Kolumne „Hardt und herzlich“

Eine gute Sache, aber...

03.04.2023

Der Video Assistant Referee, kurz: VAR oder Video-Schiri, polarisiert seit seiner Einführung. Auch unser Kolumnist Andreas Hardt ärgert sich über den Kölner Keller – und hat da mal ein paar Vorschläge.

 

Da hat der VAR mal spektakulär zweimal richtig eingegriffen – und dann ist es vielen auch wieder nicht recht: „Wahnsinn“, „irre“ und Weiteres durften wir lesen und hören. Der Videobeweis bevorzuge insgesamt die Großen, sagte sinngemäß der Fußballautor Christoph Biermann in einem Spiegel-Podcast, weil diese durch ihr überlegenes Spiel gegen schwächere Mannschaften beispielsweise eher Opfer von übersehenen Foulspielen würden. Das passiere nun weniger.

Und dann irrte sich FIFA-Schiri Tobias Stieler in Leverkusen zweimal zugunsten der Bayern. Er wurde vom VAR an den Bildschirm gebeten, zwei Elfmeter für Bayer, Niederlage der Bayern – und Trainer Julian Nagelsmann wurde in der Folge entlassen. Kann man sich nicht ausdenken. Und ja, in diesem Spiel hat der VAR „den Fußball gerechter“ gemacht. Das erkannte sogar Nagelsmann an, als er noch Bayern-Trainer war. Aber...

Unter dem Strich, darauf weisen die deutschen Schiedsrichter mit ihrem Chef Lutz-Michael Fröhlich immer wieder hin, hat der Videobeweis die schweren Fehler tatsächlich reduziert. Das ist eine gute Sache, auch wenn man über das Millimeterpapier-Abseits geteilter Meinung sein und sich fragen kann, ob die Suche nach einer mit dem menschlichen Auge nicht erkennbar im Abseits stehenden Zehenspitze wirklich der Spielidee entspricht (Hardt-Foto: privat).

Aber egal, da gibt es wenigstens einen objektiv wahrnehmbaren Sachverhalt. Bei vielen anderen Eingriffen bleibt dagegen bei hunderttausenden Fußballfans, vielen Spielern, Trainern und Funktionären oft das Gefühl, den Lüsten und Launen im Kölner Keller ausgeliefert zu sein. Dass man abhängig davon ist, wie der jeweilige VAR aufgestanden ist an diesem Tag und was für ein Typ er ist.

Befriedigung daraus ziehen, selbst detektivisch tatsächliche oder vermeintliche Fehler aufzuspüren

Der Eindruck aus der Ferne ist, bei allem Respekt, zu oft auch der, dass dort Menschen vor den Monitoren sitzen, die Befriedigung daraus ziehen, selbst detektivisch tatsächliche oder vermeintliche Fehler aufzuspüren. Anstatt – wie es eigentlich ihre Jobbeschreibung ist – den Schiedsrichter vor Ort nur auf „klare und offensichtliche Fehlentscheidungen“ hinzuweisen. Es ist also eben nicht einzuschreiten, wenn eine „Berührung“ vorliegt und es eine Fifty-fifty-Sache ist.

Und dennoch passiert eben dies praktisch an jedem Wochenende. Da werden immer wieder Foul- und Handspiele entdeckt, die zu ahnden nun wirklich nicht im Sinne des Spiels sein kann. Natürlich nicht allein in der Bundesliga. Der Handelfmeter gegen Borussia Dortmund in der Champions League in London beim FC Chelsea? Also bitte!

Die Schiedsrichter-Obersten haben diese Umsetzungsprobleme erkannt, sie haben es aber noch nicht geschafft, die Haltung ihrer Gilde nachhaltig zu ändern. In den wirklich wertvollen Schulungen von DFB und VDS für uns Journalist*innen wird regelmäßig dargestellt, wie die ideale Zusammenarbeit zwischen Köln und Stadion aussehen soll. So läuft es aber zu oft eben nicht (Foto: GES-Sportfoto/Werner Eifried/augenklick).

Das ist auch ein Führungsproblem. Wenn der Videoassistent in Köln latent glaubt, er sei ein Oberschiedsrichter, der den Kollegen auf dem Platz beaufsichtigt und nicht nur unterstützt, dann ist das falsch. Und wenn der Entscheider im Stadion, der außer bei Abseits immer das letzte Wort hat, viel zu selten den Mumm hat, bei seiner ursprünglichen Wahrnehmung über die Schwere eines „Kontakts“ zu bleiben, dann ist das auch Mist.

Die Akzeptanz des Videoassistenten und schließlich der ihnen „hörigen" Schiedsrichter wird damit immer geringer. „Abschaffen, den Scheiß!“, hört man immer wieder. Vielleicht würde es helfen, wenn in den Stadien nach dem VAR-Eingriff die strittige Szene auf der Videowand gezeigt wird. Damit die Fans sehen, worum es geht. Wenn da nur ein Schriftzug steht („Überprüfung, ob Foul vor Torerzielung“), ist damit doch niemandem gedient. Ein technisches Hilfsmittel, das den Fußball tatsächlich gerechter macht, wird durch die derzeitige Anwendung leider diskreditiert. Das ist wirklich schade.

Andreas Hardt, vormals Redakteur bei SID und dapd, arbeitet als freier Journalist von Hamburg aus. Er schreibt die Kolumne „Hardt und herzlich“ für den monatlichen Newsletter des Verbandes Deutscher Sportjournalisten. Hier gelangen Sie zu Hardts Xing-Profil.