Es ist der Kollegin Nora Hespers zu verdanken, dass es wenigstens eine kleine öffentliche Auseinandersetzung mit dem Thema gibt, oder gab. Statt gar keiner. Oder nur oberflächlichem Abtun. Der Skandal um wirklich unerträgliche sexistische Beleidigungen von Fans von Rot-Weiss Essen gegen die Schiedsrichterin Fabienne Michel am 28. März bei der 0:3-Niederlage in Verl wäre sonst wohl unbemerkt geblieben.
Erst durch Hespers Artikel für Sportschau online am 3. April begann eine Aufarbeitung. Davor herrschte überwiegend Ignoranz. Schiedsrichter würden ja immer beleidigt, wenn sie keinen guten Tag haben, hieß es. Also, alles nicht so schlimm. Normal, leider. Oder? Eben nicht, meint Julia Möhn, die Geschäftsführerin der gGmbH "Fußball kann mehr".
"Der Sportjournalismus ist männlich dominiert", sagte die ehemalige Sportjournalistin aus Hamburg auf einer Podiumsdiskussion des Verbandes Hamburger Sportjournalisten in Zusammenarbeit mit der Makromedia Hochschule in der Hansestadt Mitte April zum Thema "Frauen im Sportjournalismus". So würde dann zum Beispiel ein Thema wie Sexismus in Stadien vielleicht durchaus unbewusst in seiner Brisanz gar nicht wahrgenommen von den Berichterstattern.
Nur rund elf Prozent der im Sportjournalismus Tätigen sind aktuell Frauen. Im Vergleich zu anderen Fachressorts sind sie im Sport damit deutlich unterrepräsentiert: Der Durchschnittsanteil von Journalistinnen allgemein wird zwischen 37 und 40 Prozent angenommen. Sabine Töpperwien, die erste Frau, die in Deutschland im Radio live Fußballspiele kommentierte, sagte den wohl immer noch zutreffenden Satz: "Solange es uns gelingt, die Frauen im Sportjournalismus noch namentlich aufzuzählen, wissen wir, dass hier etwas falsch läuft.“
Eine der bekannten Namen ist Ina Kast vom NDR, die unter anderem als Tennisexpertin, Fußballkommentatorin und TV-Moderatorin tätig ist. "Bei Medienmenschen wird oft vergessen, dass wahnsinnig viele Frauen an Sport interessiert sind", sagt die Wahl-Hamburgerin und findet, auch aus eigener Erfahrung: "Ich habe das Gefühl, dass die Kritik an Fehlern – auch intern – bei Frauen deutlich härter ist als bei den männlichen Kollegen."
Das trifft vor allem auf den Fußball zu, aber nicht nur in den Redaktionen, sondern (vor allem) von Seiten der Zuseher und Hörer. "Bei Frauen beginnt die Ablehnung schon vor dem Anpfiff. Das ist völlig frei von jeder inhaltlichen Bewertung", hat Katja Kraus, geschäftsführende Gesellschafterin der Sportmarketingagentur Jung von Matt/sports vor zwei Jahren festgestellt. Das läge vor allem daran, dass die deutsche "Fußballlandschaft von Männern geschaffen und über Jahrzehnte dominiert wurde."
Rot Weiss Essen hat Fabienne Michel mittlerweile offiziell um Entschuldigung gebeten. Das ist das Mindeste! Manche Profivereine haben längst Awareness-Konzepte erarbeitet und auch Teams in den Stadien, bei denen sich von Grenzüberschreitungen betroffene Menschen melden können. Andererseits veröffentlichten noch vor vier Jahren die Ultras von Hansa Rostock "Stimmungsregeln" für die Südtribüne, in denen es hieß: "Keine Weiber in den ersten drei Reihen."
"Das Ganze ist nicht einfach ein gesamtgesellschaftliches Problem. Es ist auch ein spezielles Problem des Fußballs. Viele sehen den Fußball immer noch als letzten Hort der absoluten Männlichkeit an, wo bestimmte Dinge erlaubt sind", sagt die Kriminologin Thaya Vester. Und es könnte leider wirklich so sein, dass dieses Problem auch durchschlägt in den Sportjournalismus. Oder?
Reporterinnen sind offenbar deutlich mehr Hass von außen ausgesetzt als das bei den männlichen Kollegen der Fall ist. Die Anfeindungen und Beleidigungen gegen Claudia Neumann vom ZDF wurden in der jüngeren Vergangenheit bereits thematisiert. Viel gebracht hat das offenbar nicht. "Der Schutz der Kommentatorinnen ist die Aufgabe ihrer Sender, die sie oft zu wenig erfüllen", meint Möhn.
Das wiederum sei möglicherweise auch auch ein Grund, warum verhältnismäßig wenige Frauen den Weg in den Sportjournalismus suchen, so Möhn: "Jede Frau weiß, dass sie Hass zu erwarten hat, wenn sie kommentiert." Daran mag es auch liegen, dass zahlreiche Frauen als Moderatorinnen vor der Kamera bei Sportsendern auftreten, die "Königsdisziplin" (Kast) Livereportage in Rundfunk oder Fernsehen aber eben nicht anstreben.
Die Aussteiger-Quote bei Schiedsrichterinnen ist gegenüber den Männern übrigens deutlich höher. Auch aus Gründen.
Andreas Hardt, vormals Redakteur bei SID und dapd, arbeitet als freier Journalist von Hamburg aus. Er schreibt die Kolumne "Hardt und herzlich" für den monatlichen Newsletter des Verbandes Deutscher Sportjournalisten. Hier gelangen Sie zu Hardts Xing-Profil.