Kolumne „Hardt und herzlich“

Ende einer Ära – wirklich

30.10.2022

Im Tennis ist eine neue Zeit angebrochen – auf und neben dem Court. Für sportjournalist-Kolumnist Andreas Hardt Anlass, sich grundlegend Gedanken zur Berichterstattung über das seiner Ansicht nach „großartige Rückschlagspiel“ zu machen.

 

Dann war es so weit. Das Ende einer Ära. Man muss ja immer vorsichtig sein mit solch großen Worten: Ära, Geschichte, aller Zeiten – die werden inflationär benutzt. Und viel zu oft ohne eine korrekte historische Einordnung. Nur weil der persönliche Erfahrungshorizont eines Autors oder Kommentators über einen bestimmten Zeitpunkt hinweg nicht zurückreicht, bedeutet das ja nicht, dass es zuvor keine bedeutenderen Ereignisse oder Athleten und Athletinnen gegeben haben mag.
 
Aber ich schweife ab. Über Roger Federer kann es kaum unterschiedliche Meinungen geben und auch nicht darüber, dass er eine Ära im Tennis geprägt hat. Die vergangenen 20 Jahre hat der Schweizer den Sport mit seiner Eleganz und Klasse auch neben dem Platz auf eine neue Ebene gehoben. Er wird aufsteigen in den Sport-Olymp zu den ewigen Größen. Und er wird dort einen Platz neben sich freihalten, wenn demnächst Rafael Nadal das Ende seiner Karriere verkünden wird.
 
Federer also hat aufgehört. Am 23. September. Und vorher bereits Serena Williams. Die Größten also. Was für ein einschneidendes Jahr. Da passt es komplett, dass auch Doris Henkel ihre Tennis-Autorenkarriere wie Federer in London beim Laver Cup beendet hat. Ein super Timing (Hardt-Foto: privat).
 
Ja, Generationenwechsel, so ist es halt. Bei den Aktiven und natürlich auch bei den Berichterstattern. Alles normal so weit. Und wenn Doris nun nach dem Besuch von und der Arbeit bei 117 Grand-Slam-Turnieren ihre Zeit lieber mit Fotografie, Reisen, Bruce Springsteen und hoffentlich auch ihren Freunden verbringen will, dann ist das verständlich und gegönnt.
 
Natürlich wird die Sportberichterstattung in deutscher Sprache dadurch ärmer. Aber - merken das viele Menschen? Wer nimmt sich noch die Zeit und liest ein feuilletonistisch aufgeschriebenes Stück über den Spieler A oder das epochale Match B? Das Internet hat doch schon alles rausgehauen, bevor die Frühstückszeitung kommt. Und in dem Maß, wie Tennis (oder Eiskunstlauf) ins Pay-TV oder zu Spartensendern verschoben wurde, sinkt auch das Interesse der Fans an dem großartigen Rückschlagspiel.
 
Gleichzeitig ist für alle freien Autoren, egal mit welchem Schwerpunkt, die Einrichtung der „Mantelredaktionen“ höchst geschäftsschädigend. Einen Text geschrieben, einmal (oft mäßig) honoriert – und der wird dann in diversen Zeitungen oder auf verschiedenen Portalen veröffentlicht. Das ist gnadenloses Sparen zu Lasten der Schreiber.

Eine neue Zeit – ob die besser wird?
 
Da ist es kein Wunder, dass auch mal der eine oder andere der Versuchung erliegt, seine Texte aus dem Homeoffice zu verfassen – aber in der Ortsmarke dennoch so zu tun, als sei er in Melbourne, New York oder sonst wo höchstselbst vor Ort. Was auch oft deshalb funktioniert, weil Interview-Mitschriften, Statistiken und weitere Infos im Internet zu finden sind. Wozu also die teuren Reisekosten zu den Turnieren zahlen? Das können und wollen sich immer weniger Kollegen und Redaktionen leisten.
 
Doris Henkel jedenfalls nicht mehr. Das ist verständlich. Sie hat die Tennisberichterstattung im Print über 35 Jahre (mit)geprägt. Sie hat uns Geschichten erzählt, Einblicke verschafft und Stimmungen vermittelt, wie es kaum jemand vermochte. Jetzt ist eine neue Zeit angebrochen. Ob die besser wird, muss jeder für sich entscheiden. Anders wird sie auf jeden Fall.

Andreas Hardt, vormals Redakteur bei SID und dapd, arbeitet als freier Journalist von Hamburg aus. Er schreibt die Kolumne „Hardt und herzlich“ für den monatlichen Newsletter des Verbandes Deutscher Sportjournalisten. Hier gelangen Sie zu Hardts Xing-Profil.