bindung zum Klub zu besitzen, führt zu einem völlig verzerrten Bild. Journalismus soll auch Stimmungen und Schwingungen vor Ort transportieren.

sj: Die Frauen spielen in dieser Saison erstmals in der Champions League und werden auch in der Kommunikation offensiv bespielt. Welche Strategie verfolgt die Eintracht da?

Strasheim: Wir haben bei den Frauen ganz bewusst über unsere Kanäle weitgehend dasselbe Level bespielt wie bei den Männern. Ähnliche Formate, ähnliche Besetzung, ähnliche Plattformen. Da kümmern wir uns sehr stark und sorgen dafür, dass die Frauen auf den Kanälen gut repräsentiert sind. In den nächsten Stufen müssen wir uns anschauen, dass Frauenfußball auch leichter für unsere Fans zu konsumieren ist. Wir spüren ein großes Interesse, aber bei der hohen Schlagzahl an Spielen müssen wir die Überlegung anstellen, wie wir die Frauen noch attraktiver präsentieren. Dass wir den Frauenfußball pushen, spürt man bei uns auch in der Kommunikation.

Der Freelancer Frank Hellmann, Jahrgang 1966, arbeitet von Frankfurt am Main aus. Zu seinen Schwerpunkten zählen Fußball, Marathon und Triathlon. Hier können Sie dem gebürtigen Bremer auf X folgen.