Gedanken zu Fußball-Berichterstattung im Fernsehen

Geht doch!

04.01.2023

Die ARD-Interviews nach dem WM-Aus der deutschen Mannschaft hält sportjournalist-Autor Felix Haselsteiner für vorbildlich. Und er fände es prima, wenn es mehr kritische Beobachter und weniger Verkäufer gäbe.

 

Al-Chaur wird als schmachvoller Ort in die deutsche Fußballgeschichte eingehen, aber für die deutsche Fernsehgeschichte muss das nicht automatisch genauso gelten. Als die Nationalmannschaft Anfang Dezember zum zweiten Mal hintereinander in der Vorrunde ausschied, rückten nämlich die Fragesteller in den Fokus – und dankenswerterweise waren sie vor Ort, live in der ARD.

Esther Sedlaczek und Bastian Schweinsteiger konfrontierten Bundestrainer Hansi Flick und Oliver Bierhoff mit Meinungen und Nachfragen, Lea Wagner führte mit den Spielern im Stadiontunnel respektvolle, aber höchst kritische Interviews – und im Studio wurde auf hohem Niveau debattiert. Man konnte sich also durchaus die Frage stellen, in dieser kleinen journalistischen Sternstunde in Katar: Warum ist das nicht häufiger so im deutschen (Fernseh-)Journalismus?

Über die vergangenen Jahre sind im Wesentlichen drei Strömungen zu erkennen bei deutschen Fußball-Übertragungen. Zum einen bei Sky, wo die Ausrichtung relativ klar ist: Möglichst viele laute, boulevardeske Statements in ein Bundesliga-Wochenende packen. Didi Hamanns und Lothar Matthäus gut informierte, starke Meinungen und wenige Fragen passen perfekt in dieses Schema, investigative Nachforschungen in Interviews eher weniger. Sky will unterhalten, nicht informieren oder aufklären (Matthäus-Foto: sampics Photographie/Stefan Matzke/augenklick).

Bei den Kollegen von DAZN steht die Theorie im Fokus. Fußballübertragungen werden bisweilen zu kurzen Seminaren und nach Spielen des FC Bayern wird „der Julian“ (für andere: Herr Nagelsmann) eher mit einer Spielsituation im Aufbau der eigenen Mannschaft konfrontiert, aus der nach einem Umschaltmoment eine Halbchance im letzten Drittel entstanden ist.

Das mag interessant sein, aber kommt nicht bei jedem gut an: „Natürlich musst du Taktik transportieren. Aber ich halte das in der Dichte für schwer konsumierbar“, sagte etwa Belá Rethy, der es als Kommentator stets geschafft hatte, verschiedene Einflüsse auf das Spiel zusammenzubringen, zuletzt im Interview mit der Süddeutschen Zeitung

Die dritte Strömung waren bis zum Erweckungserlebnis Weltmeisterschaft 2022 die Öffentlich-Rechtlichen, deren Mutlosigkeit bei Übertragungen symbolisiert wurde vom Duo Bastian Schweinsteiger und Jessy Wellmer, die sich stundenlang mit Plattitüden und Geplauder durch Sendungen redeten, ohne Zuschauerinnen und Zuschauern eine eigene Meinung zu präsentieren – oder die Meinung der Protagonisten herauszufinden.

Journalismus im Sport, gerade im Fußball, wird beständig politischer

Abende wie der in al-Chaur haben einen Wandel angedeutet. Auch die Mischung beim ZDF war bei der WM gelungen, weil Christoph Kramer und Per Mertesacker die richtige Mischung aus Inhalt und launigen Sprüchen fanden.

Wegwischen könnte man jegliche Debatten damit, dass Fußball schließlich auch reine Unterhaltung ist – womöglich wäre das aber zu kurz gegriffen. Journalismus im Sport, gerade im Fußball, wird beständig politischer: Sportler müssen zwischen Millionengehältern aus Saudi-Arabien und Werbeverträgen mit katarischen Fluglinien damit auskommen, auch mit Themen konfrontiert zu werden, die außerhalb des Fußballfeldes stattfinden.

Immer häufiger verlagert sich der investigative Teil des Fußballjournalismus aber in die Mixed-Zonen und Pressekonferenzen, wo die Fragen oftmals weitaus kritischer sind als die der Kollegen in der Live-Übertragung. Eine gefährliche Entwicklung, weil spürbar ist, dass kritische Nachfragen auf Pressekonferenzen harscher und persönlicher beantwortet werden als im Live-Interview (Nagelsmann-Foto: sampics Photographie/Stefan Matzke/augenklick).

Beispielhaft war eine Episode im September. Entfernt erinnert man sich noch an die Krise des FC Bayern, die in einer Niederlage in Augsburg kulminierte und nach der „der Julian“ im Fernsehen Rede und Antwort stand – kurz angebunden, aber auch nicht allzu konfrontativ befragt. Minuten später, auf der Pressekonferenz, wurden Nagelsmanns Antworten auf berechtigte, kritische Fragen derart patzig, dass im Raum kaum noch jemand den Mut aufbrachte, überhaupt etwas zu fragen.

Eine Unkultur, die nur dann verändert werden kann, wenn Sender wie Sky, DAZN und die Öffentlich-Rechtlichen ihre Rolle als kritische Beobachter und nicht als Vermarkter des Fußballs begreifen. Unterhalten werden Sendungen dann von ganz allein: Die Debatte zwischen Flick und Schweinsteiger über Fehler der Nationalmannschaft wird zwar nicht das Kult-Niveau von Waldemar Hartmann und Rudi Völler damals in Island (Weizen-Bier!) erreichen.

Aber genauso wie das Interview mit Oliver Bierhoff am selben Abend, in dem Sedlaczek den DFB-Direktor für Geschehnisse auf und neben dem Platz in die Befragung nahm, war es der Fußballjournalismus, den die interessierte deutsche Öffentlichkeit jedes Wochenende verdient hätte.

Felix Haselsteiner arbeitet von München aus als Freelancer. Er schreibt unter anderem für die Süddeutsche Zeitung. Hier geht es zu seinem XING-Account.