Kolumne „Hardt und herzlich“

„Wir“ sind nicht das IOC

01.03.2023

Seit über einem Jahr tobt der Krieg bereits in der Ukraine. Unser Kolumnist Andreas Hardt bewertet vor diesem Hintergrund das Vorhaben von Thomas Bach, die Athletinnen und Athleten aus dem Land des Aggressors 2024 in Paris starten zu lassen.

 

„Wir sind IOC!“ Hat sich eigentlich damals ein deutsches Medium dazu verstiegen, diese Zeilen zu schreiben, als Thomas Bach – Entschuldigung: Doktor Thomas Bach, so viel Zeit muss sein – am 10. September 2013 zum obersten Olympier gewählt wurde? Zum Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees, dessen Ziel es laut Olympischer Charta ist, „den Sport in den Dienst der harmonischen Entwicklung der Menschheit zu stellen, um eine friedliche Gesellschaft zu fördern, die der Wahrung der Menschenwürde verpflichtet ist.“ Nein, hat wohl niemand.

Jedenfalls findet sich in den Tiefen erreichbarer elektronischer Archive auf die Schnelle keine derartige Veröffentlichung. Was möglicherweise auch daran liegt, dass es mit dem „Wir“ schwierig ist in Bezug auf den ehemaligen Spitzenfechter aus Würzburg. Ein Einzelkämpfer auf der Planche, Florett. Die Fähigkeit, „Aktionen des Gegners rechtzeitig zu durchschauen und taktisch zu nutzen“, gilt als eine der Grundvoraussetzungen, um in diesem Sport erfolgreich zu bestehen. Das kann Dr. Bach, keine Frage. Auch bei seiner Funktionärskarriere.

Als IOC-Präsident plädiert er nun dafür, Sportler aus dem Kriegsverbrecherstaat Russland und von dessen treuem Vasallen Belarus zu den Olympischen Spielen 2024 in Paris zuzulassen. Das bedeutet in aller Konsequenz: auch zu allen weiteren Wettbewerben in Olympischen Sportarten. Diese Athleten sollen unter neutraler Flagge starten, ihre Nationalhymne darf nicht gespielt werden. Sie sollen zudem die Olympische Charta und die bestehenden Sanktionen gegen Russland akzeptieren. Na, klar. Und denkt Bach, dass mögliche Erfolge dieser Sportler nicht propagandistisch von ihren Heimatländern ausgeschlachtet würden? Nein, natürlich glaubt er das alles nicht. Er ist ja nicht naiv. Also ist es ihm egal (Hardt-Foto: privat).

„Wir“ sind nicht das IOC. Nur 36 Prozent der Befragten finden die Russland-Idee des IOC laut einer Umfrage der Sächsischen Zeitung vom 15. Februar richtig. Man darf davon ausgehen, dass die Zustimmung in anderen deutschen Landesteilen noch geringer ausfällt. Die Diskussion in Öffentlichkeit und Medien über diesen vom olympischen Dachverband Asiens Ende Januar lancierten Vorstoß war mir bis Ende Februar dennoch viel zu leise. Liegt es daran, dass es „nur“ um Sport geht? Dabei hat sich die EU mit einer Resolution gegen das Internationale Olympische Komitee am 20. Februar doch klar positioniert.

Beeindrucken wird Bach das alles aber ohnehin nicht. Er kalkuliert kühl und weiß wahrscheinlich die Mehrheit asiatischer und afrikanischer Olympier hinter sich. Wen scheren da Krieg und Menschenrechte? Der Rechtsanwalt zeichnet sich in seiner Laufbahn durch eine Unzahl zweifelhafter Handlungen aus, zahlreiche Vorwürfe finden sich.

Seine Freundschaft zu Wladimir Putin und Gianni Infantino ist bekannt. Die Verschleierung des systematischen russischen Staatsdopings und die milden Konsequenzen daraus hat er mitgetragen. Von Chinas Diktator Xi Jinping ließ sich Bach bei der Affäre um die verschwundene Tennisspielerin Peng Shuai instrumentalisieren, als er an einem arrangierten Gespräch mit ihr teilnahm. Und dass Putin mit seinem Angriff auf die Ukraine gewartet hat, bis die Winterspiele in Peking vor einem Jahr beendet waren, ist auch kein Zufall.

Im November erschien ein Buch mit dem Titel „Olympische Herausforderungen“, mit Reden und Texten des IOC-Präsidenten Dr. Bach auf über 500 Seiten. Das machen einflussreiche Männer schon immer gerne so. Auf dass sich die Nachwelt ein Bild mache. Meines steht fest: „Wir“ sind nicht dieses IOC. Zum Glück.

Andreas Hardt, vormals Redakteur bei SID und dapd, arbeitet als freier Journalist von Hamburg aus. Er schreibt die Kolumne „Hardt und herzlich“ für den monatlichen Newsletter des Verbandes Deutscher Sportjournalisten. Hier gelangen Sie zu Hardts Xing-Profil.