Kolumne "Hardt und herzlich"

Nur das Outfit zählt

02.11.2023

Julian Nagelsmann soll beim DFB für Aufbruchstimmung sorgen und die Heim-EM retten. Unser Autor Andreas Hardt hat den Start des neuen Bundestrainers verfolgt und wundert sich über manche Kollegen.

 

Aufbruchstimmung! Alles wird doch noch gut, bestimmt. Julian Nagelsmann hat die Männer-Nationalmannschaft des Deutschen Fußball-Bundes übernommen, um die Heim-EM im kommenden Sommer zu retten. Aktiver Ruhestand statt Arbeitslosigkeit, könnte man sagen. Oder auch Beschäftigungstherapie, bis sich zur Saison 2024/25 ein europäischer Spitzenklub die Dienste des noch immer jungen Fußballlehrers sichert.

Nur bis 30. Juni hat Nagelsmann schließlich beim DFB unterschrieben, so ein kurzfristiger Vertrag für den wichtigsten Trainer ist ein Novum im deutschen Fußball. Nicht die langfristige Perspektive zählt mehr, Aufbau und Entwicklung, sondern die Rettung des Heimturniers und der Stimmung unter den Fans.

Der Bundestrainer als Feuerwehrmann, das gab es in der 115-jährigen deutschen Länderspielgeschichte noch nie. Und man fragt sich: Hat die DFB-Spitze angesichts dieser besonderen Job-Anforderung eigentlich auch mal an Bruno Labbadia gedacht? Die nötige Erfahrung im Abstiegskampf hat der Nagelsmann jedenfalls voraus – und sicherlich wäre er auch billiger gewesen. (Hardt-Foto: privat)

Die Antwort lautet: nein. Denn auf der Trainerbank der Nation braucht es auch Glamour, einen Namen, einen Ruf, eine Geschichte. Positive Emotionen mussten bedient werden bei der Berufung des neuen Bundestrainers und der Glaube an die Wende. Dafür braucht es auch die Medien – und dieses Kalkül scheint schon mal aufgegangen. "Bundestrainer mit klaren Ideen", war zu lesen, "der Anti-Flick", "Lösung mit Rettungserfahrung", "Traum-Debüt für Nagelsmann", "Nagelsmann verrät seinen Sommermärchen-Plan". Doch, das wird, das muss ... ganz bestimmt.

Und die Kollegen von der Bild-Zeitung ließen sogar ihren Alt-Kolumnisten Franz Josef Wagner "Post" an Nagelsmann fabulieren: "Julian Nagelsmann hat sich das Holzfällerhemd übergezogen. Holzfäller haben Schwielen an den Händen, Holzfäller schuften sich den Rücken krumm." Genau das richtige Signal also im ersten Länderspiel gegen die USA. Oder? Jetzt wird hier gefällt und abgesägt: Achtung Kimmich, Vorsicht Neuer!

Obwohl: Nagelmanns schickes Holzfällerhemd vom "Fashion-Partner" des DFB kostet im Online-Versand 309,95 Euro zzgl. Versandkosten. Es hat "Cashmere Touch", "Kent Kragen" und "Winter Flanell". An der Pinie in kanadischen Wäldern ist das wohl eher selten. Das Aufsehen über dieses Outfit war entsprechend groß, gefühlt war das wichtiger als die Frage, welche Ideen der neue Bundestrainer denn schon umsetzen konnte.

Auch die Nationalspieler wurden nach dem ersten Spiel zum Hemd ihres Coaches gefragt. Sogar US-Trainer Gregg Berhalter sollte sich in der Pressekonferenz zur Oberbekleidung seines deutschen Kollegen äußern. Mehr als ein "Oh my God" wollte er klugerweise dazu nicht sagen. Welche Gedanken er sich über die Relevanz mancher deutscher Fußballreporter gemacht hat, bleibt sein Geheimnis.

Ja, Fußball ist längst auch Showbusiness. Da gehören Klatsch und Tratsch und Storys über Nagelsmanns Freundin und seine Oberbekleidung wohl dazu. Es ist Teil des Geschäfts, das ist akzeptiert, ob uns das gefällt oder nicht. Und ein Gehalt von angeblich 400.000 Euro im Monat beinhaltet irgendwie auch Schmerzensgeld für Fragen zu Frau und Hemd.

Wie sehr die Trainer sich inzwischen daran gewöhnt haben, dass immer weniger Fachfragen gestellt werden, kann man regelmäßig bei den Pressekonferenzen nach Spielen des FC St. Pauli beobachten. Dort ist das Erstaunen bei Gästecoaches immer wieder groß, wenn ein besonders taktik-affiner Kollege detailliert Auskunft über Spielsituationen, Verschiebungen, Räume und Rauten verlangt. "Kompliment für die Frage", sagte kürzlich Christian Eichner vom Karlsruher SC.

Und es ging dabei nicht um sein Outfit.

Andreas Hardt, vormals Redakteur bei SID und dapd, arbeitet als freier Journalist von Hamburg aus. Er schreibt die Kolumne "Hardt und herzlich" für den monatlichen Newsletter des Verbandes Deutscher Sportjournalisten. Hier gelangen Sie zu Hardts Xing-Profil.