Cai-Simon Preuten (40) begann 2011 ein Volontariat beim Sport-Informatons-Dienst (SID) und stieg 2019 in die Redaktionsleitung auf. Nach der Verabschiedung des SID-Urgesteins und langjährigen Fußball-Chefs Ralph Durry in den vorzeitigen Ruhestand wurde er Mitte April zum Chefredakteur ernannt. Ihm zur Seite stehen die Ressort-Verantwortlichen Oliver Mucha (Fußball) und Marco Heibel (Allgemein).
sportjournalist: Cai-Simon Preuten, Glückwunsch zur Beförderung. Warum hat es denn 13 Jahre gedauert, bis beim SID die Stelle des Chefredakteurs neu besetzt wurde?
Cai-Simon Preuten: Vielen Dank. Die Rolle eines Chefredakteurs hat sich in den vergangenen Jahren sehr stark verändert, es sind immer mehr Management-Aufgaben dazugekommen. Vor allem angesichts der Aufgaben, die beim digitalen Wandel vor uns liegen, brauchen wir eine klare Hierarchie und Struktur. Und in der werde ich künftig die Chance haben, mich um die übergreifenden, strategischen Themen zu kümmern, weil ich nicht mehr so sehr in der Ressortverantwortung bin.
sj: Ihr Geschäftsführer Rainer Finke strich in der Pressemitteilung ihre "Antizipationsfähigkeit im Medienwandel" heraus. Hat er damit auch Ihren künftigen Arbeitsschwerpunkt umrissen?
Preuten: Wir sind mitten im digitalen Wandel. Und obwohl wir bereits ziemlich weit auf unserem Weg zu einer multimedialen Agentur sind, will ich, dass wir da weiterkommen. Was mit einem wunderbaren, stets hochmotivierten und sehr flexiblen Team auch gelingen sollte. (Preuten-Foto: SID)
sj: Das klingt nach einem allmählichen Abschied vom Kerngeschäft.
Preuten: Die Nachricht ist und bleibt unsere DNA, sie ist allem anderen übergeordnet. Was wir aber hinbekommen wollen, ist eine Evolution zu einer Content-Agentur, die auch Inhalte zur Verfügung stellt, die nicht immer mit der Nachricht zu tun haben. Unsere Kunden brauchen auch morgens von 5.00 bis 7.00 oder von 16.00 bis 18.00 Uhr, also dann, wenn in der digitalen Welt Klicks abzuholen sind, gute Inhalte. Aber in diesen Zeiträumen passiert nicht zwangsläufig etwas, das nachrichtlich relevant wäre.
sj: Ihre Antwort auf dieses Dilemma?
Preuten: Wir liefern auch in diesen Zeiträumen Inhalte: Meldungen, Porträts, Features, natürlich auch als "SID-Stories", also sendefertige Texte mit Fotos. Auch über unsere Videoabteilung bieten wir diese "Ready-to-Publish"-Inhalte an. Wir werden uns weiter fragen: Was will man morgen früh in der Zeitung lesen? Aber auch noch stärker als bisher, welches Thema jetzt gerade klicken würde, und welches in fünf, sechs, sieben Stunden. Ich glaube, der größte Paradigmenwechsel wird der sein, dass wir künftig in kürzeren Zyklen denken.
sj: Wird es eine Konzentration auf die populären Sportarten geben?
Preuten: Der Druck ist natürlich da, aber wir halten dagegen. Ergebnisberichterstattung aus kleineren Sportarten wird es sicher kaum noch geben. Aber die Geschichten um die Zahlen herum. Die werden auch gerne genommen, um einfach mal etwas Abwechslung zu haben.
sj: Wie wollen Sie das umsetzen in Zeiten, in denen auch der SID eher Personal abbaut als aufstockt?
