Kolumne "Hardt und herzlich"

Setzen, sechs!

02.04.2024

Die Bewertung von Spielern durch eine Einzelkritik oder Noten ist eine gängige Praxis im Sportjournalismus. Andreas Hardt hält davon allerdings nichts.  

 

Schulnoten sind längst eine sehr umstrittene Methode der Leistungsbeurteilung. Pädagogen berichten von Stresssymptomen bei manchen Schülern, Frustrationen, schlechtem Selbstwertgefühl. Auch lässt sich eine Leistung, die aus unterschiedlichen Teilfaktoren (mündlich, schriftlich, Kreativität) zusammengesetzt ist, eigentlich gar nicht objektiv messen. An manchen Grundschulen werden deshalb inzwischen für die Kleinsten die Noten durch Worturteile ersetzt.

Das machen wir auch:

"Defensiv aufmerksam und immer Herr der Lage." – "Machte oft einen Schritt zu viel." – "Stand völlig neben sich. In dieser Form wird er seinen Stammplatz verlieren." Und wenn uns gar nichts mehr einfällt, weil der zu Beurteilende erst spät teilgenommen hat: "Durfte" – und nun wahlweise einsetzen: "mitfeiern", "Siegprämie kassieren", "Zweitligaluft schnuppern".

Kennt man alles. Oft gelesen und gehört. "Einzelkritik" nennt sich diese Textform bei der Berichterstattung von Fußballspielen. Offensichtlich wird die gerne angenommen von Lesern, sonst würde man sich die Mühe ja nicht machen. Glücklicherweise wissen die Leser nicht, wie diese Einzelkritiken häufig entstehen. Viel zu oft nämlich nebenbei, Personalmangel. Macht der Berichterstatter dann eben noch neben den aktuellen und hintergründigen Texten mit. "Spielte unauffällig seinen Part runter." Genau. Unauffällig, was soll man sagen?

Bei "seinen Part" wird es allerdings schon wieder kritisch. Weil der journalistische Beobachter genau den in aller Regel nicht kennt. Weil er nicht in der Mannschaftsbesprechung dabei ist. Trotzdem gibt es dann Kritik, dass Außenspieler XY zu selten am gegnerischen Strafraum aufgetaucht sei, dabei hatte ihm genau das der Trainer verboten, um keine Räume zuzulassen. Job erledigt, top! Und eine schlechte Einzelkritik kassiert. Es ist absurd.

Auch der viel kritisierte Mittelstürmer, der eine "Torflaute" hat seit – genau ausgerechneten – 1056 Minuten ist oft Opfer der Ahnungslosigkeit. Denn sein Job ist es, durch Beweglichkeit "in der Box", wie es neudeutsch heißt, Räume zu schaffen für die nachstoßenden Mittelfeldspieler. Die dann zum Teil dafür gefeiert werden, dass sie schon mehr Saisontore haben, als in den fünf Spielzeiten davor. Der eine bekommt dann eine Schulnote vier oder fünf, der andere eine zwei. Womit wir beim allergrößten Quatsch sind: Noten.

Die spiegeln ja so etwas wie Objektivität und Vergleichbarkeit vor. Dabei sind sie oft genug eine Anmaßung der Notengeber. Da herrscht keine Objektivität, da gibt es Sympathie oder Antipathie für Vereine und Spieler. Vielleicht sogar persönliche Enttäuschungen oder Begeisterung des Berichterstatters, der aus seinem heimlichen Fantum für das Heimteam nicht heraus kann. (Hardt-Foto: privat)

Eine klassische Regel norddeutscher Fußballfans lautet seit Jahren: Beim kicker-Managerspiel nie HSV-Profis in den Kader holen. Dort fließt bei der Spieltagswertung nämlich zu den objektiven Daten wie Tore etc. auch noch entscheidend die kicker-Note ein. Und damit bist du verloren. Denn die zeigt eben seit Jahren nicht die Leistungen an, sondern den Frust der Berichterstatter. Der HSV hat über die Jahre viele Anlässe gegeben, ihn nicht zu mögen, klar. Aber darum kann es ja bei den Noten nicht gehen. Nach dem 26. Spieltag in der zweiten Liga belegte der HSV den Aufstiegsrelegationsplatz 3. Das ist weniger, als viele erwartet haben, auch als mit dem teuren Kader zu erwarten war. Aber es ist Platz 3. In der Rangliste der kicker-Noten allerdings belegte der HSV zu diesem Zeitpunkt Rang 16. Hinter dem VfL Osnabrück und Hansa Rostock.

Selbst der zu diesem Zeitpunkt souveräne Tabellenführer FC St. Pauli war im Notendurchschnitt nur viertbestes Team. Der nach zahlreichen messbaren Kriterien nach drei Vierteln der Saison beste Spieler der Liga, Marcel Hartel, lag im Notendurchschnitt auf Platz 31. Das alles ist eben keine objektive Beurteilung. Es ist Tinnef, Vorlieben und Abneigungen Einzelner spielen die entscheidende Rolle. Und das beschädigt den Ruf eines Fachmagazins als eben solches.

Eine echte Unart ist auch die Selbstreflexion mancher Redaktionen bei der Berichterstattung eben auf die Noten, die sie selbst vergeben haben. Da wird eine Zensur für einen Artikel genutzt, der doch Tatsachen vermitteln soll: "XY ist in einer Krise (Note 5)." Ach so.

Ist doch nur eine nette Spielerei, sagen einige, soll man nicht so ernst nehmen. Okay, fein. So ist es aber nicht. Diese oft schnell hingeknallten Noten und Beurteilungen haben Wirkung. Sie werden ernst genommen – natürlich auch, wenn sich ein Kolumnist darüber ärgert.

Andreas Hardt, vormals Redakteur bei SID und dapd, arbeitet als freier Journalist von Hamburg aus. Er schreibt die Kolumne "Hardt und herzlich" für den monatlichen Newsletter des Verbandes Deutscher Sportjournalisten. Hier gelangen Sie zu Hardts Xing-Profil.