Künstliche Intelligenz und Fotojournalismus

Dämme für die Bilderflut

02.06.2023

Künstliche Intelligenz macht das Leben in vielen Bereichen leichter, aber mitunter auch unübersichtlicher. Das zeigt sich exemplarisch bei Fotos, auch im Sport. Original und Fälschung sind oft kaum zu unterscheiden, journalistische Standards daher umso wichtiger, wie Christoph Ruf berichtet.

 

Es dürfte nicht oft vorkommen, dass Menschen als Vordenker ihrer Branche gelobt werden, weil sie einen Preis nicht bekommen haben. Doch bei Boris Eldagsen ist genau das der Fall: Der Berliner Fotograf, der bei den "Sony World Photography Awards" gewonnen hatte, hatte zugegeben, dass er das Sieger-Bild nicht selbst gemacht, sondern mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) erzeugt hatte.

Schließlich ging es ihm, wie er plausibel darlegt, nicht darum, sich einen Preis zu erschleichen. Sondern darum, auf einen Missstand hinzuweisen, dessen Dimension seiner Meinung nach noch nicht ansatzweise erkannt wurde. Er habe ausprobieren wollen, "ob die großen Fotowettbewerbe darauf vorbereitet sind, dass Menschen KI-generierte Bilder einreichen. Und sie waren es nicht", sagte er dem BR. Und warnte vor "einer Flut von Fake-Bildern, die wir überall finden, weil sie durch Social Media beschleunigt vertrieben werden".

Tatsächlich genügt es, ein, zwei Schlagworte mit einem Personennamen zu verknüpfen ("Kimmich gähnt"), um die entsprechenden Bilder zu erzeugen. Die sind zwar fiktiv, gaukeln aber Authentizität vor. Die beiden wohl bekanntesten Fakes der vergangenen Monate, die Papst Franziskus in einer weißen Skijacke und Donald Trump bei seiner angeblichen Festnahme zeigen, sind so entstanden. Sie gingen viral und wurden allgemein als lustig empfunden. Ganz so, als gäbe es zu all dem nicht noch mehr zu sagen.

Gibt es aber, wie (nicht nur) Wolfgang Rattay findet. Der ehemalige VDS-Fotografensprecher sieht die Diskussion um Künstliche Intelligenz im Zusammenhang mit einer fortschreitenden Erosion journalistischer Standards. So sei es schon vorgekommen, dass Menschen oder Gegenstände aus dem Bildhintergrund wegretuschiert wurden, wenn sie ästhetisch störten. Oder dass gestellte Bilder nicht als solche gekennzeichnet wurden. (Rattay-Foto: Thilo Schmülgen)

"Es gehört zur journalistischen Sorgfalt, dass man so etwas nicht tut", sagt Rattay, der sich auch schon darüber gewundert hat, dass fast identische Bilder, die beispielsweise aus der gleichen Sequenz eines Torjubels stammen, später unter drei verschiedenen Fotografen-Namen bei drei verschiedenen Agenturen landeten, weil der entsprechende Kollege sie unter Schein-Identitäten an verschiedene Pools verkauft hat. Ob aus wirtschaftlicher Not, aus Unkenntnis journalistischer Standards, oder weil ihm genau die ganz egal sind, sei dahingestellt. Ohne eine eindeutige Kenntlichmachung als KI-generiertes Bild sei der Konsument künftig jedenfalls völlig überfordert damit, echt von unecht zu unterscheiden, urteilt Rattay.

Ähnlich sieht das Freelens, die mit 2300 Mitgliedern größte Organisation für Fotografinnen und Fotografen in Deutschland: Alle Bilder sollen nach IPTC-Standards entsprechend ihrer digitalen Quelle gekennzeichnet – und von den Medien für den Leser gut sichtbar so übernommen werden, heißt es. Die gängigen Abkürzungen: Authentisches Foto [A], Manipuliertes Foto [M] und Generiertes Bild [G]. Überhaupt findet bei Freelens, derzeit eine rege Debatte über KI statt, zu sehen etwa in einem Online-Vortrag der Offenbacher Fotografin Sabine Pallaske.

Die Stellungnahme des Verbandes gipfelt dabei in einer Warnung, die ebenso apokalyptisch wie realistisch erscheint: "Betrüger*innen und Manipulator*innen hingegen werden sich Text-to-Image-KI zu Nutze machen, werden mit fotorealistischen KI-Bildern vorsätzlich Tatsachen verfälschen und die Betrachtenden manipulieren (...) In Zukunft werden auch Menschen ohne Vorkenntnisse Deepfakes (realistisch wirkende Medieninhalte, die durch KI verfälscht worden sind) erstellen können, die qualitativ keinen Unterschied zu authentischen Fotos aufweisen. Eine Flut dieser Fälschungen der Wirklichkeit können eine Wirkung entfalten, die unsere Demokratie gefährdet."

Die ganze Gesellschaft müsse sich damit auseinandersetzen, dass ein Bild gleichermaßen eine KI-generierte Fiktion, wie auch eine authentische Fotografie sein könne. Genau deshalb könnte schon bald die Frage aufkommen, wozu es noch echte Bilder brauche, wenn sich die Menschen erst einmal daran gewöhnt haben, dass sie nicht mehr wissen können, ob ein Bild echt ist oder nicht. (Papst-Foto: Screenshot Reddit)

"Unser Kerngeschäft kann nur die Wahrheit sein", sagt Rattay. "Und ich fürchte, dass wir ganz schlechte Karten haben, wenn wir uns nicht als gesamte Branche darauf zurückbesinnen."

Christoph Ruf arbeitet als Freelancer von Karlsruhe aus. Hier geht es zu Rufs Website.