Editorial von VDS-Beisitzer Martin Volkmar

Sportjournalismus in Echtzeit: Chancen und Herausforderungen

04.03.2024

Der digitale Wandel ist längst nicht mehr aufzuhalten. Martin Volkmar ist freilich nicht der Meinung, dass früher alles besser war – allenfalls leichter.

 

Dass die Erinnerung im Rückblick die Vergangenheit schönt, liegt in der menschlichen Natur. Sie sollte nur nicht als belastbare Tatsache dargestellt werden, selbst wenn es vieles einfacher macht.

So neigen auch Journalisten in diesen unruhigen und unsicheren Zeiten dazu, die Vergangenheit zu verklären. Das fängt bei den Verallgemeinerungen an, die eigentlich in unserem Berufsstand auf dem Index stehen sollten.

"Die Online-Medien" gibt es genauso wenig wie "die Medien" (die mittlerweile ohnehin fast alle mehrheitlich online konsumiert werden). Wie in allen anderen Bereichen muss man sich allerdings die Mühe machen, professionell arbeitende Angebote von den eher unseriös zuspitzenden und polarisierenden Portalen zu unterscheiden.

Und man muss differenzieren können und wollen zwischen Clickbait (also einem bewusst irreführenden Anreißen) oder dem schon seit Jahrzehnten im Rundfunk üblichen Hineinziehen in einen Inhalt durch spannendes Teasing, das eben nicht alles verrät.

Selbstverständlich ist auch die Aus- und Bewertung des Nutzungsverhaltens ein wesentlicher Bestandteil des digitalen Journalismus. Die Arbeit mit Echtzeit-Reportings, auf denen man dies exakt erkennen kann, gehört heutzutage zum täglichen Einmaleins. (Volkmar-Foto: Edith Geuppert)

Journalisten sind dadurch im Gegensatz zur vordigitalen Ära keine Gatekeeper mehr, die dem Leser/User vorschreiben können (und wollen), was diesen zu interessieren hat. Paradebeispiel war dafür früher die Berichterstattung über NBA oder NFL, die in Zeitungen sowohl verspätet als auch meist nur in Kurzform stattfand. Erst durch digitale Medien wurde das übergroße Interesse deutscher User an diesen Sportarten nachgewiesen und auf den meisten Sportportalen mit einer wesentlich ausführlicheren Berichterstattung auch befriedigt.

Gleichwohl bleibt es trotzdem unsere Kernaufgabe, Inhalte zu kuratieren. Also im täglichen Spagat eine gute Mischung zu finden zwischen massentauglichen Themen (wozu zum Beispiel eben fast alles rund um den Fußball-Transfermarkt gehört) und relevanten Nachrichten aus der Sportpolitik, dem Doping oder aus kleineren Sportarten.

Die in Sonntagsreden gerne kritisierte Fokussierung in Deutschland auf den Spitzenfußball – und hier sehr stark auf den FC Bayern München – ist eine Spiegelung des statistisch nachgewiesenen User-Interesses aller wichtigen Sportportale.

Trotzdem werden dort permanent (auch) andere Themen und Sportarten gesetzt, obwohl man mit jeder Transfer-News in der Regel mehr Reichweite generieren könnte. Aus professioneller Einschätzung und Verantwortung: Mit dem Finger gezeigt wird aber gerade unter altgedienten Kolleginnen und Kollegen häufig auf die Negativbeispiele.

Die Behauptung, dass früher vieles, wenn nicht alles besser gewesen sei, wird auch immer wieder in Bezug auf die Arbeitsbedingungen hervorgeholt. Tatsächlich kann man mittlerweile in Marketing und PR weitaus mehr Geld verdienen, auch die Arbeitsbedingungen ohne Wochenend- und Spätdienste sind familienfreundlicher. Generell war das aber schon immer so, weshalb gerade der Sportjournalismus nach wie vor oft mehr Berufung als Beruf ist.

Es gibt aber keineswegs weniger Jobs, sondern eher mehr – nur ist das Aufgabenprofil vielfältiger, komplexer und moderner geworden.

Wenn man diese bi- und trimedialen Ausbildungen durchlaufen hat, muss man sich als Journalist tatsächlich wenig Sorgen um seine Zukunft machen. Weil man dann multimediale Kompetenzen besitzt und bei entsprechender Flexibilität damit fast überall einen Job bekommen wird.

Gerade im Videobereich kann man als Selbstständiger oder bei Agenturen sogar deutlich mehr verdienen als der Durchschnitt. Und jemand, der journalistische Inhalte gut in die Social-Media-Welt transportieren kann und/oder sich mit suchmaschinen-optimiertem Schreiben (SEO) auskennt, wird in Unternehmen händeringend gesucht, weil nahezu jede Firma heutzutage ihr Angebot bestmöglich in sozialen Medien und bei Google präsentieren will.

Der oft hektische Alltag in einem Newsroom einer Sportredaktion bereitet daher hervorragend auf einen späteren Wechsel "auf die andere Seite" vor. Viele Kollegen bleiben aber nach wie vor im Sportjournalismus, weil sie für den Job brennen – das hat sich zum Glück nicht geändert.

Und gerade weil es nicht weniger, sondern immer mehr Informationen gibt – darunter auch viele Fake News – wird es immer mehr Arbeit für Journalisten geben, um diese Nachrichtenflut einzuordnen.

Richtig ist: Früher war vieles leichter. Freuen wir uns über die Herausforderungen und darüber, dass Profis umso mehr benötigt werden.

Martin Volkmar, Jahrgang 1969, ist Chef vom Dienst bei ran.de und Beisitzer im Präsidium des Verbandes Deutscher Sportjournalisten