Interview mit Dyn-COO Marcel Wontorra

„Wir glauben an die Fans“

01.09.2023

Am 23. August ging Dyn an den Start. Die Streaming-Plattform versorgt ihre Abonnenten in erster Linie mit Live-Sport aus dem Handball, Basketball, Hockey, Tischtennis und Volleyball. Als COO von Dyn tritt Marcel Wontorra an. sj-Autor Stefan Freye sprach mit dem 32-Jährigen über seine Aufgabe und den Start des Unternehmens.

 

sportjournalist: Herr Wontorra, vielleicht vorab zur Klarstellung: Was genau ist ein COO, und was macht er bei Dyn?

Marcel Wontorra: Wir sind in der Geschäftsführung zu dritt, Christian Seifert als Gründer und Gesellschafter von Dyn, Andreas Heyden als CEO und ich. Als Chief Operating Officer bin ich für operative Themen verantwortlich wie Strategie, Business-Intelligence, Finanzen, Personal und Vermarktung. Aber wie in einem jungen Unternehmen üblich, bin ich manchmal auch der IT-Beauftragte, der die Reparatur des Druckers klären muss.

sj: Zu Ihren Aufgaben zählt auch die Remote-Produktion. Erklären Sie doch mal, was sie genau bedeutet?

Wontorra: Diese Produktion ist natürlich ein sehr zentraler Bestandteil von Dyn. In der Medienproduktion und auch für uns ist Effizienz sehr wichtig. So können wir dem Fan unser Produkt zu einem Preis von 12,50 Euro im Monat anbieten. Wir bilden die komplette Produktionskette von der Kameralinse bis zum Bildschirm des Kunden ab. Dazu ist heute nicht mehr notwendig, alle Spiele mit einem Übertragungswagen zu machen. Wir arbeiten in großen Teilen mit einer Remote-Produktion. Das bedeutet, dass Teile von uns zentral in den Sendezentren in Köln und München abgewickelt werden. Das macht es effizienter und nachhaltiger. Und wir schaffen es damit, nicht nur die Standards zu halten, sondern zu erhöhen.

sj: Bedeutet Remote-Produktion in diesem Zusammenhang nicht auch den Einsatz automatisierter Kameras in den Hallen?

Wontorra: Nicht ausschließlich. Wir setzen automatisierte Kameras ein, aber nur zu einem sehr kleinen Teil. Wir haben drei Produktionskonzepte: Wir machen Vollproduktionen, Produktionen unter Mitwirkung der Klubs und Ligen, und wir bekommen auch fertige Produktionen angeliefert. So, wie es heute bei Basketball und Handball bekannt ist, wird es auch zukünftig sein. Das sind nicht alles automatisierte Kameras, wir brauchen weiterhin Kameraleute, Producer, Bildmischer und Tontechniker und Redakteure vor Ort. (Wontorra-Foto: Dyn)

sj: Bei 2000 Livespielen in einer Saison klingt das sehr ambitioniert.

Wontorra: Das stimmt. Deswegen produzieren wir diese 2000 Spiele mit unterschiedlichen Konzepten. Kameraleute sind selbstverständlich weiterhin vor Ort notwendig, aber ein Producer oder ein Bildmischer kann auch im Sendezentrum sitzen. Der muss heutzutage nicht mehr in der Halle sein. Aber es wird immer jemanden geben, der vor Ort zuständig ist.

sj: Das heißt, Dyn setzt verstärkt auf die Unterstützung durch Vereine und Verbände?

Wontorra: Genau. Für den Großteil der Spiele sind wir für die gesamte Produktion verantwortlich. Bei anderen, beispielsweise der Tischtennis-Bundesliga, ist es Teil des Konzepts, dass wir das Equipment stellen wie Kameras, Mikrofone und Laptops, die Klubs aber eine bestimmte Mitwirkungspflicht haben, etwa in Form von Kameraleuten und Kommentatoren. Daneben gibt es Sublizenzvereinbarungen mit Partnern wie Sport1, Sportdeutschland.tv oder DAZN, wo diese für die Produktion verantwortlich sind.

sj: Im Vorfeld des Dyn-Starts waren immer wieder Zweifel aufgetaucht, ob sich der für ein bezahltes Streaming notwendige Standard mit Remote-Produktionen überhaupt einhalten lässt. Was entgegnen Sie?

Wontorra: Wir glauben ganz stark an unser Konzept und daran, dass es alle Standards erfüllt, die vom Fan erwartet werden. Ich bin auch der Meinung, dass man einen gewissen Standard liefern muss, wenn man ein kostenpflichtiges Angebot macht. Das ist bei manchen Sportarten bereits ausgereift und fortschrittlich. Bei anderen, wie etwa dem Hockey, ist es unsere Aufgabe in Zusammenarbeit mit der Liga, die Standards zu erstellen und heben.

sj: Ihre Partner in Vereinen und Verbänden werden mit vielen Aufgaben zum ersten Mal konfrontiert, etwa hinsichtlich der Kameraarbeit und der Kommentierung von Spielen. Was unternimmt Dyn, um die Standards sicherzustellen?

