Sports Illustrated USA: Der Niedergang einer Ikone

Die Bibel ist nicht mehr aktuell genug

04.03.2024

Das US-Magazin galt als "Bibel des Sports". Mittlerweile ist es heruntergewirtschaftet worden. Heiko Oldörp berichtet über den Niedergang einer Ikone. Spoiler: Auf die deutsche Ausgabe hat dies keine Auswirkungen.

 

Die Nachricht war kein Schock mehr. Sie konnte kein Schock mehr gewesen sein. Es hatte bereits in den Jahren zuvor schon zu viele Anzeichen gegeben. Und dennoch war der Aufschrei groß, als am 19. Januar bekannt wurde, dass es bei der Sports Illustrated in den USA einen "erheblichen Abbau der Belegschaft" geben werde. So hatte es der Lizenz-Eigentümer des Magazins den Betroffenen mitgeteilt. Wie zu hören war, ziemlich emotionslos. In einem siebenminütigen Zoom-Call. Fragen gab es auf Seiten der Betroffenen viele, gehört wurde keine einzige.

Das Magazin Time schrieb davon, dass der "der Stöpsel" gezogen worden sei. Von "Chaos" und "Massenentlassungen" war in der New York Times zu lesen. Rund 100 Angestellte sind betroffen. Einige mussten sofort gehen, andere dürfen für mindestens 90 Tage bleiben. Doch was sind schon drei weitere Monate? Bei einer Publikation, die kurz vor ihrem 70. Geburtstag steht? Aber ob SI diesen Ehrentag im August noch erleben wird, ist ebenso offen wie die Frage, ob, sollte es so sein, das überhaupt ein Grund zum Feiern wäre? Denn das Magazin lebt nur noch von seiner glorreichen Vergangenheit.

Die erste Ausgabe erschien am 16. August 1954. Das Titelfoto: Baseball (Foto erste Ausgabe: Screenshot sj/ABG). Zeitgemäß. Denn die Pitcher und Catcher prägten damals den US Sport. In den folgenden Jahrzehnten entwickelte sich SI zur "ehrwürdigen Bibel des Sportjournalismus" (NY Times), wurde "Grundnahrungsmittel für Sportfans" (Newsweek). So wie viele Arbeitnehmer in den USA das Wochenende herbeisehnten, freuten sich die SI-Abonnenten, wenn der Postbote am Donnerstag, später am Dienstag mit der neuen Ausgabe des Wochenmagazins kam.

Feuilletonistische Texte, Artikel mit Tiefe, exklusive Interviews. Was in SI stand, war so nirgendwo zu lesen. Das Magazin berichtete über Themen, die andere Medien ignorierten. Es ging zwar grundlegend immer um Sport, aber eben auch um Athleten und deren Probleme mit Rassismus, Sexualität und ethnischer Herkunft. "Sports Illustrated war das Scheinwerferlicht in der Dunkelheit", hieß es bei MSNBC.

Auf dem Podest der Sport-Magazine gehörte SI immer der Platz ganz oben. "Hier waren einige der besten Fotografen, Autoren und Editoren, die es je gegeben hat, unter einem Dach", sagte Rick Reilly der New York Times. Reilly schrieb 23 Jahre für SI und wurde vor allem durch seine von 1997 bis 2007 auf der Rückseite erschienene Kolumne "Life of Reilly" bekannt.

Für Sport-Fotografen war SI das große Schaufenster. Ihre Bilder wurden mitunter erst durch das Cover bekannt und legendär. Das "kultigste" von allen? Nein, kein Michael Jordan. Auch kein Muhammad Ali oder Tiger Woods, sondern das Foto vom 3. März 1980.

Geknipst vom in Berlin geborenen und in Bremen aufgewachsenen Heinz Kluetmeier. Es zeigt den Jubel der US-Eishockey-Nationalmannschaft nach dem sensationellen 4:3-Sieg bei den Olympischen Winterspielen von Lake Placid gegen die Sowjetunion. Das Spiel ging als “Miracle on Ice” in die Sportgeschichte ein. Anlässlich seines 60. Geburtstages im Jahr 2014 hatte SI 32 seiner 3069 Titelbilder ausgesucht und die Leser entscheiden lassen, welches das “most iconic” sei.

