Kolumne „Hardt und herzlich“

Da läuft das Kopfkino

03.07.2023

Unser Autor Andreas Hardt hat als Hamburger eine gewisse Affinität zum Segeln. Doch das Ocean Race hat ihn auch aus rein beruflichen Gründen begeistert.

 

Tagesthemen. Vor dem Wetterbericht. Mit bewegten Jubelbildern aus Genua. Und damit redaktionell verbrieft eines der wichtigsten Ereignisse an diesem 27. Juni: Das Team Malizia mit Skipper Boris Herrmann hat die siebte und letzte Etappe des Ocean Race rund um die Welt gewonnen. Toll. Nach 37.201,95 Seemeilen von Alicante über Afrika, Süd- und Nordamerika zurück nach Europa hatte es die Crew geschafft. Platz drei in der Gesamtwertung – von fünf gestarteten Yachten.

Nun war es nicht so, dass dieser zweite Etappensieg von Herrmann und Co. spontane Autokorsos in Kiel oder anderen segelaffinen Küstenstädten ausgelöst hätte. Eigentlich und genau genommen, ohne jetzt irgendwem zu nahe treten oder gar eine Leistung schmälern zu wollen, wirkt diese extreme Hochseesegelei doch mehr wie das schweineteure Hobby einer weltweit sehr kleinen Gruppe natürlich top ausgebildeter Spezialisten.

Die Baukosten für eines der Schiffe der IMOCA-Klasse belaufen sich auf rund sechs Millionen Euro. Dazu kommen die Foils, die "Tragflächen", ab 500.000 Euro, Segel, höchstentwickelte Technik, Teams an Bord und an Land. Mit Alltag  oder Normalität hat das gar nichts zu tun – und das macht es so faszinierend.

Menschen, allein auf einem kleinen Boot in der Weite der unberechenbaren Meere den Launen der Natur ausgesetzt, einer Oper von Stürmen und wilden Tieren, Mastbrüchen, gesundheitlichen Problemen zwischen sengender Hitze und Eisregengüssen – ja, da läuft das Kopfkino, und wir bewundern diese außergewöhnlichen Helden, die echte Abenteuer auf sich nehmen, die wir uns nie trauen würden. (Hardt-Foto: privat)

Und sie erzählen davon, sie überschütten uns mit Informationen. Eines der gar nicht so geheimen Geheimnisse des großen medialen Erfolges des Ocean Race insgesamt und des Teams Malizia mit seinem deutschen Skipper im Speziellen ist die super professionelle Öffentlichkeitsarbeit. Jedes der fünf Schiffe hatte neben den vier aktiven Seglern einen Videojournalisten an Bord.

Der drehte keine Winschen, also Seilwinden, der drehte Filme. Sonnenuntergänge in der Karibik, Wellenbrecher und stürmische See im Südpazifik, Orca-Attacken bei Gibraltar, das Leben an Bord mit all seinen Facetten. Offen, unverblümt und spannend. Nähe wurde zugelassen, wir erlebten die Protagonisten in Triumph und Krise, alle Emotionen, ungefiltert. Die Sender und Journalisten zu Hause hatten so immer einen Zugang zu den Menschen an Bord. Ein Live-Interview nach der Umrundung von Kap Hoorn? Kriegen wir hin.

Das war ein exzellenter Job, den insbesondere Herrmann und seine Teammanagerin an Land, Holly Cova, perfektioniert haben. Die Engländerin arbeitet seit fünf Jahren für das Team und kümmert sich um alles Organisatorische. Ihre Idee war es, Greta Thunberg 2019 mit der "Malizia II" zur Weltklima-Konferenz nach New York zu segeln. Von November 2020 bis Januar 2021 segelte Herrmann dann bei der Vendée Globe als Einhandsegler um die Welt. Mitten in der Corona-Krise, Sport fand sonst nicht statt. Die Lücke wurde ebenfalls mit stets frischem Material von See gefüllt. Man muss Chancen auch erkennen und nutzen.

Damit spätestens hat sich Boris Herrmann einen Namen als Deutschlands Hochseeheld Nummer eins gemacht. Seinen Vorgängern von der "Illbruck", die 2002 als bislang einziges Boot unter deutscher Flagge das Rennen gewinnen konnte, oder Tim Kröger ist das so nicht gelungen.

In den kommenden Wochen werden wir also Boris Herrmann in diversen Talkshows sehen, dort wird er von seinen Abenteuern und seinem glaubwürdigen Engagement gegen den Klimawandel und für Nachhaltigkeit erzählen. Und von den Plänen, 2024 wieder an der nächsten Vendée Globe teilzunehmen. Wir werden auch das hautnah verfolgen ... müssen.

Andreas Hardt, vormals Redakteur bei SID und dapd, arbeitet als freier Journalist von Hamburg aus. Er schreibt die Kolumne "Hardt und herzlich" für den monatlichen Newsletter des Verbandes Deutscher Sportjournalisten. Hier gelangen Sie zu Hardts Xing-Profil.