Wontorra: Wir machen Workshops zum Thema Produktion, und wir führen Moderations- und Kommentatoren-Workshops mit den Klubs durch, um ihnen hilfreiche Tipps an die Hand zu geben.

sj: Letztlich sind die Mitarbeiter der Vereine ja auch Teil des Produktes Dyn…

Wontorra: ...genau, sie sind Teil des Produktes, ein sehr authentischer, weil sie sehr nahe dran sind. Die Sportarten leben von dem Fundament, das viele Ehrenamtliche erarbeiten, und das ist wahnsinnig wertvoll. Das müssen wir aufrechterhalten, im besten Fall ausbauen.

sj: Lässt sich beziffern, wie viele Kameras automatisiert sind?

Wontorra: Es sind nur um die fünf Prozent. Der Rest ist überwiegend bemannt, und daneben gibt es noch statische Kameras.

sj: Zum Konzept von Dyn zählt auch, den Partnern – etwa den öffentlich-rechtlichen TV-Sendern oder Verlagen – die Bilder aus den Ligen recht kostengünstig anzubieten. Inwieweit wird das die Medien-Landschaft verändern?

Wontorra: Wir wollen die Aufmerksamkeit für unsere Sportarten, die Sportarten abseits des Fußballs, stärken. Das ist unsere Unternehmensmission. Insgesamt interessieren sich für unsere Sportarten 17 Millionen Menschen in Deutschland. Das ist eine große Menge, die wir aber nicht alle ausschließlich mit einer kostenpflichtigen Streaming-Plattform erreichen können. Deshalb wollen wir Fans und Interessierten die Möglichkeit geben, Spiele auch frei empfangbar zu sehen. Wir glauben daran, dass darüber die Berichterstattung über unsere Ligen insgesamt gesteigert wird, regional und überregional. Es wird die Nachfrage in der Summe steigern. (Foto Dyn-Übertragung vom Handball-Supercup mit Moderatorin Anett Sattler: augenklick/firo sportphoto)

sj: Und Ihnen begegnet kein Misstrauen, etwa von Journalisten, die bislang in diesen Ligen aktiv waren?

Wontorra: Ich glaube, das Gegenteil wird der Fall sein. Dadurch, dass wir mehr Bewegtbilder zur Verfügung stellen, wird es auch mehr Leute brauchen, die über die Sportarten berichten. Im besten Fall führt es dazu, dass die Sportarten mehr in die Mitte der Gesellschaft gerückt werden und damit auch mehr Redakteure gebraucht werden, um über sie zu berichten.

sj: Der Streaming-Markt galt bislang nie als profitabel. Warum gelingt es Dyn, in die schwarzen Zahlen zu geraten?

Wontorra: Die Frage ist natürlich berechtigt. Gleichzeitig glauben wir an die Fans und die Communitys. Wir glauben daran, dass sie erkennen, dass wir den vollen Fokus auf ihre Sportart legen und das auch honorieren werden. Und wir glauben daran, dass sie das Konzept verstehen, mit ihrem Abo auch ihre Sportart aktiv zu unterstützen. Denn zehn Prozent der Einnahmen gehen an die Ligen, und die setzen es in der Nachwuchsförderung ein. Das ist ein zusätzliches Element, warum die Community den Mehrwert von uns sieht.

sj: Gibt es eigentlich eine Mindestanzahl von Abonnenten, ab der sich Dyn lohnt? Oder lässt sich das gar nicht berechnen?

Wontorra: Es lässt sich berechnen, und ich habe Verständnis für die Frage. Wir haben uns auch intern Ziele gesetzt, aber die kommunizieren wir nicht nach außen.

sj: Es lässt sich ja auch anders formulieren: Kenner der Szene gehen davon aus, dass der Markt nicht mehr als 300.000, vielleicht 400.000 Abonnenten hergibt. Würde das reichen?

Wontorra: Wir haben unsere eigene Marktforschung gemacht und glauben, dass es eine gute Anzahl von Abonnenten gibt. Aber Zahlen werde ich nicht kommentieren.

sj: In jeden Fall ist der Streaming-Markt nach guten Jahren während der Pandemie gerade rückläufig. Bereitet Ihnen das Sorgen?

Wontorra: Ich kann nachvollziehen, dass Haushalte nachrechnen und weiß, dass es ein großes Angebot gibt. Gleichzeitig glaube ich, dass wir für die Fans vom Basketball, Handball, Tischtennis, Volleyball und Hockey ein super attraktives Angebot haben. Wir waren jedenfalls positiv überrascht vom Feedback und den bisherigen Rücklauf.

Stefan Freye ist 1. Vorsitzender des Vereins Bremer Sportjournalisten. Er arbeitet als Freelancer von der Hansestadt aus. Hier geht es zu Freyes LinkedIn-Account.