Warum die Premier League international so erfolgreich ist

Die Gelddruckmaschine

02.01.2024

In der Vermarktung ihrer Medienrechte ist die englische Premier League unerreicht. sj-Autor Sven Haist erklärt, warum das so ist.

 

Die Seetaktik von Admiral Horatio Nelson sicherte Großbritannien vor zwei Jahrhunderten die Hoheit über die Weltmeere. Aus Dankbarkeit zogen die Briten einen etwa 45 Meter hohen Granitsockel inmitten des Trafalgar Square empor, auf dem die Skulptur ihres Seefahrer-Idols thront: Nelson soll wohl auf ewig über die künftigen Generationen der eigenen Flotte wachen.

Der Aufbruch in die große, weite Welt ist seit jeher ein britisches Thema, aber inzwischen brechen nicht mehr vorrangig Schiffe auf, sondern: die Fußballvereine der Premier League. In der Vorbereitung auf diese Meisterschaftssaison schickten die Klubmanager ihre Mannschaften auf eine Vier-Kontinente-Tournee – und weil sich 17 der 20 Erstligisten daran beteiligten (nur die Aufsteiger blieben daheim), ließ sich bis auf Afrika und Südamerika der komplette Globus abdecken. Der FC Liverpool mit Teammanager Jürgen Klopp gastierte dabei sogar in Karlsruhe. 

Die Reiserouten ergaben ein Bild, auf das Nelson bestimmt stolz gewesen wäre. Mit knapp sieben Erdumkreisungen hat sich die englische Liga auch diesmal den Senator-Status erworben. Viele Klubs zog es in die USA, dem Gastgeberland der Fußball-WM 2026. Dort hielt die Premier League zum ersten Mal ein eigenes Vorbereitungsturnier ab. Die Besuche dienten weniger dazu, neue Kontakte zu knüpfen als bestehende zu pflegen. Denn die englischen Vereine haben in den vergangenen Jahren bereits fast alle lukrativen Fußballmärkte erschlossen.

Seit ihrer Gründung 1992 hat die Premier League ihr Netzwerk sukzessive erweitert. Die Spiele werden mittlerweile in allen wesentlichen europäischen, amerikanischen, asiatischen, arabischen und pazifischen Ländern übertragen. Sogar in Osttimor, einem Inselstaat zwischen Australien und Indonesien. Nur in Afrika scheint die Premier League noch Ausdehnungspotenzial zu besitzen.

Angeblich bestehen Vereinbarungen mit fast 100 Broadcastern in über 175 Ländern. Die Einnahmen aus diesen Deals belaufen sich derzeit auf 1,85 Milliarden Euro pro Saison – knapp mehr, als derzeit mit den TV-Verträgen in Großbritannien umgesetzt wird. Erstmals übersteigen damit die kontinuierlich wachsenden ausländischen die zuletzt gleichbleibenden inländischen Umsätze. (Klopp-Foto: firo sportphoto/augenklick)

Und vor allem sind diese Auslandserlöse ein Vielfaches der Einnahmen der Festlandkonkurrenz, zum Beispiel der Bundesliga. Die deutschen Klubs erhalten zehn Mal weniger von ausländischen TV-Stationen als die Engländer. Auf dem Heimatmarkt ist die Premier League der Bundesliga jährlich um ein Drittel voraus, was einer halben Milliarde Euro entspricht.

Die Strahlkraft des Labels "Premier League" basiert vermeintlich auf einigen historisch gewachsenen und deshalb nur schwer nachahmbaren Faktoren: den Landesbeziehungen, der Sprache und dem Wirtschaftssystem. Durch das British Empire, das als größtes Kolonialreich der Weltgeschichte galt, ist Großbritannien heute ein bedeutender Teil einer losen Vereinigung mehrerer Staaten, dem sogenannten Commonwealth. Auf diese Weise bestehen schon immer Anknüpfungspunkte zu anderen Nationen, von denen die Vereine wohl grundsätzlich bei ihrer Vermarktung profitieren. Insbesondere auch aus der dem Empire hervorgehenden Weltsprache Englisch. Sie ermöglicht den Klubs stets einen natürlichen, übersetzungsfreien Zugang zu allen Fußballfans auf der Welt.

Die rasant voranschreitende Globalisierung und das damit auch durch die Decke gehende Fußball-Interesse beschleunigte die Bekanntheit der Premier League. Diese Entwicklung zog vermögende Investoren aus aller Welt an, die der privatwirtschaftlich organisierte englische Fußballbetrieb mit offenen Armen empfing. Die Klubstrukturen in England wirken in vielerlei Hinsicht wie ein Abbild der freien angelsächsischen Marktwirtschaft. So schufen sich die Vereine in Verbindung mit der englischen Tradition als Mutterland des Fußballs einen finanziellen Vorsprung. Sie nutzten ihn aus, um die besten ausländischen Spieler und Trainer zu verpflichten. Und diese spielten wiederum noch mehr Geld für ihre Klubs ein, weil sie die gesamte Attraktivität und Aufmerksamkeit der Liga steigerten.

Gegen diese sich fast von allein nach oben drehende Spirale scheint es für die europäische Konkurrenz nur ein Gegenmittel zu geben – die Suche nach ebenso starken Kapitalgebern. Aber dem ist nicht zwingend so. Denn zum einen eilt solchen Geldgebern selten ein tadelloser Ruf voraus; haben sie sich einmal in einen Klub eingekauft, lassen sie sich auch nicht wie Spieler und Trainer austauschen. Zum anderen besitzt jedes Fußballsystem seine eigenen Vor- und Nachteile.

Während Englands Fußballfans gemeinhin ihre Klubs an Geld und Titeln messen, steht in der Bundesliga vielmehr das Gemeinschaftserlebnis im Vordergrund. Die Leidenschaft der Anhänger hängt nicht zwingend von der Berühmtheit der Protagonisten ab, wie die liga-unabhängig hohen Zuschauerzahlen der deutschen Traditionsklubs beweisen. Ihre Stars sind quasi die Mitglieder.

Das einzigartige deutsche Vereinsmodell, wonach die 50+1-Regel den Einfluss von Investoren begrenzt, würde sich prinzipiell hervorragend als Alleinstellungsmerkmal für die internationale Vermarktung eignen. Nur sind einige der dafür prädestinierten Klubs in den vergangenen Jahren aus der Beletage des deutschen Fußballs abgerutscht, wie Schalke 04, Hertha BSC, Dynamo Dresden, der Hamburger SV, der 1. FC Kaiserslautern und der 1. FC Nürnberg. Ebenso selbstverschuldet wie verdrängt durch Werks- und Investorenvereine, die das Ligakonstrukt und damit auch den Wettbewerb gefährden. Nur fünf der neun deutschen Klubs mit den häufigsten Meistertiteln spielen derzeit in der Bundesliga.

Um also die Anziehungskraft im Ausland zu erhöhen, scheint die Liga zunächst ihr eigenes Fundament stärken zu müssen. Und dann? Auf, und den Engländern nachreisen! Denn der Sog der Premier-League-Vereine wirkt stark genug, dass auch die deutschen Klubs eventuell von ihnen profitieren könnten – indem sie zum Beispiel gegen die Engländer spielen. Am besten irgendwo dort, wo Admiral Nelson schon war.

Sven Haist (33) lebt in London. Von dort berichtet er als Sport-Korrespondent unter anderem für die Süddeutsche Zeitung.