Kolumne „Hardt und herzlich“

Die Katze beißt sich in den Schwanz

03.11.2022

Die Gewalt in und um Fußballstadien nimmt wieder zu. sportjournalist-Kolumnist Andreas Hardt fordert anlässlich der Vorfälle während des jüngsten Hamburger Derbys, bei der Berichterstattung unvoreingenommen in alle Richtungen zu schauen.

 

Die Bilder eines Mannes, der wehrlos am Boden liegend von einem auf ihm knienden Polizisten malträtiert wird – drei Schläge auf die Niere, zwei zum Hinterkopf –, haben bundesweit für Aufsehen gesorgt. Vor dem Hamburger Derby zwischen dem FC St. Pauli und dem HSV war es Anfang Oktober zu gewalttätigen Ausschreitungen gekommen. So weit, so leider fast normal. Neu war, dass es ein Video gab, das nichts anderes als – man muss es so sagen – Polizeigewalt zeigt.
 
Danach begannen die Relativierungen. Die Polizeipressesprecherin sagte, notwendige Zwangsmaßnahmen brächten eben nie schöne Bilder, kein Beamter mache so etwas gerne. Man würde ermitteln. Schon am nächsten Tag wussten lokale Medien, dass es sich bei dem Opfer um einen italienischen Staatsbürger handele, der als Gewalttäter bereits mehrmals aufgefallen sei und zu unterschiedlichen Fußballspielen reise, um sich zu prügeln. Mit dem FC St. Pauli hat er nichts zu tun. Das war eine offenbar durchgesteckte Information – und der Subkontext klar: Der hat es schon verdient, irgendwie (Screenshot: BWH).
 
Da kommen jetzt wir Journalisten ins Spiel. „Die Polizei wird als neutrale Institution in der medialen Berichterstattung wahrgenommen“, kritisiert die Fan-Organisation „Braun-Weisse Hilfe“ aus dem Umfeld des FC St. Pauli, „dabei ist sie selbst Akteurin und eben keine neutrale Informationsquelle.“
 
Wir neigen aber immer wieder dazu, die Pressemeldungen der Polizei als Basis für unsere Berichterstattung zu nehmen. Vor allem die Agenturen, wo es schnell gehen muss. Und auch, weil es nicht gerade einfach ist, die andere Seite zu erreichen.

Die einen liefern (subjektive) Infos, die anderen nicht

Gerade die Ultra-Szene ist ausgesprochen medienscheu, es fehlt an Vertrauen in eine ausgewogene Berichterstattung. Da beißt sich die Katze in den Schwanz. Die einen liefern (subjektive) Infos, die anderen nicht – und beklagen dann einseitige Berichterstattung.
 
In Berlin gab es kürzlich beim Spiel der Hertha gegen Schalke 04 Ausschreitungen im Gästeblock, bei denen ein Beamter schwer verletzt wurde. Es gibt dazu Agenturmeldungen, die sich auf die Pressemitteilung der Berliner Polizei beziehen. Dass es diverse Zeugen gibt, die einen unverhältnismäßigen und wahllos erscheinenden Gebrauch von Pfefferspray in der Fankurve beschreiben, lesen wir nicht in der Meldung.

Das soll Gewalt durch Fußball-Anhänger nicht relativieren. Es ist besorgniserregend, dass sich in letzter Zeit die Vorfälle offenbar wieder gehäuft haben. Die Gewalttaten einiger Frankfurter Fans in Marseille, von Kölnern in Nizza oder Dresdenern in Bayreuth sind schrecklich (Hardt-Foto: privat).

Fanforscher Harald Lange aus Würzburg beobachtet mittlerweile Anfänge einer neuen Form von europaweiten Hooligan-Reiseaktivitäten. Das würde auch die Anwesenheit des italienischen Prügeltouristen und Polizeiopfers in Hamburg erklären.
 
Laut Professor Lange war die Zahl der gewaltbereiten Fußballfans seit Jahren rückläufig, jetzt droht eine Umkehr dieses positiven Trends. Konfrontation statt Kooperation – auf beiden Seiten. Polizeitaktiken werden repressiver, andererseits nimmt die „Aktionsorientiertheit“, wie es in der Fanszene euphemistisch heißt, offenbar zu.
 
Das ist ein gesellschaftliches Problem. Als Sportjournalist möchte man darüber am liebsten gar nicht berichten, sondern sich nur an tollen Fußballfesten erfreuen. Aber wenn es denn schon sein muss, dann sollten wir unvoreingenommen in alle Richtungen schauen.

Andreas Hardt, vormals Redakteur bei SID und dapd, arbeitet als freier Journalist von Hamburg aus. Er schreibt die Kolumne „Hardt und herzlich“ für den monatlichen Newsletter des Verbandes Deutscher Sportjournalisten. Hier gelangen Sie zu Hardts Xing-Profil.