Kolumne „Hardt und herzlich“

Kein Aufschrei weit und breit

02.06.2023

Es tut sich viel im von Frauen gespielten Fußball. Allerdings längst nicht immer nur zum Besten, wie unser Autor Andreas Hardt beobachtet hat.

 

Puh – was für ein Finale im Mai! Mit welcher Souveränität Bayern München seine letzten Aufgaben auf dem Weg zur deutschen Meisterschaft erledigt hat. Beeindruckend. Da brannte nichts mehr an am letzten Spieltag der Fußball-Bundesliga. Da darf man sich zu Recht auf dem Marienplatz für den Titel feiern lassen. Also, die Frauen!

11:1 gegen Turbine Potsdam haben die Bayerinnen ihr "Finale" gewonnen. "Meisterliche Elf-Tore-Gala zum Titel", fiel dem ZDF dazu ein. Na, dann Prost Mahlzeit. Dass solch ein Ergebnis in der höchsten deutschen Spielklasse möglich ist, ist überhaupt kein gutes Zeichen. Und dass es Potsdam erwischt hat, bedenklich.

Mit zwei Europapokalsiegen, sechs gesamtdeutschen Meisterschaften, sechs DDR-Meisterschaften und drei gesamtdeutschen Pokalsiegen gehört der 1. FFC Turbine zu den erfolgreichsten Vereinen im deutschen und europäischen Fußball. Dort wurde Pionierarbeit geleistet, von der jetzt alle anderen profitieren.

Aber seit die Vereine (oder Spielbetriebsgesellschaften) der Männer-Bundesligisten die Kickerinnen als Sympathieträger entdeckt haben und entsprechend fördern, geht es zu Ende mit den reinen Frauenfußballklubs. Oder sie schließen sich wie der 1. FFC Frankfurt oder FCR Duisburg (gezwungenermaßen?) den örtlichen Männergroßklubs an. (Hardt-Foto: privat)

Vor gerade einmal zehn Jahren spielten in der Frauen-Bundesliga neben Potsdam, Frankfurt und Duisburg auch der FSV Gütersloh, der VfL Sindelfingen, der FF USV Jena, die SGS Essen und der SC 07 Bad Neuenahr. Von all denen ist im kommenden Jahr nur noch Essen dabei. Außerdem zum Beispiel Hoffenheim, Leverkusen, Werder, der 1. FC Köln. Den Platz von Potsdam nehmen die Frauen von RB Leipzig ein. Symbolischer kann eine Zeitenwende nicht sein.

Wahrscheinlich ist diese Professionalisierung für die Leistungsentwicklung des Frauenfußballs sogar richtig. Geld kauft Erfolg und ermöglicht optimale Ausbildung. Und die großen Namen aus dem Herrenbereich tragen sogar zu einer Identifizierung und Fanunterstützung bei, wie es sie sonst wohl nicht gäbe.

Das Hamburger Pokalfinale zwischen den drittklassigen Frauen des FC St. Pauli und ihren noch eine Liga niedriger angesiedelten Gegnerinnen aus Tornesch mobilisierte am Pfingstmontag rund 5000 Zuschauer – und man darf sicher annehmen, dass die nicht alle gekommen sind, weil sie sich für Frauenfußball interessieren, sondern weil sie eine braun-weiße "Kultpaaaadie" feiern wollten. Für die Spielerinnen ist das "Wieso, Weshalb und Warum" egal, sie dürfen sich über Unterstützung freuen.

Aus all dem aber abzuleiten, dass der Fußball, der von Frauen gespielt wird, schon kurz davor ist, die Bedeutung der Männersparte zu haben wäre schlicht falsch. Die harte Realität zeigten zuletzt wieder einmal die öffentlich-rechtlichen TV-Sender mit ihrem Angebot für die Übertragungsrechte an der WM in Australien und Neuseeland auf. Fünf Millionen Euro bieten ARD und ZDF nach Informationen des kicker. Für die vergangenen beiden Männer-WM gaben sie jeweils das Vierzigfache aus.

ARD und ZDF wägen bei ihren Entscheidungen, was ihnen wie viel wert ist, ja ab. Wenn sie davon ausgehen würden, dass die Frauen-WM ein Quotenrenner wird, legten sie sicherlich ein höheres Angebot auf den Tisch. Tun sie aber offensichtlich nicht, auch weil die Sendezeiten wegen der Zeitverschiebung ungünstig sind. "Das Angebot, das ARD und ZDF für den Erwerb der Übertragungsrechte abgegeben haben, entspricht einem verantwortungsvollen Umgang mit dem Rundfunkbeitrag", teilt das ZDF mit.

Dass der gierige Herr Infantino nun seinerseits die Frauen benutzten will, um die volle FIFA-Kasse weiter zu füllen, erschwert die Situation für den Frauenfußball nur. Wo war übrigens der Aufschrei der Öffentlichkeit, als nach und nach die Senderechte für bedeutende Tennisturniere, die Eishockey-WM, Eiskunstlaufen oder zwischenzeitlich Handball-Turniere und weitere Großereignisse ohne Fußball-Lobby aus dem ÖR-Fernsehen verschwanden? Eben.

Andreas Hardt, vormals Redakteur bei SID und dapd, arbeitet als freier Journalist von Hamburg aus. Er schreibt die Kolumne "Hardt und herzlich" für den monatlichen Newsletter des Verbandes Deutscher Sportjournalisten. Hier gelangen Sie zu Hardts Xing-Profil.