Fußball-WM der Frauen: Beobachtungen aus der Mixed Zone

Erfrischend nahbar

01.08.2023

Vergleiche mit den Männern sind unangebracht bei der Fußball-WM der Frauen in Australien und Neuseeland, aber vielleicht sei eine kurze Ausnahme erlaubt: Was das Verhältnis zwischen Spielerinnen, Medien und all denjenigen, die dazwischen arbeiten, angeht, ist das Turnier eine Meisterleistung, findet Felix Haselsteiner.

 

Alex Morgan blieb noch einmal kurz stehen. Neben all die großen Medien, die bei der Fußball-WM der Frauen in Neuseeland über die US-Nationalmannschaft berichten – New York Times, Washington Post, LA Times, The Athletic, AP und zahlreiche weitere – hatte sich eine neuseeländische Journalistin gestellt. Sie wollte eine Frage zu ihrem Heimatland stellen, die nichts mit Fußball zu tun hatte, erst recht nicht mit dem etwas enttäuschenden 1:1 der USA gegen die Niederlande. "I love it here", sagte Morgan, eine der größten Fußballspielerinnen der Welt, ein globaler Megastar, der noch kurz vom schlechten Wetter berichtete, aber auch von der herzlichen Stimmung im Land. Morgan war verfügbar, sie war nahbar in der Mixed Zone im windigen Wellington. Wie traurig, dass das so ungewöhnlich ist.

Man soll den Frauenfußball nicht mit dem Männerfußball vergleichen, heißt es immer. Aber vielleicht sei an dieser Stelle eine Ausnahme gestattet. Denn nach den ersten knapp zwei Wochen dieser Fußball-Weltmeisterschaft in Down Under kann man ein erstes Fazit ziehen: Dieser Frauenfußball ist die beste Version des Fußballs, die es aktuell gibt. Und es hat erst einmal gar nichts mit dem Geschehen auf dem Feld zu tun.

Es ist beeindruckend zu sehen, wie sich die Frauen gegenüber der internationalen Presse verhalten, in den Mixed Zones und bei den Pressekonferenzen. Wie sie es meisterhaft verstehen, die Gelegenheit zu nutzen, die sich ihnen bei dieser Weltmeisterschaft bietet: Mehr Aufmerksamkeit als je zuvor – aber eben doch noch nicht so viel, dass man es als Selbstzweck hinnehmen könnte. Gefüllte PK-Räume sind hier noch etwas Besonderes, selbst für die in der Heimat so euphorisch begleiteten US-Amerikanerinnen: "Hier vor so vielen Menschen zu sitzen und zu reden, das ist eine neue Erfahrung für mich", sagte Nationalspielerin Andi Sullivan zuletzt. (Mixed-Zone-Foto: Haselsteiner)

Es geht nicht nur um die (politischen) Botschaften, die die Spielerinnen verbreiten und verbreiten wollen, zu Equal Pay und anderen Themen, sondern auch um die Art und Weise, wie sie im Gesamtbild auftreten. Erfrischend offen äußern sie sich, mit ehrlichem Interesse an den Fragen, mit viel Selbstkritik – und immer mit einem Gehör für alle Fragensteller, nicht nur für die, die sie kennen und auf die sie von ihrem Management vorbereitet wurden. Sie erzählen ihre Geschichten in der Landessprache, dann noch einmal auf Englisch, vor Kameras, in Mikrofone und Handys – das alles läuft ohne Kalkül ab, ohne das abgekartete Spiel, das inzwischen im Männerfußball so erschreckend normal ist.

Ausflüchte und taktische Äußerungen sind dort an der Tagesordnung, es ist ein absurdes, hochpolitisches Katz-und-Maus-Spiel geworden, das sich in den Pressebereichen der europäischen Stadien abspielt, wo alles darangesetzt wird, die Distanz zwischen Medium und Akteur schrittweise zu erhöhen. Es ist allzu bezeichnend, dass es leichter ist, einer so weltbekannte Figur wie Megan Rapinoe nach einem WM-Spiel eine Frage zu stellen als dem eingewechselten Außenverteidiger eines Mittelklasse-Klubs nach einem x-beliebigen Bundesliga-Spieltag.

Einiges geht auch auf die Akteure im Zwischenraum zurück: Medienmanager der Nationalmannschaften sind bei der WM auffällig bemüht, ihre Spielerinnen nicht anzuleiten. Selbst bei der hochprofessionellen US-Nationalmannschaft läuft von Verbandsseite kein Mikrofon mit. Es gilt eine journalistische Verlässlichkeit direkt zwischen Medien und Spielerinnen, dass keine Aussagen verkürzt wiedergegeben werden. Die kleineren Nationen wie etwa die Philippinen lassen ihre Spielerinnen ganz frei entscheiden, ob sie reden wollen oder nicht – die meisten von ihnen erzählen gerne, nach Sieg oder Niederlage, ganz egal. Endlich hört mal jemand zu!

Selbstverständlich gibt es bei der WM auch andere Geschichten: Sambias Trainer Bruce Mwape verweigerte in einer Pressekonferenz vor dem Spiel gegen Spanien eine Frage zu Anschuldigungen gegen seine Person – Mwape wird vorgeworfen, Spielerinnen sexuell belästigt zu haben. Sambias Pressechef schritt ein und ließ die Frage nicht zu. Die FIFA gab nach und verhinderte ebenfalls, dass eine spanische Kollegin das Wort bekam. Eine falsche Vorgehensweise, denn: Je größer das Turnier, desto wichtiger, dass alle Fragen gestellt werden dürfen – ob Antworten kommen, ist eine andere Sache.

Die neuseeländische Journalistin, die für die Regionalredaktion der Website stuff.co.nz arbeitete, wirkte jedenfalls glücklich in der Mixed Zone in Wellington, als ihr eine US-amerikanische Spielerin nach der anderen ihre Eindrücke aus Neuseeland erzählte und sich dann von der Fragestellerin Kiwi-Ausdrücke beibringen ließ. Genauso wie später die Elite-Sektion der Sportwelt glücklich wirkte, als US-Trainer Vlatko Andonovski sich den mitunter kritischen Fragen stellte, ohne sich in Ausflüchte zu verlieren. Sein niederländischer Kollege Andries Jonker überredete sogar seine Medienmanagerin, in kleiner Runde noch ein paar Extra-Fragen zuzulassen, die man als deutscher Reporter mit ihm gerne auf Deutsch besprechen wollte. Als er dann doch kurz darauf losmusste, weil der Flieger ins Teamcamp wartete, sagte er: "Entschuldigung, ich hoffe wir sehen uns nochmal wieder." (Jonker-Foto: firo sportphoto/augenklick)

Der nahbare Frauenfußball, er sammelt in diesen Tagen sehr viele Pluspunkte. Mit fußballerisch beeindruckenden Leistungen auf dem Feld – und indem er gegenüber den Medien und damit auch den Menschen Emotionen zulässt. Indem in der großen Mehrheit der Fälle weiterhin erlaubt wird, dass die Fußballerinnen (und ihre Trainer) sich der Welt genauso präsentieren, wie sie als Menschen wirklich sind.

Felix Haselsteiner arbeitet als freier Journalist. Derzeit berichtet er im Auftrag der Süddeutschen Zeitung von der Fußball-WM der Frauen, vor allem aus Neuseeland.