„Wir helfen täglich schwerkranken Menschen“

Umsteiger Thorsten Schabelon

04.07.2022 Einst Fußball, heute Früherkennung. Und Station statt Stadion. Thorsten Schabelon ist Kommunikationschef am Universitätsklinikum Essen. Im Interview der sj-Serie „Einsteiger, Aussteiger, Umsteiger“ spricht er über seinen Abschied vom Sportjournalismus, menschliche Schicksale und unverhoffte Chancen.
 
Thorsten Schabelon, Jahrgang 1973, begann seine journalistische Laufbahn im Lokalteil der Westfälischen Rundschau im Siegerland. Während seines Volontariats wechselte er in den Mantelsport, wo er ab 2006 und dann ab 2009 für die WAZ schwerpunktmäßig über Borussia Dortmund, die Fußball-Bundesliga und das DFB-Team schrieb. Nach seiner Rückkehr ins Lokale orientierte er sich 2017 um und übernahm die Leitung der Stabsstelle Marketing und Kommunikation am Universitätsklinikum Essen. Schabelon ist Mitglied im Verband Westdeutscher Sportjournalisten.

sportjournalist: Herr Schabelon, wer in die Öffentlichkeitsarbeit wechselt, kann sich auf hochgezogene Augenbrauen im Kollegenkreis verlassen. Stört Sie das?

Thorsten Schabelon: Nicht wirklich. Ich höre immer mal „dunkle Seite der Macht“, weil PR natürlich etwas anderes als Journalismus ist. Mir hilft es, dass ich weiß, wie Journalismus funktioniert – was Themen sind und was nicht. Guter Journalismus ist ja nicht, auf die Pressekonferenz nach dem Training zu gehen und mal zu gucken, ob da einer was Relevantes sagt. Da schlafen mir als Leser und User die Füße ein. Dasselbe gilt für zeitgemäße und gute Medienarbeit.

sj: Da gibt es allerdings keine Pressekonferenzen nach dem Training.

Schabelon: Das stimmt. Aber wir sind einer der größten Arbeitgeber in Essen mit 10.500 Beschäftigten an vier Klinik-Standorten. Wir haben reichlich Geschichten. Und wir machen keineswegs nur klassische Pressearbeit. Wir haben Social-Media-Kanäle, präsentieren uns auf Messen und Veranstaltungen, geben Bücher heraus, engagieren uns in der Ukraine, um nur eine Auswahl zu nennen. Wir leben außerdem seit zweieinhalb Jahren in einer Pandemie und haben aktuell einen Streik, der seit April Krisenkommunikation erfordert. Es ist also ein wahnsinnig breites Feld, in dem es gut ist, wenn man sich nicht von den Ereignissen erschlagen lässt, sondern wie bei einem Freitagabendspiel im Stadion vor dem Rechner die Ruhe bewahrt und zudem aktiv schaut, welche Geschichten man erzählen will (Foto: Universitätsklinikum Essen).

sj: Was sind gute Geschichten?

Schabelon: Jene, die Menschen interessieren, faszinieren und emotional mitnehmen. Nicht, dass wir einen entzündeten Blinddarm operieren können. Das hier ist universitäre Spitzenmedizin. Wir haben beispielsweise in der Onkologie Studien und Therapien, die wir europaweit als einzige durchführen. Das macht uns für viele Medien sehr interessant.

sj: Trotzdem ist die Thematik sehr speziell. Wie kommt man auf die richtigen Fragen, ohne vom Fach zu sein?

Schabelon: Ich habe eine produktive Neugier. Die hatte ich schon immer. Mich hat auch als Journalist interessiert, wie etwas funktioniert und entsteht. Eine Zeitung ist mehr als Text und Fotos: das Layout, die Anzeigen, der Druck, die Distribution zum Briefkasten. Das fertige Produkt. So ist das auch im Uniklinikum Essen. Ich habe bei einer Herz- und einer Hirn-OP zugeschaut, die Hüft-OP kommt noch. Beides hat mich daran erinnert, warum ich nie Arzt werden wollte. Aber ich verstehe besser, was wir machen und kann es als Thema einem Journalisten anbieten, um dann den Kontakt zu unseren Experten herzustellen.

sj: Wie hoch ist das mediale Interesse an einer Klinik? Lässt sich das in Zahlen ausdrücken?

