Kolumne „Hardt und herzlich“

Ohrenschmerzen

02.05.2023

Nun, da Ernst Huberty verstorben ist, fragt sich unser Autor Andreas Hardt: Müssen die Fußball-Kommentatoren der heutigen Zeit so sein, wie sie sind?

 

Am Tag danach griff der Kollege Frank Buschmann zu seinem Handy (oder dem Computer) und tippte Zeilen für Twitter in die Tastatur: "War vielleicht ein wenig drüber gestern in der Konferenz", veröffentlichte er unter dem blauen Vögelchen: "Sorry, wenn manche Ohrenschmerzen haben."

Hatten sie – offensichtlich. Manche, vielleicht auch mehrere bis viele. Irgendwer wird "Buschi" gesteckt haben, dass seine Berichterstattung von dem in der Tat dramatischen 3:3 zwischen dem VfB Stuttgart und Borussia Dortmund in der Sky-Konferenz mindestens grenzwertig erschien. Es war ein Geschreie und Gebrülle: Geil, geil geil, Wahnsinn, irre, ich werd verrückt. Es war, bei aller Begeisterung für diese atemberaubende Schlussphase nur schwer zu ertragen, weil es mit einer sachlichen Kommentierung genau gar nichts mehr zu tun hatte, sondern nur noch unreflektierte Emotion war.

Kaum zu glauben, dass eben dieser polarisierende Spaß- und Stimmungsreporter anlässlich des Todes von Ernst Huberty voller Hochachtung daran erinnerte, dass er einst von Huberty geschult worden sei, "ein Großer des Sportjournalismus". Und man fragt sich polemisch: Warum hat der Kollege sich nichts gemerkt von Hubertys Lektionen?

Aber wir wollen nicht ungerecht sein. Zeit verändert sich und Zeitgeschmack irgendwann auch. Dass sich der Stil der Radio- und Fernsehreportagen seit den 1970er-, 1980er-Jahren angepasst hat, ist doch klar. Wo Rudi Michel  dass 2:2 von Deutschland im WM-Endspiel 1966 gege England in der 90. Minute nur knapp mit "goal, goal" (tatsächlich) kommentierte, gehen heute manche Radiokollegen in der ARD-Konferenz verbal komplett steil, wenn beispielsweise der FC Bayern gegen irgendeinen überforderte Gegner (ja, das gab es) das 6:0 erzielt: "Toooooooooooor in München!" Man glaubt es nicht. (Hardt-Foto: privat)

Den richtigen Ton zu treffen und die Bedeutung eines Ereignisses spontan zu werten ist sicher eine Kunst, die nicht viele beherrschen. Und dass es dabei auch negative Ausreißer gibt, ist normal und kein Problem. Aber es bleibt der Eindruck, dass es seit ein paar Jahren  mehr Lärm, Spektakel und Hysterie am Mikrofon gewünscht werden. Fußball ist Leidenschaft, und die soll transportiert werden. Das führt dann auch zu den Verbrüderungs-Attacken von Zweitliga-Experte Torsten "Tusche" Mattuschka, der so tut, als sei er mit wirklich jedem Trainer und Spieler aber so was von dick verkumpelt. Dieses Angebiedere ist kaum zu ertragen, und mit Analyse hat es nichts zu tun.

Die aus all diesem Fan-Getue in der Berichterstattung folgende Gegenbewegung sind die Expertenblogs mancher Taktiker. Abkippende Zehner, hängende Sechser, auflösende Außen, verschiebende Ketten, Räume, Pressing, Höhen – es ist faszinierend. Sogar Torwart-Analysen sind zu finden, in denen erklärt wird, dass Keeper A zu wenig Druck auf seinem rechten Fuß hatte, weshalb er nicht früh genug rauskam und seine Reaktionsgeschwindigkeit mal Pi und Daumen, und Manuel Neuer hätte ihn gehabt. Oder so.

Und dann wünscht man sich heimlich in nostalgischer Verklärung Ernst Huberty zurück. Dessen durchaus passende Anspielung im WM-Halbfinale 1970 auf Schnellingers Tätigkeit in Italien hat zu einer Inflation des "Ausgerechnet" geführt, die manchmal auch schwer erträglich ist. "Ausgerechnet" XYZ schießt ein Tor, dessen Vetter vor drei Jahren die Großcousine des gegnerischen Torwarts… Okay, Schluss jetzt mit dem Gemecker.

Und ein Gedanke an Herbert Zimmermann, dessen WM-Reportage 1954 der Urknall der emotionalen Fußball-Berichterstattung ist und deshalb so legendär. Der VDS verleiht nicht ohne Grund jährlich den Herbert-Zimmermann-Preis für die beste Live-Reportage (Glückwunsch an Tobias Blanck).

Fesselnde Reportagen sind also möglich und nicht zu verwechseln mit unreflektierter Begeisterung am Mikrofon. Auch wenn man dadurch vielleicht "Kultreporter" wird.

Andreas Hardt, vormals Redakteur bei SID und dapd, arbeitet als freier Journalist von Hamburg aus. Er schreibt die Kolumne "Hardt und herzlich" für den monatlichen Newsletter des Verbandes Deutscher Sportjournalisten. Hier gelangen Sie zu Hardts Xing-Profil.