Preuten: Guter Punkt, zumal Belastungssteuerung das Thema der Gegenwart schlechthin ist. Wir werden uns also künftig sicher öfter mal gegen eine ausgeruhte Printgeschichte entscheiden müssen, wenn uns das ermöglicht, mehr im Digitalen machen zu können. Es wird Abstriche geben, wir müssen punktuell akzeptieren, dass nicht mehr alle Dinge so laufen können wie früher. Nicht zu jedem Ereignis vom Sonntag muss es einen Nachdreher am Montag geben. Kurzum: Wir müssen eine Schwerpunktberichterstattung liefern und da sein, wenn etwas Aktuelles dazukommt. (v.l.n.r.: Neues SID-Führungstrio Marco Heibel, Cai-Simon-Preuten und Oliver Mucha / Foto: SID)
sj: Klingt nach einer Gratwanderung, die die vielen Printkunden nicht zwangsläufig bejubeln werden.
Preuten: Die werden in der Summe nicht weniger von uns bekommen, im Idealfall aber mehr, was auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist, beispielsweise durch punktuelle weitere Vorschauen am Spieltag und zusätzliche kürzere Formate, unterhalb der klassischen Zeitungslänge. Auch unsere Zeitungskunden haben übrigens immer weniger Platz und brauchen deshalb oft nicht mehr sieben, acht längere Stücke am Tag.
sj: Was bietet der "neue" SID noch?
Preuten: Wir wollen mehr denn je Service-Redaktion sein und die Lücken füllen, die in schrumpfenden Redaktionen zwangsläufig entstehen. In der internationalen Dimension haben wir dafür ein echtes Pfund, mit dem wir wuchern können: die Tatsache, dass wir zu AFP gehören.
sj: Das dürfte Ihnen zumindest im kommenden Sommer entgegenkommen.
Preuten: Genau, rund um die Olympischen Spiele in Paris werden die Kollegen mit ihrer Expertise über Land und Leute berichten, zum Teil sind sie ja jetzt schon so etwas wie SID-Redaktionsmitglieder, die zum Beispiel in München, Berlin oder Köln in einem Büro mit uns sitzen. Viele Redaktionen können nicht mehr regelmäßig eigene Geschichten recherchieren. In der globalen Perspektive können wir das aber mit unserem weltumspannenden Netzwerk. Zudem bilden wir schon lange Hybridjournalisten aus, die zwischen Print und Video schnell hin- und herwechseln und multimedialen Mehrwert erzeugen können.
sj: In der Vergangenheit wurden viele junge Kolleginnen und Kollegen schnell abgeworben. Das kann Sie nicht glücklich machen.
Preuten: Tut es auch nicht, und deshalb freue ich mich, dass das seltener vorkommt als früher. Wir haben einen großen Pool an guten Journalisten, an Leuten, die schon im Studium gelernt haben, Kameras und Schnittprogramme zu bedienen und Meldungen und Geschichten schreiben können. Mit diesen Fähigkeiten ist man auf dem Markt begehrt. Aber klar, unser erstes Ziel ist, dass wir für uns selbst ausbilden.
sj: Auch in der Ausbildung sind völlig andere journalistische Qualitäten gefragt als noch vor zehn, 15 Jahren. Hat die klassische Lesegeschichte, die Sie ja weiterführen wollen, überhaupt noch eine Zukunft?
Preuten: Ja, wenngleich teils in kürzerer Form, auch mal in drei Absätzen und stärker personalisiert. Es ist ja der große Vorteil des Digitalen, dass man weiterführende Infos auch über Links liefern kann. Aber auch das sind für uns Lesegeschichten, und zwar solche, die auch online nachgefragt werden. Aber keine Sorge: Wir werden auch künftig nicht überverkaufen oder gar Clickbaiting betreiben. Ich glaube wirklich daran, dass der digitale Wandel Chancen bietet, dass die gesamte Branche eine Zukunft hat. Sonst hätte ich diese Stelle auch nicht angenommen.
Christoph Ruf (52) arbeitet als freier Journalist u.a. für Süddeutsche Zeitung, taz und Spiegel. Weitere Informationen finden Sie hier.