Editorial der 1. VDS-Vizepräsidentin Elisabeth Schlammerl

Bedenkliche Entwicklung

01.02.2023

Immer weniger Kolleginnen und Kollegen sind bei Sportereignissen vor Ort. Bei Olympischen Spielen und Fußballturnieren wird das Akkreditierungskontingent nicht mehr ausgeschöpft. Der Grund dafür sind nicht nur hohe Kosten.

 

Liebe Kolleginnen,
liebe Kollegen,

es ist noch nicht so lange her, da gab es für Olympische Spiele regelmäßig eine Warteliste. Kolleginnen oder Kollegen bekamen deshalb erst kurz vor Beginn der Veranstaltung eine Akkreditierung oder gingen sogar leer aus. Auch für Fußballturniere der Männer konnten oft längst nicht alle Akkreditierungswünsche erfüllt werden. Diese Großereignisse waren stets auch Pflichttermine für Medienhäuser, die personell oder finanziell nicht so gut aufgestellt waren.

Aber das ist längst nicht mehr so. Das Akkreditierungskontingent wurde weder für die Fußball-WM in Katar ausgeschöpft, noch gibt es für die Olympischen Sommerspiele in Paris im kommenden Jahr eine Warteliste. Und das liegt nicht nur an Synergieeffekten von Redaktionszusammenschlüssen und Verbünden wie der G14. Sondern vor allem an den Kosten.

Selbst kleinere Veranstaltungen belasten mittlerweile die Budgets der Sportredaktionen enorm. Beim Hahnenkammrennen jüngst in Kitzbühel bot ein Hotel ein paar Kilometer außerhalb des Skiortes ein Zimmer ohne Warmwasser für stolze 180 Euro an. Zum Duschen musste man in die Sauna im Keller. Für die anstehende Ski-WM in Courchevel und Meribel bekam ein etwas spät entschlossener Kollege ein Angebot für 900 Euro – pro Nacht. Aber selbst für diejenigen, die rechtzeitig gebucht haben, war auf dem offiziellen Weg über das Organisationskomitee kaum etwas unter 200 Euro zu bekommen (Schlammerl-Foto: Ina Fassbender).

Preise, die viele Verlage, Online-Unternehmen und sonstige Nicht-Rechte-Inhaber nicht mehr bereit sind zu bezahlen. Jedenfalls nicht für eine Weltmeisterschaft in einer Sportart, in der keine deutsche Medaillenflut zu erwarten ist und die außerhalb von Bayern und Baden-Württemberg meist auf geringeres Interesse stößt. Auch Freiberufler können sich solche Veranstaltungen immer weniger leisten. Von der Ski-WM aus Frankreich werden deshalb neben den beiden Agenturen nur eine Handvoll Print- und Online-Medien berichten.

Die Konsequenz ist, dass immer mehr Texte in den Redaktionen geschrieben werden müssen, auch von den Agenturen. Recherche findet mittlerweile vorwiegend im Internet und in den Sozialen Medien statt. Pressesprecher der diversen Sportverbände liefern wegen der fehlenden Medienpräsenz per WhatsApp oder über sonstige Messenger-Dienste Stimmen von Athletinnen und Athleten, überspielen manchmal auch ganze Interviews. So nützlich dieser Dienst auch ist, für eine Hintergrundgeschichte taugen die (mitunter gefilterten) Aussagen sicher nicht.

Zwangsläufig sind kalt geschriebene Texte etwas oberflächlicher, manchmal schleichen sich auch Fehler ein, weil Informationen aus dem Internet einfach übernommen werden. Faktencheck bedeutet auch aus Zeitgründen oft: Es muss richtig sein, wenn es in mehreren Texten steht. Solange die Klickzahlen stimmen und sich Leser nicht beschweren, sehen viele Chefs von Medienhäusern keinen Grund, mehr Sportereignisse zu besetzen. Im Gegenteil. Diese Entwicklung ist bedenklich für unsere Branche.

Herzlichst, Ihre Elisabeth Schlammerl