Das siegreiche Foto der siegreichen US-Mannschaft (Foto: Screenshot sj/ABG) war das einzige Cover ohne Überschrift. Sports Illustrated stand in blauen Buchstaben ganz oben, rechts darunter in Gelb: March 3, 1980 – und daneben der Preis: $ 1,25. "Mehr bedurfte es nicht. Jeder in Amerika wusste, was passiert war", so Kluetmeier. Er fotografiert seit den Sommerspielen von München 1972 für SI. Mehr als 100 seiner Werke prägten seitdem die Titelseite.

Und wer es eben auf dieser Titelseite erschien, der hatte es geschafft. Michael Jordan gelang dies 50 Mal. Mehr Ehre, mehr Auszeichnung ging nicht. Es war wie ein Olympiasieg – etwas für die Ewigkeit. Sogar für Präsidenten. Welche Sport-Publikation setzte schon Staatsoberhäupter auf ihr Cover? SI hatte mit John F. Kennedy, Gerald Ford, Ronald Reagan (sogar zweimal) und Bill Clinton gleich vier.

Andere Wochenmagazine landeten daheim schnell in der Mülltonne. SI hingegen hatte Sammlerwert – und somit einen festen Platz in vielen Regalen US-amerikanischer Häuser, Apartments, Büros. Die Titelseiten oder Fotos prägten und prägen unzählige Wandschränke, Türen und Tapeten von Kinder- und Teenagerzimmern.

Besonders begehrt: die "Swimsuit Issue"-Ausgabe. Sie erschien erstmals 1964 und war ursprünglich nur als Füller für die Wintermonate gedacht. Doch daraus wurde ein populäres Sprungbrett für Models (unter anderem Heidi Klum), die sich in Bikinis an exotischen Orten ablichten ließen. Steffi Graf war 1997 das erste Nicht-Model. Ihr folgten seitdem Sportlerinnen wie Maria Scharapowa, Lindsey Vonn, Alex Morgan oder Simone Biles.

Mit der Verbreitung des Internets bekam auch der Mount Everest der Sport-Magazine erhebliche Probleme. Wenig überraschend war es für SI im digitalen Zeitalter des 21. Jahrhunderts, wo 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche über Sport berichtet wird, immer schwieriger, die gewohnten besonderen und exklusiven Storys zu liefern, von denen bis dahin noch niemand etwas gehört hatte.

Deshalb gab es Entlassungen, Freistellungen, Umstellungen. 2015 mussten bereits die letzten fest angestellten Fotografen gehen, im Oktober 2019 folgten 40 Angestellte. Auslöser der jetzigen Kündigungswelle: Der Lizenznehmer Arena Group hatte eine vereinbarte Zahlung von 3,75 Millionen Dollar an SI-Besitzer Authentic Brands Group nicht überwiesen. Letztere entzog ihr somit die Lizenz.

Bis alles geklärt sei, werde man weiterhin Magazin und Online Content produzieren, hatte Arena-Geschäftsführer Jay Frankl der Belegschaft mitgeteilt. Doch wer soll das leisten? Nach all den Entlassungen? Sollte es dennoch irgendwie weitergehen, dann wohl noch kleiner. Dabei ist SI seit 2020 ohnehin nur noch ein Monatsmagazin. Der einstige Status als "Bibel des Sports" ist weg. Schlimmer noch: SI wirkt längst wie ein Grabbeltisch. Rick Reilly meint: "Wenn das Magazin wirklich tot ist, war es ein langes Sterben."

Heiko Oldörp lebt seit 2007 in Boston und berichtet von dort für zahlreiche deutschsprachige Medien (u.a. ARD, Sky, SRF, Spiegel, RND, n-tv) über den Sport in Nordamerika.