Schabelon: Wenn man von der Meldung in der WAZ bis zur New York Times und Besuchen bei „Markus Lanz“ alles zusammenrechnet, hatten wir 2021 ungefähr 16.800 Medien-Beiträge und 5,4 Milliarden Medienkontakte plus Social-Media-Reichweiten, die wir erst nach und nach erfassen. Für fünf Mitarbeiter in Marketing und Kommunikation ist das, glaube ich, ganz gut (Foto Behelfskrankenhaus Messegelände Hannover: GES-Sportfoto/Marvin Ibo Güngör/augenklick).

sj: Das klingt eher nicht nach den geregelten Arbeitszeiten, deretwegen Kolleg*innen dem Journalismus mitunter den Rücken kehren.

Schabelon: Das täuscht. Gerade in der Pandemie war immer viel zu tun, wir konnten gar nicht alle Medienanfragen beantworten. Aber abends ist dann auch Feierabend. Um 18.00 Uhr gibt es keine Medienanfragen mehr – außer, es brennt. Kurz vor Mitternacht benötigt niemand dringend eine Corona-Studie. Ich bin dadurch viel mehr Herr über meine Arbeitszeiten. Natürlich gibt es Ausnahmen: Als wir mal den ARD-„Brennpunkt“ hier hatten, habe ich gefragt, wie sie auf uns gekommen sind. Die Journalistin sagte, wir seien die einzigen gewesen, die samstags auf ihre Mail geantwortet hätten. Also ich lese Mails am Wochenende und habe mein Telefon weitergeschaltet. Aber es passiert selten, dass man am Sonntag eine Pressemitteilung schreiben muss, die nicht bis Montag Zeit hat.

sj: Sie haben lange über Borussia Dortmund berichtet, fehlt ihnen die große Fußballbühne?

Schabelon: Manchmal schon, weil in den Redaktionen beim Fußball jeder Ahnung hat und mitredet. Das ist bei Kultur und Wirtschaft nicht ganz so. Natürlich war die Champions League mit dem Wembley-Finale Dortmund gegen Bayern schön. Es waren aufregende Jahre beim BVB mit DFB-Pokalsieg und zwei Meisterschaften. Das erleben nicht so viele Klub-Begleiter.

sj: Was stattdessen?

Schabelon: Bundesliga ist halt auch samstags 0:0 in Wolfsburg oder Sinsheim: den halben Tag in der Bahn und dann noch ein langweiliges Spiel. Dazu die mediale Konkurrenz in der Bundesliga: Bild, Sky, ARD, ZDF, Sport Bild, kicker. Immer schneller online, dazu Social Media und international sowieso. Das pusht, wenn es um Nachrichten und nicht nur um schöne Lesestücke geht. Es strengt aber auch an. Du bist, wenn du da richtig mitspielen willst, 24/7 im Einsatz. Familienfreundlich ist anders. Hinzu kommt, dass in diesem Kontext von den regionalen Medien nicht gerade oft Prozesse angestoßen werden. Das klappt im Lokalen besser. Die Politik reagiert, wenn Missstände thematisiert werden (Foto Dortmunder Meistertrainer Jürgen Klopp 2010: sampics Photographie/Stefan Matzke/augenklick).

sj: Wo Sie es ansprechen. Von dem Gefühl mangelnder Sinnhaftigkeit berichten viele Kolleg*innen, die den Sport verlassen. War das der Grund für Ihre Neuorientierung?

Schabelon: Ich habe ja im Lokalen angefangen und bin 2013 wegen Umstrukturierungsmaßnahmen in das Ressort zurückgekehrt, in die Stadtredaktion Essen. Journalismus und das Schreiben haben mir immer Spaß gemacht, weil es eine besondere Aufgabe ist und beispielsweise Leserlob immer wieder schön ist. In meiner aktuellen Tätigkeit sehe ich besonderen Sinn: Wir verkaufen kein Produkt oder eine Dienstleistung. Wir helfen täglich schwerkranken Menschen. Ein schöneres Arbeitsfeld kann es eigentlich nicht geben.

sj: Welche Rolle spielt Öffentlichkeitsarbeit bei dieser Hilfe?

Schabelon: Sie zeigt, wie unsere Mitarbeitenden Menschen helfen – manchmal mit unmittelbaren Folgen. Wenn es zum Beispiel dazu führt, dass jemand, der als austherapiert gilt, auf eine Studie aufmerksam wird und eine neue Chance erhält. Oder wenn ein Todkranker, der ein Spenderorgan erhalten hat, von seinem neuen Leben berichtet und schon das Lesen Gänsehaut verursacht. Wenn dann noch bei Facebook fünf Leute schreiben, dass sie sich jetzt einen Organspendeausweis holen, dann ist das besonders schöne Medienwirkung.

Mit Thorsten Schabelon sprach Katrin Freiburghaus. Sie arbeitet von München aus als Freelancerin, unter anderem für Süddeutsche Zeitung und SID. Hier geht es zu ihrem Xing-Profil.